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DIE FAHRT WACH DER SOWNE

Don Curt Seibert

Den ganzen Sommer hatte es geregnet. I» Strö-
men, in Bächen, oom Himmel, von den Dächern, von
den Bäumen. Morgens, abends, nachts vor dem
Schlafengehen, nach den, Aufstehen. Immer, ewig,
endlog. — Er hotte es satt. Seine Millionen hatte er
sich mühevoll verdient, indem er seine Pelze drei Jahre
hängen ließ, ehe er sie verkaufte. Dafür konnte er auch
etwas beanfpiuchen. Von
Natur aus wasserscheu, war
eg ihn, ein Greuel, in eine
Pfütze zu treten. Wasser von
oben war ihm direkt wider-
wärtig. Er war daran ge-
wöhnt, sich nichts versagen
zu müssen. Für Geld war
alles zu haben. Warum nicht
auch gutes Wetter? Kam der
Sonnenschein irchk selbst, fuhr
man eben zu ihm hin. Wie der
Prophet zu den, Berg. Ein
Bekannter hatte ihm mal ge-
sagt, im Süden sei eg immer
dann schön, wenn man hier
häßliches Wetter hätte. Also
fuhr er nach dem Süden.

München und Zürich lagen
im Nebel. Als er in den Gott-
hard fuhr, wurde es dunkel.

Doch der Kellner im Speise-
wagen versicherte ihm, in
Italien sei eg wunderschön.

Italien bestehe übe, Haupt nur
aus Orangen und Sonnen-
schein. Am anderen Morgen
hielt der Zug in Arsizio. Es
regnete. Er erinnerte den
Kellner an sein Versprechen.

Der brachte ihm Orangen.

„ lind der Sonnenschein?"
fragte er.

„Der kommt noch. War-
ten Sie bis Milano."

Über Mailand hingen
schwere Wolken. Als er nach
Venedig kam, beschloß er.

Halt zu machen. Die Wolken
konnten sich ja auch mal tei-
len. Abends aber schrieb er
eine Karte an seine Bekannten:

„Hier muß es ganz furcht-
bar geregnet haben. Die gan-
ze Stadt ist überschwemmt.

Man fährt in Kähnen zwi-
schen den Häusern entlang.

Ich fahre moigen nach dem
Süden."

In Brindisi herrschte
Sturni, als er dag Schiff
bestieg. Er saß unter Deck,
trank Cocktails und blickte in
Abwesenheit der Sonne in
eine Glühbüne. Nachts schien
der Mond. Der Kapitän, mit dem er sprach, sagte,
in Griechenland sei es wunderschön, weil da kein Wald
sei, so daß die Sonne immer ans den Felsen brenne.
Das imponierte ihm sehr. In Athen watete er dann
drei Tage im Schlamm. Mit dein Hotelier, bei dem
er wohnte, geriet er in Streit:

„Wo ist Ihre Sonne? Wo brennt sie auf Felsen,
nachdem der Wald verschwunden ist? Wo ist sie, he?"

Der Wirt, der ihn nicht verstand, sagte, die Akro-

polis fei auch sehr schön und sogar Sonntags geöffnet.
Am Abend schrieb er eine Karte an seine Verwandten:
„Athen besteht aus einer alten zerfallenen Burg, die
nian leider nicht wieder instand gesetzt hak, und einigen
anderen Gebäuden. Ich habe mir einen Regenschirm
gekauft. Morgen fahre ich nach dem Süden."

Auf der Überfahrt herrschte Sonnenschein. Aber die
See war so bewegt, daß er tagelang in seiner Kabine
lag und darüber nachdachte, wie er seinen Magen

beruhigen konnte. Manchmal dachte er nicht, dann
handelte der Magen allein. Ein Herr, der schon mehr-
fach um die Welk gefahren war, besuchte ihn in seiner
Kabine. Dieser wunderte sich, daß er ohne Tropen-
helm nach Afrika fuhr, und trat ihn, einen ab, da er
zwei besaß.

In Kairo war der Nil über die Ufer getreten, weil
cg feit vier Wochen in Strönie» goß. Alle Keller
waren überschwemmt. Fluchend lirfer durch die Stadt.

Den Tropenhelm trug er zum Schutz gegen den Regen.
Seinen Schirm hatte er dem Schifsgkoch geschenkt,
weil man ihm erzählt hatte, daß in Afrika zwölf
Monate im Jahr die Sonne schien. Bei günstiger
Witterung sogar noch einige Monate länger.

„Sie müssen die Pyramiden sehen," sagte man ihm.
„In steilem Bogen steht dort die Sonne über dein
Gestein. Die Sonne ist kaum zu ertragen."

Er fror wie ein Schneider auf seinem Maulesel, als
er einige Tage später durch
die Wüste ritt. Dunkle Wol-
ken jagten am Himmel, und
er konnte sich mit seinein Füh-
rer noch gerade in den Ein-
gang der großen Pyramide
flüchten, als ein entsetzliches
Hagelwetter losbrach. Nach-
mittags ritten sie zurück. Der
scharfe Wüstenwind strich
durch seinen dünnen Panama-
anzug. Am Abend schrieb ec
eine Karte an seine Freunde:
„Kairo ist auch nicht das
Richtige. Der warme Wü-
stenwind ist ausgeblieben. Die
Pyramiden sind sehr unzweck-
mäßig gebaut. Viel Ma-
terial, wenig Wohnrauin-
Ich fahre moigen nach dei>l
Süden."

Kapstadt wai jetzt sein Ziel-
Oie südlichste Stadt Afrikas-
Wenn dort nicht die Sonst
war, wo sonst? Auch hatte ec
von den Tafelbergen gehört,
die, unbewaldet, in glühender
Sonnenhitze am Meere lo-
gen. Da wollte er sich hiiilc-
gen und in der Sonne brates-
Jn Kapstadt rang mos
die Hände. Es war Treibeis
gemeldet. Die Schiffahrt ge-
fährdet. Es begann gerade
zu regnen, als er kam. Uo^
er wollte nach dem Südes,
wo die Sonne schien. Als et
sich nach einem Schiff erku»'
digte, das noch weiter nach
Süden fuhr, sagte man ihst
das gebe es nicht. Der &'
den fei l)iev zu Ende.

„Kann ich denn »ich'
hier warten, bis die Sons'
kommt?" fragte er hall'
näckig.

„Dag würde wenig Zww
haben. Gestern hat die Reges
zeit begonnen. Die dauert 0?
wöhnlich vier Monate," sog'
te man ihm. .

So lange wollte er n>ch
^ warten. Regenzeiten kan>s'

d er. Da schien nie die Sonst

Als er nach dreimonatig^
Abwesenheit wieder zu Hause ankam und in strömt
dem Regen auö dem Zuge stieg, traf er einen
bekannten Gutsbesitzer. „Eine nette Schweinerei,
fluchte er, „dieser ewige Regen."

„Na, hören Sie nial, nachdem jetzt drei Mos^'
lang die Sanne geschienen hak, können wir froh f^)
daß die Saat endlich mal Regen bekommt. Wenn c'
Ihnen hier nicht schön genug ist," rief ihm jener iias/
„dann reisen Sie doch nach dem Süden."


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1923 ' JUGEND Nr. 2

Bei etwaigen Bestellungen bittet man auf die Münchner „Jugend“ Bezug zu ne hm1'

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Curt Seibert: Die Fahrt nach der Sonne
 
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