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Jahrgang 1923

Heft Nr. 2 1

EINES DEUTSCHEN DICHTERS AUSVERKAUF

VON ERNST HOFERICHTER

Wenn der deutsche Dichter Fridolin Wasserglas am Morgen seine
einborstige Zahnbürste weggelegt hatte, begann er seine lyrischen Ge-
dichte zu schreiben.

Er schrieb, wenn die Sonne in den Kamin schien, er schrieb - wenn
der Abend rosarot wie die Haarschleife eines Ladenmädchens über die
Dächer stieg — und er schrieb noch, wenn die Hausfrau den Gashahn
zur bleichsüchtigen Glühstrnmpflampe absperrte. . . .

Und im wachsweißen Licht der Sterne kritzelte er noch über das blut-
arme Papier hin.

Die sanften Dinge besang er, die Dinge — die voll Verlassenheit
waren. Alles, was still durch den Alltag ging und von müden Händen
getragen wurde. Was als Pfennigwerte aus Warenhäusern und Vor-
stadtbazars in die grauen Hinterzimmer der Mietskasernen gewandert
war und dort zu Königreichen wurde. . . .

Blecherne Sparbüchsen, speckige Öldrucke, bronzierte GipSköpfc und
giftigrote Papierrosen waren in die Zeilen seiner Sonette gestellt.

Und unter den Menschen schaute Fridolin Wasierglaö nach den kleinen
und verkrüppelten Seelen ans. Die Gott am nächsten sind . . . .! Die
in Hausdurchgängen ihre Läden hatten, auf Jahrmärkten billige Wun-
der aus dem Ärmel zogen, um Groschen Feuer fraßen, Schlangenmensch
und Schwebende Jungfrau wurden. — Sie alle nahm er in den Rhyth-
mus seiner Verse auf.

Da kam, wie Welle auf Welle, die Zeit der schweren Not ins Land
herein. Und brach zuerst und am tiefsten durch die engen Türrahmen
und niederen Fensterstöcke ein. Überschwemmte die kindergartenkleincn
Bezirke, daß die luftarmen Seelen ertranken wie junge Katze» im
Sack. . . .

Der Dichter Wasserglas schwamm eine zeitlang auf seiner Lyrik wie
in einer festgezimmerten Arche über dieses Strudeln und Wellenschlägen
hin. Und pfiff und sang. . . .!

Bis von einer kleinen Weile zur andern sein allzumenschlich Körper-
liches begann von ihm wie feuchter Mörtel abzufallen — und einzufallen.

Und die graue Flut der alltäglichen Nöte war ihm schon bis zum
Hemdkragen gestiegen. Er war gezwungen, auch nach außen zu denken.
Fridolin, der abendstille Dachstubenlyriker, mußte aus dieser Enge her-
aus spekulativ werden. Ein ungeahnter seelischer Mechanismus setzte in
ihm ein. . . .

Da begann er zu verkaufen, wie eben so ein Verkaufen beginnt. Zu-
erst die Dinge, die um ihn herum verstaubt standen und nichtsnutzig
waren.

Einen Bierkrug hatte er, um dessen ausgebauchten Leib sich eine
Schlacht schlängelte. Seit zwanzig Jahren tobte um dies tönerne Ge-
fäß Kampf und Krieg — ohne Ende. Oft sah Fridolin zu ihm hinauf
mit der einfältigen Erwartung - daß nun Friede geworden sei. Aber
immer noch schlug der Gepanzerte mit dem Morgenstern auf das Haupt
des Roßknechtes ein, immer noch fing der knabenjunge Ritter im Helm
den Strahl seines eigenen Blutes auf und der Fahnenträger hielt sein
Banner wie eine weiße Braut über de» Knäuel aus Lanzen und

Schwerter hinaus. . . . Diese stumme Schlacht nahm der Dichter an
einem grauen Abend unter seinen Mantel und trug sie in eines Tröd-
lers Laden. Ein paar Tränen weinte er zum Abschied in den Hohlraum
des Kruges hinein. . . .

So wanderte Liebding um Liebding aus des Dichters schmaler- Um-
welt den Weg ins Unwiederbringliche hin.

Eine Tasse gab er weg, auf der durch die Henkel hindurch gerten-
leichte Tänzerinnen Ringelreihen tanzten. Und einem hölzernen Heiligen
sagte er lebewohl, der aus einem fingerhutgroßen Kübel ständig Wasser
über sein Schreibpnlt goß.

Dann aber kam der Tag, wo all dies ein Ende nahm, wie das Reiten
durch die Wälder. Es gab nichts mehr, das weggegeben werden konnte.
- — Der Dichter Fridolin Wasserglas saß vor leeren Wänden an
feuchten Tapeten. Nur sein Leib war ihm noch geblieben. Ein Leib, der
angefüllt war von Abnormitäten. Wie ein Panoptikum. . . .

Sein Freund, ein Mediziner, sagte ihm, daß er Zucker habe, von dem
eine sechsköpfige Familie hätte leben können, daß er Kalk habe, von dem
man ein Haus bauen könnte. . . .

Des Dichters Magen war ein Sieb geworden, die Augen suchten
einander in verkehrten Richtungen, sein Herz hatte sich vor vieler Sehn-
sucht erweitert und war in eine andere Partie des Brustkorbes ausge-
wandert ... ja, und seine ganze Gestalt war ein anatomisches Gelächter
geworden. Ei» wildes Gelächter vor Gott und den Menschen. . . .!
Hätte er sich an ein Variettz verpflichten lassen, der lyrische Dichter
Wasserglas wäre ein selten erlebtes Schaustück geworden. . . .

Nachdem der letzte Bissen aus dem Brotkorb verlaut, der letzte
Papierkragen gerissen und die letzte Zigarette verraucht war, begab sich
der Dichter vor den in der modernen Literaturgeschichte öfters erwähnten
Gashahn, um den Weg ins TranScendente anzutreten.

Er legte das Haupt auf einen Stoß von Zeitungsausschnitten und
Bürstenabzügen, auf denen seine Herzensergießungen der vielen Jahre
abgedruckt waren. Noch einmal zogen alle die Bilder, Farben und Seelen
seiner Verse an ihm vorüber. . . . Holperiges Pflaster kleiner Gaffen,
auf denen der Wind rostige Blätter hin und her blies, preißelbeerrote
Dächer, mit schlafender Sonne darauf - und Wiesen mit schulpflich-
tigem GraS. Dazwischen Mädchenaugen mit pfingstlichem Lidaufschlag,
Lippen voll sommerwarmem Himbeersaft. . . . Und Herzen, die wie sil-
berne Uhren schlugen-!

Und da lag nun der deutsche Dichter vor dem Gashahn, da lagen
seine Werke vor dem Gashahn, noch so voll Erschauung und Einfall,
daß sogar — jetzt der Einfall zu entwischen ins Ewige — von einem
neuen mächtigeren Einfall besiegt wurde. . .

Wie auf Gummisohlen trat dies Bild vor seine Seele hin — indes
schon Gas aus dem Hahn ganz leise pfeifend in ihm überftrömte:

Er sah im voraus seinen Leib zerfallen, das einzige — das ihm ge-
blieben war. Die Wissenschaft wird über ihn herfallen, die Wissenschaft
wird Augen machen. . . .! Jede Faser, jede Zelle war zu einem anderen
Krankhaften geworden, jedes Organ war für eine andere Klinik zur

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Ernst Hoferichter: Eines deutschen Dichters Ausverkauf
 
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