Die Kirche auf Husum
Zeichnung von Walter Lehner
DER TOLLE BÖMBERG
VON JOSEF WINCKLER
Der „tolle Baron" von Bömberg lebte um die Mitte des vorigen
Weinreisenden verheiratet, aber selbst die
Die adligen Damen nahmen sich der so offensichtlich hart geprüften
jungen Ehefrau doppelt eifrig an, und besuchten sie oft zu Rat und Tat.
Die verwitwete Herzogin von Looz-CurSwaren bewohnte nun den
Gutelager Hof, der damals auch Gefellschafishaus des hochadligen Bil-
lardklubs war. Die feingebildete Herzogin lebte früher in freundschaft-
lichen Beziehungen zu Annette von Droste-Hülöhoff und hatte sich auch
als Komponistin einen geachteten Namen gemacht. Neben der Literatur
stand in dem schöngeistigen Salon der Herzogin die Pflege der Musik
im Mittelpunkt der Geselligkeit und zog viele künstlerische Geister in
ihren Bann. Sie war die münsterische Rahe! Varnhagen.
Da ging sie beim Adelsschuster Stumperich ein paar Plüschstiefel an-
mesien lasten, und in bloßen Strümpfen auf dem Schemel verkühlte sie
sich leider und bekam mehr als nur den laufenden Schnupfen. Es war
zudem auch in der Pflaumenzeit.
Schon hatte sie die Baronin heftig bearbeitet — der Baron nannte
sie nur die Musikquiffcl - die neue Krinolincnmode nicht mitzumachen,
sondern sich eines anständigen Gewandes zu bedienen, und faß wieder
vorn auf der Veranda: „Sorge doch bitte dafür, daß die Figur der
Mondgötiin mit der nackten Brust dort aus dem Park kommt — ".
Die junge Gräfin Clementine von Gohlen, die ein weißes Meßgewand
für ihren Onkel, den Bischof Ketteler stickte, errötete bereits und die
Baronin antwortete niedergedrückt: „Ob ich das bei meinem Mann
durchsetzen kann, scheint mir sehr fraglich!"
Jahrhunderts in Westfalen. Er hatte sich durch Vermittlung eines
Flitterwochen dämpften seine Streiche nicht.
I.
„Wie ? Ich Hab' gestern in meinem Salon das schamlose Bild „Odys-
seus bei Kalypso^ von diesem Zyniker Preller durch eine grüne Mull-
gardine verhüllt und werde es morgen ganz fortnehmen und an feine
Stelle des gesitteten Overbeck ,Magnifikafl hängen — ich dulde keine
lasziven ArtisanS in meiner Umgebung mehr, liebe Freundin — auch
diese frivolen BibelotS der porzellanenen Rokokofiguren habe ich weg-
geränmt und durch sittliche Dekors erseht - aber man muß erst bei sich
selbst beginnen — die Hygiene schon erfordert, daß nicht überall die Luft
so an den Leib kann!" Und sie stippte mit der Lorgnette auf den Hals-
ausschnitt der Baronin: „Dies Kleid — nein, Sophie — wie kannst
du nur? Direkt wie eine Person siehst du aus! Daß dein Mann bei sol-
chem Anblick auf schlechte Gedanken kommt, ist nicht zu verwundern — "
Und sie trat mal eben ab.
Rückkehrend fuhr sie mit verdoppeltem Eifer fort: „Du weißt doch,
daß ehrbare Kleider eigentlich schon zu den Selbstverständlichkeiten der
Frau von Stand gehören? Diese neuste Mode ist impertinent, unfär,
pöbelhaft! Da ich deine Ehe bei mir eingcfädelt Hab', fühl ich mich ver-
antwortlich. Jawohl, du hast eine Anstandsdame noch sehr nötig! In
meinem Alter kennt man Takt, hat Erfahrung! Geh mit gutem Bei-
spiel doch voran — du stehst in exponierter Stellung — alle Schulter-
bändchen fort — die Achsel bedeckt — en coeuidjcn fort — Kapott-
hut mit Schleife eng unters Kinn! Soliden TuchtaiÜenfchnilt laß ich
mir gefallen — aber dies Wippen, Wehen und Krachen in den Röcken,
670
Zeichnung von Walter Lehner
DER TOLLE BÖMBERG
VON JOSEF WINCKLER
Der „tolle Baron" von Bömberg lebte um die Mitte des vorigen
Weinreisenden verheiratet, aber selbst die
Die adligen Damen nahmen sich der so offensichtlich hart geprüften
jungen Ehefrau doppelt eifrig an, und besuchten sie oft zu Rat und Tat.
