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PORTRAITS BERÜHMTER ZEITGENOSSEN

VON ERNST HOFERICHTER

III.

DER SEKRETÄR VOM WOHNUNGSAMT

Hermann Poeppel

Er gleicht den Lilien des Feldes — er säet nicht, er erntet nicht und
doch ernährt ihn der himmlische Vater... Und nicht schlecht..! Über
den Kragenrand hängt der Hals als
fleischiger Balkon. Geländerfrei.

Wer von AmtSwegen sein Ge-
sicht sieht, garniert es in Gedanken
mit Sellerie und Zitronenschnit-
ten. Und bekommt Hunger vor
dieser lebenden Speisekarte.

Um ihn herum liegen die Akten-
bündel, dick wie Meßbücher —
und er blättert darin, als wären
sie Photographiealbums.

Er arbeitet mit roter Tinte,
streicht damit leerstehende Wohn-
räume an — und seine Frau färbt
sich mit ihr das Hochzeitkleid rös-
chenrot. Er wird dazu der wilde
Knabe mit der Klaviermusik von
Schubert.

Um ihn herum liegen Bittschriften und Danksagungen wie in einer
Wallfahrtskapelle.

Denn ihm ist es gegeben unter die obdachlose Menschheit Schlaf-
zimmer, Küchen und Speisekammern zu verteilen.

Wenn er des Abends ins Bett steigt und das Stück Malzzucker auf
die Plattform seines Kautschukgebisies legt, beginnt er, schon vorauö-
holend für den kommenden Tag, in Gedaüken mit dem Zuweisen von
Wohnräumen. Da läßt er im Geiste Salons ausräumen, ZwangSmieter
anrücken, da schiebt er Möbclwägen hin und her — und wirft ausdring,
liche Besuche aus seinem Amtszimmer . ..

So plastisch erlebt er diese Vorstellungen, daß er auch schon das

Stück Malzzucker für einen jener ungeduldigen Wohnungssucher hält
und ihn so lange von einer Stockzahnreihe zur andern schleudert -

bis er von selbst vergeht — —
Diesen bewegten Szenen fol-
gen Idylle des Friedens und der
Erfüllung. Er denkt an alle, die
durch seine Allmacht in den Bet-
ten ihrer Dreizimmerwohnungen
schnarchen — und dankbar von
ihm, dem wohlwollenden Sekretär
vom Wohnungsamt, träumen —
ihn sehen, wie er als guter Vater
über die Erde geht, durch Türen
und Fenster kommt, in abgabe-
pflichtige Rauchsalons und ge-
trennte Schlafzimmer sein Ein-
verständnis hineinlächelt...

Er hört sich selbst sprechen zu
allen Dach- und Obdachlosen —
von dem, daß für sie alle schon
die Räume gerichtet und die Stühle gestellt sind — — „Im
WohnunSamt zum Warten ..!" hört er eine boshafte Stimme erregt
dazwischen rufen — und das Traumbild des Halbschlafes zerrinnt
vor ihm.

Aber allen Ernstes — er will Liebe, Glück und Versöhnung in die
Menschheit tragen. Denn erst vor kurzem bewies er's in der Tat. Mein
Freund versucht seit vier Jahren alle Mittel, um auf dem Wege der
Scheidung von seiner Frau loszukommen ... Endlich gelingtö ihm, zieht
fröhlich aus, sucht nach einem entlegenen Wohnraum — und wird von
ihm, dem Sekretär vom Wohnungsamt, offiziell seiner ehemaligen Frau
- als Zwangsmieter zugewiesen ...

M AXL

EINE RÜHRENDE U R L A U B S G ES C H I C HT E VON WILHELM HERBERT

Ehe Frau Doktor Obele - voriges Jahr ist es gewesen — mit ihrem
Gatten in Urlaub fuhr, gingen sie noch einmal durch ihre Stadtwohnung,
und Schuffcrl, der getreue Haushund, schritt würdig hinter ihnen her.

