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Jahrgang 1923

Heft N r. 12

MARY UND MARIA

VON FRANZ ADAM BEYERLEIN

„Jeh' nid; zu dichte ran!" rief Hartmann, der Berliner.

Aber der lange Holsteiner warf ihm über die Sd)ulter zurück: „Bang-
büx!" und neigte siä) vor zu dem Sprengsä-uß. Es war oben in der
Sierra, wo die Schwebebahn für die Kupferminen trassiert wurde.

„Wenn ick dir sage, Mensch!" warnte Hartmann. Die Stimme klang
hell und blechern in der dünnen Luft.

„Bang!!" kläffte die Patrone. Und gleich darauf hatte Hein Sicmsen
kein Gesick)t mehr, weder Kinn oder Mund, noä) Nase, Augen oder
Stirn. Audi der rechten Schulter war der Arm abhandengekonunen.
Dafür wurde ersid-tliä), was für eine Unmenge Blut ein Mensch in
seinen Adern beherbergt.

Der Berliner war käßeweiß. „Wat habb' ick jesagt, Hein!" bebbcrte
er. Und noä) einmal: „Mensä), Hein, wat habb' ick jesagt!" Die vier
Indios, die noä) zur Kolonne k) gehörten, glotzten blöde.

Hock) oben am tiefblauen Himmel zirkelte ein Geier feine Schwcbe-
kreife. Ein anderer gesellte siä) dazu. Hartmann drohte ihnen mit der
Faust: „Nu jerade nick,!"

Durck) Gebärden, — denn er kannte nur ein paar spanische Flüä-e, —
hieß er die Indios den Leiä-nam in eine Zeltbahn einschnüren. „Wie an
der Somme!" brummte er dabei. Das Bündel wurde an eine Markier-
ftange'festgeknüpft, und die vier Braunen trugen es den steilen Berg-
pfad hinab. Ad)t Stunden Weges waren es bis zum Kamp, in den die
einzelnen Kolonnen gemeinhin nur am Wodienende zurückkehrten, um
sich einmal toll und voll zu trinken und dann in der grauen Frühdämme-
rung des Montags mit frisd)en Vorräten beladen wieder an die Arbeits-
stätten in der Sierra hinauszuklimmen. Hein hatte eS fd)ließlid) ganz
rid)tig getroffen; es war gerade Sonnabend. Höchstens ein paar Stun-
den zu früh langte er unten an.

MittwegS, bei der Quelle Santo Efpiritu, wurde ein Halt gemacht.
Sofort waren die Geier da, die den Zug oben in der Luft begleitet
hatten und hockten sid) im Kreis um die Rast herum. Es war ekelhaft.
Die Indios, alle gute Katholiken, warfen mit Steinen nad) ihnen.
Mad)te nicht den geringsten Eindruck. Da platzte Hartmann den frech-
sten mit dem Browning an. Krächzend flatterten die widerlichen Vögel
empor, das getroffene Biest aber schwang sid) taumelnd ein paar Schritte
seitab. Nad) fünf Minuten war nid)tS mehr von ihm übrig. Die Kol-
legen hatten eS verspeist.

„Ohne Tritt, marsch!" kommandierte Hartmann, und der Zug ging
weiter. Die Indios glitten trotz der Last behende den Abhang hinab.
Der Berliner stolperte hinterdrein. Er vermochte nid)t zwei Augenblicke
den Mund zuzuhalten; immer mußte er reden. Die JndioS verstanden
ihn nick)t, und Siemfen fd)aukeltc vorn an der Markierstange. Mit wem
sollte er da sprechen? Es blieb niemand übrig als er selbst. Wirklid)
sd)wabbelte er die ganze Zeit über, meist dummes Zeug: „Nee, fowat
bloß!" Und: „Js det meeglich?!" Oder aud): „Dieser Dussel! Un ick
sdwei' ood) noch!" Plötzlid) aber zitterte ihm ein Gedanke durch den Kopf.
„Deibel ooch!" fuhr er auf. „Wat wird Mary dazu sagen?!"

