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Jahrgang I92Z Heft Nr. 24

DER J UNGFERNJÄGER

WIRD IN DER SCHÜRZE DER RATSFRAU GEFANGEN

VON HANS FR. BLUNCK

Einmal war eine Zeit, da stieg zu Hamburg jeden Winter und Som-
mer ein Stier aus der Alster, drang in die Ställe der Bauern ein und
lief feuerschnaubend durch die Stadt. Und obschon der Rat einen hohen
Preis ausfehtc für den, der ihn zur Strecke brächte, wollte es keinem
gelingen.

Endlich meldete sich ein Unterirdischer, ein Zwerg, der in den Wohl-
dorfer Hügeln zu Haus war. Der meinte, er könne den Stier wohl auf
immer vertreiben. Aber man muffe ihm eine Fiedel besorgen, die sei tief
unterm Keller des Rathauses eingemauert; niemand außer ihm wisse
den Weg dahin. Die hohen Herren wollten erst nicht darauf cingehen
und überlegten lange hin und her. Als die Not immer schlimmer ward,
schickte man zu dem Kleinen und gab ihm einen Maurergesellen bei. Und
der mußte auch richtig nach seiner Weisung brechen und stemmen eine
Woche lang, bis man eine ganz kleine Geige in einer Höhle am Grundstein
des Hauses fand. Die nahm der Zwerg an sich, tat gleich einen wunder-
schönen Strich darauf, der bis in den Sitzungssaal der hohe» Herren
drang, und wanderte dann dahin, wo Osterbck und Alster zusammen-
fließen. Dort setzte er sich ans Spiel und fiedelte die schönsten Weisen
vom Abend an, die halbe Nacht hindurch. Kurz vor zwölf kam denn auch
der Stier wirklich aus der Alfter herauf, folgte der Geige, wohin der
Zwerg sie wandte, und ließ sich fromm und geduldig durch die Städte
Hamburg und Altona bis in die Hügel von Blankenese leiten. Dort ist
er in die Elbe versunken. Man sagt, daß er sein Volk wiedergefunden
hat, von dem er versprengt war, und daß er seitdem nicht mehr als Stier
über Land hat laufen brauchen.

Der Plagen für die Stadt Hamburg wurden darum aber nicht weni-
ger. Wo bisher das Tier die Bauern gehänselt hatte, lief jetzt der Zwerg
spielend von Hauö zu Haus und von Hof zu Hof. Viele Jungfern wur-
den närrisch von seiner Geige und ließen den Unterirdischen in ihre
Kammer, um ihn zu hören. Überall aber, wo der Bursch eine Liebste ge-
funden hatte, fand man am Morgen im ganzen Haus das Brot versteint.

So war's nicht viel besser als es vorher gewesen war, eigentlich ärger
als je zuvor. Man stellte dem verdrießlichen Plagegeist nach und suchte
ihn oder seine Geige zu fangen. Aber er war geschwinder als alle Ham-
burger, es gab zu der Zeit wohl auch lose Jungfern, die ihm Vorschub
leisteten.

Nun wohnte damals die Frau eines Ratsherrn an der Lombards-
brücke, ein kluges Weib, das auch allerhand unholde Künste verstand.
Sie hatte viel Hilfe davon, hielt sich manch kleines Volk, darunter auch
ein fcifengelbes Waschweibchen in der Küche, so daß all ihr Linnen immer
blitzsauber genäht und gebleicht war, ohne daß sie einen Finger zu rühren
brauchte. Ihre besondere Macht aber war eine alte Schürze. In die
konnte sie jedes Jahr einmal einen ihrer schlimmsten Feinde verwünschen
und konnte ihm damit antun, was sie wollte. Aber sie hatte ein gutes
Herz und machte immer nur einen weisen Gebrauch von ihrer Kraft.

Eines Tages war indessen auch bei ihr alles Brot zu Stein geworden,
grade als sie am Abend das ganze Haus voller Gäste hatte. Es war eine
sehr ärgerliche Begebenheit, zumal sie davon allerhand Hänseleien zu
hören hatte, und der Ratsherr selbst drei Tage mit gezücktem Dolch durch
alle Mädchen- und Weibskammern kletterte.

Sie breitete drum in der vierten Nacht die Wünschelschürze in einer
dunkeln Kammer aus, zündete ein kleines grünes Handlämpchen an
und verlangte so angestrengt nach dem unterirdischen Gast, daß er end-
lich mit der Fiedel in der Hand, das Haar noch halb zerzaust und zitternd
vor Angst, auf der Schürze landen mußte.

Ihr könnt euch denken, wie die Ratsfrau ihn ins Gebet nahm. Es
tat ihrem Frauenherzen recht wohl, ihn um alle Untreue und Unbill, die
er getan hatte, scharf anzuhalten, und obschon er sich sträubte und wie
ein junger Hund winselte, mußte er für all seine Torheit auf der Schürze
gefangen bleiben. Wem er's in ihrem eigenen Hause aber angetan hatte,
wollt' er nicht verraten.

Da sah die kluge Frau, wie sie sich umschaute, daß sich das Fenfter-
tuch zur Küche bewegte, und als sie unversehens hineinlangte, hatte sie,
schwupp, das Waschweibchen an den Haaren. DaS war unter der Tür-
spalte hereingehuscht, um zu lauschen. Die RatSfrau hatte ja nun dop-
pelt zu strafen. Sie behielt das Ding auch gleich in der Hand und über-
legte ihr Urteil. Dabei aber mußte sie fast das Lachen ankommen über
die Schelmengeschichte, flink warf sie die Horcherin zu dem Jungfern-
jäger in die Schürze hinein. Dann knotete sie die vier Enden sorgfältig
zusammen und rüttelte und schüttelte die beiden zur Strafe gründlich
durcheinander, sprengte auch etwas Weihwasser darüber, wie's damals
zu einer christlichen Hochzeitsreise gehörte, und hing die Schürze mit den
beiden Sündern nebst einem Mispelzweig im Keller auf.

Nach drei Tagen kam sie wieder herunter, brachte gut zu essen und zu
trinken und fragte, wie's den Herrschaften beieinander gefiele. Aber die
Schürze strampelte nur, und als sie gutartig hineinlangte, um dem Wasch-
weibchen einen guten Tag zu wünschen, biß der andere sie in den Finger,
daß es blutete.

Da ging sie wieder. Als sie nach abermals drei Tagen hinunterkam,
ging es schon gemächlicher zu. Die Geige klimperte ein wenig, und das
Weibchen sang dazu. Aber als sie nach beider Wohlergehen fragte, schrie
der Unterirdische und wünschte bei allen Teufeln seine Freiheit wieder
zu haben.

Als sie aber nach neun Tagen wiederkam — was glaubt ihr — da
krähten schon ein paar Kinderchen in der Schürze mit den Alten um die
Wette. Und obschon der Vater knurrte und murrte und alles Schürzen-
tuch in die tiefste Hölle verwünschte, schien doch die Eintracht unter-
einander erträglich.

Die RatSfrau trug darum die Schürze mit ihrer Last in den Herren-
saal und hing sie unter den größten Leuchter. Da hörte man nach aber-

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Hans Friedrich Blunck: Der Jungfernjäger wird in der Schürze der Ratsfrau gefangen
 
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