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Jahrgang 1923

Heft No. 23

DAS GESTÄNDNIS

E. DABELSTEIN (BERCHTESGADEN)

F.... Hütte, den 8. Dezember 19 ..

Meine gnädigste Frau,

ich habe solange am niedrigen Fenster gestanden, wie ich Sie und
Herrn v. G. mit den Augen verfolgen konnte, und glauben Sie mir,
man sicht scharf und gut, wenn es einen letzten Blick gilt. So wird dies
Bild lange in meiner Erinnerung leben: wie Sie eben in den klaren
eisigen Wintermorgen vor die Hüttentür hinaustraten und die Gestalt
tiefatmend reckten, wie Sie die Ski anlegten und dann in ruhigem kräf-
tigen Gleichschritt Ihrem Gefährten folgten. Eine Zeitlang verdeckten
die Blöcke am nördlichen Secufer Sie mir; dann sah ich, wie Sie in
langen Serpentinen die Höhe des St... grabens hinanstrebten. Noch
fällt kein Sonnenstrahl in diese» felsumstarrten HochgebirgSkeffcl,
schwarz ragt die Nordwand des V... kogels, und nadelscharf hebt sich
das ticfvcrschneite schmale Sch... Horn i» den blauen Himmel; aber
dort oben, wohin Sie gingen, muß längst Sonne und Schimmer sein.
Dort an der Grenze von Schatte» und Licht sah ich Sie zuletzt. Sie
ruhten einen Augenblick, Sie lehnten sich leicht auf Ihre Stöcke und
sahen kurz — nicht zurück, nicht vorwärts — hinauf zu den Gipfeln.
Dann warfen Sie sich schnell ein wenig nach rcchtö vor, wie Sie es zu
tun pflegen, wenn Sie abfahren — und obwohl ich nicht dabei war,
war es mir doch, als hörte ich den Pulverschnee leise unter Ihren Ski
rauschen, wie gestern, als ich an Ihrer Seite lief und noch nicht wußte,
daß ich Sie heute zum letzten Mal sehen würde.

Ich trete in den Raum zurück und schlage das Hüttenbuch auf, um
das Datum meiner Talfahrt, de» heutigen Tag, einzutragen. Herr v. G.
hat feine und Ihre Ausweise hineingelegt, wahrscheinlich damit sie nicht
abhanden kommen. Es sind die Alpenvereins- und Skiklubkarten, und
ich nehme sie zögernd zur Hand. Wieviele Jahresmarken trägt Ihre
Alpenvereinskarte — ich zähle weiß, gelb, rot, grün, und es mögen noch
mehr sei». Ich denke, meine gnädige Frau, Sie haben etwa vor zwei
Jahren die Mitte der Zwanzig überschritten — wie früh haben Sie
dann begonnen, die Berge zu suchen? Es ist noch Ihr Mädchenname,
den die Karte trägt, und sein nordischer Klang weist in eine nicht unbe-
kannte Familie. Und nun stütz' ich die Stirn in die Hand und laste mir
aus der Photographie der Karte einen Mädchenkopf entgegenleuchten,
besten Zauber mich bannt. Groß und frei sind die Züge geschnitten, und
von der hohen Stirn tritt das weiche dunkle Haar weit zurück. Die
Augen blicken warm und ruhig, und um den jungen Mund liegt ein
seltsamer Zug von frauenhafter Güte, frühem Ernst und äußerster
Willenskraft. Aber der Ausdruck ist im ganzen doch heiter, und ich kann
mir denken, wie jeden Augenblick das helle Lachen über dieses Gesicht
fliegt, das ich nur ein einziges Mal gehört habe. Wie anders das Bild
der Skiklubkarte, die das Datum erst dieses Jahres trägt. Wohl sind
es dieselben Auge» noch, wohl wellt das Haar um die gleiche edle Stirn;
aber die Haut ist sonnengebräunt, und die Lippen sind schmal und zu-
sammcngepreßt und schweigen, schweige» vielleicht weit über die Kraft

Ihrer Jahre hinaus. Es ist ein weiches und kluges Frauengesicht, aber
das Leben einer blühenden jungen Frau liegt nicht darin. Und ich rätsle
daran und frage und bin wieder in seinen Bann gezogen. Ich habe beide
Karten in meine Brieftasche gelegt — verzeihen Sie es mir — und
Sic finden statt ihrer diese Zellen.

