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Die „Doppelwährung" und der Mittelstand

Sin beinahe nach dem Leben gemaltes Zeitbild mit symbolischen Werten

Mein Freund Nepomuk Bumfiedel ist als
tüchtiger Kopfarbeiter freien Berufes natürlich
erwerbslos. Beiteln mag er nicht — der Re-
aktionär. So lebt er feit langem vom Verkauf
seiner Sachen, und fast alles ist dahin, bis auf
seinen einen Winter-, Frühling-, Sommer- und
Herbstanzug ohne Überzieher und seine Uhr.
Die letzten Wochen fristete er sein Leben durch
Verkauf von vier Hosenknöpfen — zwei mußte
er doch noch am Gurt sitzen lasten, einen hinten
und einen vorne. Hosenknöpfe sind geradezu
Edelvaluta, und so ging's ganz gut. Der Anzug
als Ganzes war schwer entbehrlich — also sollte
sein letztes, liebes Erbstück, die Uhr, dran glauben!
Sie war schwergolden und die Kette silbern.

Nepomuk ging zu einem Herrn, der Gold,
Silber, verschobenen Zucker u.s.w. zu den höch-
sten Preisen bezahlte. So stand aus einem Zettel
in der Auslage des kleinen Ladens — in einem
bayrischen GebirgSort zu lesen.

Mit Herzklopfen legte Nepomuk die Uhr auf
den Ladentisch, nachdem er sie von der Kette
gelöst: „Was geben Sie mir dafür?"

Der Goldmann kratzte mit einem Instrument
an der Kante des schweren Sprungdeckels und
in seinen Augen glimmerte die Gier:

„Hundert Millionen?"

„Donn- hundert Millionen? Ist's auch
wahr?"

BumfiedelS Gesicht strahlte: jetzt war er
Multimillionär!

„Ja, hundert Millionen - ich zahle immer

die höchsten Preise.. verlieren werd' ich freilich
daran!"

„Top!"

Bumfiedel grinste über's ganze Antlitz und
der Goldmann zahlte die Summe aus, in lauter
schmutzigen, zerrissenen, mit Briefmarkenpapier
zusammengeklebten, mikrobenreichen Ein- und
Zweimarkscheinen. Es waren zwei vierspännige
Mistwagen voll.

Als er schon sortgehen wollte, sah unser Ne-
pomuk in einer Vitrine eine schlichte Nickeluhr
liegen und dachte, daß es doch hart sei, so ganz
uhrlos durchs Leben zu gehen. Na, jetzt war er
ja reich!

„Was kostet diese Nickeluhr?"

„Es ist eine echte Waterburyuhr, noch aus
der Vorkriegszeit — amerikanisches Fabrikat.
Sie muß in Dollars bezahlt werden — sechs
Dollars!"

„Na — ziehen Sie den Betrag von den
hundert Millionen ab."

„Sie kaufen die Uhr für sechs Dollars?"
Bumfiedel nickte.

„Top!" Sie schlugen ein. Der Goldmann
holte ein Papier, aus dem er eben Leberwurst
gegeffen, und schrieb folgende Rechnung darauf:
1 Nickeluhr für 6 Dollars
zum Tageskurs v. 42 Mill. Mk. 292000000
Davon ab für eine Golduhr Mk. 100000000
Rest Mk. 152000000

„Ich bekomme also noch 152 Millionen
Mark," sagte der Händler trocken.

Dotty's Eckfenster

(Der wunderlichen Geschichten 2. Teil)
Fortsetzung!

„Dann geben Sie mir meine goldene Uhr
wieder!"

„Die habe ich gekauft und ehrlich bezahlt!"

„Also behalten Sie Ihre Nickeluhr!"

„Die haben Sie gekauft!"

„Ja, mit was soll ich die Uhr denn be-
zahlen?"

„Geben Sie mir Ihre silberne Kette — die
ist immer noch zwölf Millionen wert — den
Rest tragen Sie in Raten ab."

Wortlos, schwindelnd sank Bumfiedel in
Drehbewegung auf eine Bank. In wirtschaft-
lichen Dingen war er unerfahren wie ein Kind
und hilflos wie ein deutscher Finanzminister.

Dann legte er die Kette hin und wollte die
Nickeluhr nehmen.

„Halt, mein Herr! Die Uhr muß ich als
Pfand behalten, bis sie bezahlt ist - in drei
Monaten muß sie abbezahlt sein, sonst verfällt
dasPfand!" Nachdem er auch noch einenSchuld-
schein unterschrieben, wankte Bumfiedel aus
dem Laden - —

Jetzt hatte er kein Geld, Uhr und Kette
waren hin und obendrein hatte er 140 Millionen
Schulden!

Gegenwärtig verdient er sein Brot als Hun-
gerkünstler in einem Schlemmerrestaurant, wo
die Familien Raffke, Neureich, Schieblinger re.
verkehren. Während des Diners hungert er
ihnen was vor, und es schmeckt ihnen großartig,
wenn sie seinen Magen knurren hören.

------ 5- »• O.

. ; ' :j,

Von ihrem Eckfenster aus erlebte Seel»
chen Dolly die ganze reiche Skala mensch-
lichen Glückes und Leides. Sie hatte längst
die tiefe Bedeutung des „Himmelsschlüs-
sels'' erkannt, des Wahrzeichens der Kahl-
baum-Liköre, die Kummer in Freude, Sorge
in Glück und Haß in Liebe wandelten.

Immer und immer wieder hatte Seelchen
Dolly sich vorgenommen, das Eckfenster

zu verlassen, um sich anderen Erlebnissen
zuzuwenden, aber das Wunder der Kahl-
baum-Liköre hielt sie wie in eisernen
Klammern.

Endlich, nach fast einem Jahre, riß sich
Seelchen Dolly von ihrem Eckfenster los
und ging auf die Wanderschaft in den
Weltenraum. Sie streifte über Städte und
Dörfer und Ströme und Meere, endlos Tag


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F. v. O.: Die "Doppelwährung" und der Mittelstand
 
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