Die verwitwete Herzogin von Looz-CurSwaren bewohnte nun den
Gutelager Hof, der damals auch Gefellschafishaus des hochadligen Bil-
lardklubs war. Die feingebildete Herzogin lebte früher in freundschaft-
lichen Beziehungen zu Annette von Droste-Hülöhoff und hatte sich auch
als Komponistin einen geachteten Namen gemacht. Neben der Literatur
stand in dem schöngeistigen Salon der Herzogin die Pflege der Musik
im Mittelpunkt der Geselligkeit und zog viele künstlerische Geister in
ihren Bann. Sie war die münsterische Rahe! Varnhagen.
Da ging sie beim Adelsschuster Stumperich ein paar Plüschstiefel an-
mesien lasten, und in bloßen Strümpfen auf dem Schemel verkühlte sie
sich leider und bekam mehr als nur den laufenden Schnupfen. Es war
zudem auch in der Pflaumenzeit.
Schon hatte sie die Baronin heftig bearbeitet — der Baron nannte
sie nur die Musikquiffcl - die neue Krinolincnmode nicht mitzumachen,
sondern sich eines anständigen Gewandes zu bedienen, und faß wieder
vorn auf der Veranda: „Sorge doch bitte dafür, daß die Figur der
Mondgötiin mit der nackten Brust dort aus dem Park kommt — ".
Die junge Gräfin Clementine von Gohlen, die ein weißes Meßgewand
für ihren Onkel, den Bischof Ketteler stickte, errötete bereits und die
Baronin antwortete niedergedrückt: „Ob ich das bei meinem Mann
durchsetzen kann, scheint mir sehr fraglich!"
Jahrhunderts in Westfalen. Er hatte sich durch Vermittlung eines
Flitterwochen dämpften seine Streiche nicht.
I.
„Wie ? Ich Hab' gestern in meinem Salon das schamlose Bild „Odys-
seus bei Kalypso^ von diesem Zyniker Preller durch eine grüne Mull-
gardine verhüllt und werde es morgen ganz fortnehmen und an feine
Stelle des gesitteten Overbeck ,Magnifikafl hängen — ich dulde keine
lasziven ArtisanS in meiner Umgebung mehr, liebe Freundin — auch
diese frivolen BibelotS der porzellanenen Rokokofiguren habe ich weg-
geränmt und durch sittliche Dekors erseht - aber man muß erst bei sich
selbst beginnen — die Hygiene schon erfordert, daß nicht überall die Luft
so an den Leib kann!" Und sie stippte mit der Lorgnette auf den Hals-
ausschnitt der Baronin: „Dies Kleid — nein, Sophie — wie kannst
du nur? Direkt wie eine Person siehst du aus! Daß dein Mann bei sol-
chem Anblick auf schlechte Gedanken kommt, ist nicht zu verwundern — "
Und sie trat mal eben ab.
Rückkehrend fuhr sie mit verdoppeltem Eifer fort: „Du weißt doch,
daß ehrbare Kleider eigentlich schon zu den Selbstverständlichkeiten der
Frau von Stand gehören? Diese neuste Mode ist impertinent, unfär,
pöbelhaft! Da ich deine Ehe bei mir eingcfädelt Hab', fühl ich mich ver-
antwortlich. Jawohl, du hast eine Anstandsdame noch sehr nötig! In
meinem Alter kennt man Takt, hat Erfahrung! Geh mit gutem Bei-
spiel doch voran — du stehst in exponierter Stellung — alle Schulter-
bändchen fort — die Achsel bedeckt — en coeuidjcn fort — Kapott-
hut mit Schleife eng unters Kinn! Soliden TuchtaiÜenfchnilt laß ich
mir gefallen — aber dies Wippen, Wehen und Krachen in den Röcken,
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