In der Küche war in einem Riesenkübel Maxl aufgestellt worden,
die schöne Zimmerlinde, die sonst im „Salon" stand. Ein großer Bottich,
in dem man den Kübel stellte, enthielt nach sachverständigem Rate eine
reichliche Waffcrmenge, von der sich Maxl während der vier einsamen
Wochen durch Aussaugen von unten her ernähren sollte.

Die Frau Doktor streichelte Maxl noch einmal Blatt für Blatt. Ihr
Gemahl stand ungeduldig daneben, schaute ein paar Mal auf die Uhr,
dachte sich was — und Schufferl fraß heimlich im Trennungsschmerz
einen der schönen jungen Triebe.

Dann fuhr man ins Allgäu und wurde vort in dem Bauernhof, der
wunderbar auf der Höhe lag, von de» braven schlichten Leuten mit der
entzückenden Herzlichkeit ausgenommen, die man noch jedes Jahr er-
fahren hatte.

Es gab wenig Neues in der herrlichen Einsamkeit der Berge.

Doch, Eines, gab es — junge,gesunde,schnatternde und lebenslustige
Gänse.

Nur eine war darunter, die weniger Lebenslust zeigte. Denn sie war
von Geburt aus schwach und hinkte. Die weiche, liebcbedürftige und
liebcspendende Seele der Frau Doktor umfaßte sofort mit ihrer ganzen
Wärme dieses arme zurückgebliebene und gleichfalls sehr liebesbedürftige
Geschöpf.

Es wird Niemanden wundern, daß die neue Pflegerin von der einsamen
Zimmerlinde zu Hause den Namen aus die einsame Gans in der Fremde
übertrug.

„Maxl" wurde nun auch sie getauft.

Selbstverständlich übertrug auch Schufferl seine Zunneigung auf
„Maxl den Zweiten".

Wie eine Katze saß Maxl jeden Abend, wenn man in der großen Küche
gemütlich plauderte, auf dem Schoß der Frau Doktor und ließ sich von
ihr füttern und liebkosen.

Auch Schufferl liebkoste das Gänschen in seiner Art. Er leckte ihr
mit seiner langen weichen rosenroten Zunge Rücken, Hals und Kopf
dermaßen, daß sie am Schluß förmlich gebadet schien.

Es tat ihr wohl. Jedem einsamen Geschöpf tut Liebe wohl.

Kaum brauchte es eigens festgestcllt zu werden, daß der Abschied ein
ergreifender war — der Abschied von Maxl.

Die Frau Doktor fütterte den Liebling noch einmal, streichelte ihn
noch einmal und Schufferl leckte ihn noch einmal vom Schnabel bis zum
Rückenende watschelnaß.

„Auf gesundes Wiedersehen im nächsten Jahre!" sagte die junge Dame
vor der Tür, wohin „Maxl" nachgehinkt kam ...

Das Wiedersehen sollte früher geschehen — auch gesund — wenigstens
auf Seite des Herrn und der Frau Doktor und Schufferls.

Als ich im Herbst einmal das liebenswürdige Ehepaar besuchte, ging
ein angenehmer Wohlgeruch durch die ganze Wohnung.

Die Dame des Hauses hatte feuchte Augen und war von einer gewissen
tiefgerührten Verlegenheit.

Schufferl strich um die Zimmerlinde und sah hoffnungsfreudig und
doch ziemlich bewegt aus.

„Wir cffcn heute Maxl auf," flüsterte die Frau Doktor. „Es wurde
aus Mitleid geschlachtet. Bitte, mögen Sie nicht auch ein Schenkelchen ?"

Schluß auf Seite 685

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Index
Wilhelm Herbert: Maxl
Hermann Poeppel: Illustration zum Text "Porträts berühmter Zeitgenossen III. Der Sekretär vom
Ernst Hoferichter: Porträts berühmter Zeitgenossen III. Der Sekretär vom Wohnungsamt
 
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