Mary war ein großes ftarkknod)igeS Frauenzimmer von unbestimm-
barem Alter, von blauen Augen und sozusagen auSgebleichtem fahl-
blondem Haar, eine Deutsche, die mit Siemfen im Kamp zusammen-

gelebt hatte. Sie wusd) ihm die Wäsche und flickte ihm das Zeug um-
sonst, was sie für andere nur gegen Pesos und Cents tat. Es hieß, sie
wären verheiratet. Konnte fein. Im Kamp fragte man nicht nad) dem
Traufd)ein. Die beiden halten sid) jedenfalls recht gut vertragen. Wenn
Hein SamStagS und Sonntags betrunken war, prügelte er Mary oder
schmatzte sie aud) ab, indem er daö große Frauensmensch auf den Knieen
hielt, je nach Laune.

„Gott o Gott!" blödele also Hartmann vor sich hin. „Wat wird
Mary dazu sagen?!" Und da er einmal beim weiblichen Geschlecht an-
qelanqt war, fuhr er mit hod)gezoqenen Brauen und nad) einem leisen
Pfiff fort: „Und Maria erst!"

Maria aber war ein Halbblut, ein bißchen gelbbraun und schon reich-
lid) fett, - später mal mußte sie eine Mordsmasd)ine werden, - aber
sonst eine stattlid)e Person, die etwas von sid) machte. Sie half der
Sennora Elena, die unten im Kamp, wo das Tal sid) weitete, eine
Bar hielt, mit fünf oder fed)S gleid)gestimmten Damen bei der Be-
dienung der Gäste. ,,Palai8 de danse“ stand rot auf gelb gemalt über
dem Eingang der Baracke. Na, es wurde nid)t nur getanzt dort, und
Siemfen, das Bündel vorn an der Markierstange zwischen den Indios,
war trotz Mary Stammgast bei Sennora Elena und vor allem bei
Maria gewesen. Wenn diese Person einiges Gemäß Pulque in sid) hin-
eingegosscn hatte, war sie zum Langhinfd)lagen komisch, und Hein hatte
es los, sie immer toller aufzuputschen. Der ganze Kamp hielt sid) dann
den Baud) vor Lad)en.

Und jetzt? - „Dammich, dammich!" seufzte der Berliner. „Mary
und Maria!" War das nid)t überhaupt derselbe Name? Möglich,
dad)te er. Nein, wahrscheinlich. Nein, sicher! Spuckte aus und beeilte
sid), um den Anschluß an die JndioS und Siemfen nid)t zu verpasse».

Im Kamp stand der Boß vor seiner Bude und qualmte seinen
Stummel. Er verdrehte die hellen Augen, denn die Kolonne kam unge-
fähr vier Stunden zeitiger von der Wochcnarbeit zurück als sie sollte.
„Aoaoh?!" grunzte er, indem er die Stimme gegen daö Ende des Lautes
hob und drohend grollen ließ.

„Mister Hawkins," fing Hartmann an, „Mister Hawkins, - -."
Dann stockte er. Er konnte aud) nid)t Englisch sprechen, nur Berlinisch.
Dafür stellte er sid) hin wie der Tanzordner in einem Ball-Lokal von
Pankow, wies auf das betrübte Bündel mit einer Gebärde, als stelle
er jemand vor und stotterte: „Siemfen — quite died. Indeed died."
Schließlich nahm er seine Zuflud)t zur Pantomimik, duckte sich, madite
„bumbum!" und sä)nellte zurück.

Der Boß verstand. „Aoaoh!" machte er, indem er die Stimme dies-
mal bedauernd senkte. Er überlegte bereits, wen er an Siemsens Stelle
zur Kolonne O einteilen sollte. Der Berliner gab keinen Vorarbeiter
ab; er war zu dumm.

Hartmann stand wartend vor ihm. „Tja," fuhr er endliä) fort, „be-
erdigt muß er dock) sinn!" Er sagte „beerdigt". Der Boß schwieg. Er
verstand nichts, sondern überlegte. Daraus kratzte siä) der Berliner am
Kopf und schlug vor: „Neben Lopez'n denk' ick."

Jetzt begriff Hawkins. Der Name Lopez erhellte die Situation.
Zwar hieß im Lande jeder dritte Mensd) so, aber dieser Lopez, um den

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Franz Adam Beyerlein: Mary und Maria
 
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