Und nun will ich, solange das Feuer im Ofen »och brennt, auf das
Sie die letzten Scheite warfen, die Stunden benützen, um Ihnen zu
sagen, daß Sie mich heute Abend bei Ihrer Rückkehr nicht mehr an-
treffen werden, wie Sie es erwarten, und daß ich die Aufforderung Herrn
v. G.'s, auch heute Ihr Begleiter zu sein, nicht ausschlug, weil meinem
geringeren Können Ihr Höhenweg zu schwer war, wie ich vorgab, sondern
weil ich den Tag dazu benützen muß, um mit einem Geständnis Abschied
von Ihnen zu nehmen, für das ich all die Güte, die Erfahrung und
Leiden gibt, von Ihnen erbitte — dem Geständnis nämlich, daß ich Sie
heute Nacht, ohne daß Sie cs ahnten, in meinen Armen schlafen ließ
und Sie küßte, wieder und wieder. Gnädigste Frau, reichen Sic mir
Ihre Hand — ich prcffe mein Gesicht hinein und beginne.

Sie glauben, daß wir uns erst vorgestern, hier in der hochgelegenen
einsamen Alpenvereinshütte zum erstenmal sahen. Jedoch bin ich mit
Ihnen, Herrn v. G. und seiner Braut, ihrer Freundin, vor wenigen
Wochen zusammen im Zug, der von der Hauptstadt aus ins Gebirge
fuhr, gereist. Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie, in die Polster des
Fensterplatzes gelehnt, lasen, während Ihnen gegenüber das junge Paar
das ewige Spiel verliebter Jugend spielte, schön und lebensfroh, um sich
der beglückenden Gegenwart des andern stets aufs neue zu vergewiffern.
Zweimal in den kurzen Stunden der Fahrt aber zogen gerade Sie meine
Aufmerksamkeit so plötzlich und intensiv auf sich, ohne es zu ahnen, daß
mir ein schmerzliches Erinnern daran geblieben ist. Es kam die Rede
zwischen den jungen Leuten darauf, daß Herr v. G., scheinbar seit Jahren
der Gefährte aller Ihrer Hochtouren, da er seine Kindheit und Jugend
in einem kleine» Ort der Alpen verlebt habe, zu dem erfahrenen und
überragende» Bergsteiger hätte werden können, der er jetzt sei, während
seine norddeutsche Braut noch nie das Hochgebirge sah. Da blickten Sie
von Ihrem Buch auf und sagten mit großer Wärme, daß sein Loö be-
neidenswert fiel, und daß, wenn Sie Kinder gehabt hätten, Sie ihnen
das Steigen als das Froheste und Tröstendste vermittelt hätten, was
Sie konnten. Die Unterhaltung ging weiter, Sie blätterten Seite um
Seite in Ihrem Buch um. Ich aber sah erstaunt in Ihr junges Gesicht
und auf Ihre hohe kraftvolle Gestalt — „wenn ich Kinder gehabt hätte,"
sagten Sie, und ich begreife nicht, wie Ihrem Alter dies Maß von Ver-
zicht, von völligem unwiderruflichen Abschluß zukommt. Fast dünkt eö
mich in seiner Härte Übertreibung, da belehrt mich ein Blick von Ihnen,
den Sie unbeobachtet erwähnten, daß diese Worte vielleicht noch gering
waren, gemeffen an der Wirklichkeit Ihres Lebens. Und dies ist das zweite
Mal, wo ich ganz von Ihnen in Anspruch genommen wurde: das Spiel
der beiden Verliebten war stummer geworden, und eine versteckte leise
Note von Leidenschaft zitterte darin, als Sie prüfend zu ihnen herüber-

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Elisabeth Dabelstein: Das Geständnis
 
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