DER
LIEBE GOTT
ALS
THEATER»
DIREKTOR
VON ERNST HOFERICHTER
ZEICHNUNGEN
VON HERMANN POEPPEL
Eines schönen Tages hing der liebe Gott, auf eine kleine Weile all
seine himmlische Macht an den Nagel, öffnete seinen Kleiderkasten und
nahm Gehrock, Zylinder und Regenschirm heraus . ..
So ging er dann, nur mit Menschlichem versehen, auf der Milchstraße
zum Stern Nummero Y782969OO I 3 a hinab, der — Erde hieß.
Schon von weitem hörte er Blechmusik blasen, Grammophone kratzen
und Heldentenöre krähen. Dazwischen hinein vernahm er das Pfeifen
der Lokomotiven auf den Rangierbahnhöfen wie Nachtigallenruf.
Davon wurde der liebe Gott gar lustig gestimmt, und er zog seine
Mundharmonika aus der Hosentasche, klopfte sie am Knie aus und
spielte Veteranenvereinsmärsche und Feuerwehrlieder.
Als der Weg immer weniger sternig wurde, begegneten ihm die ersten
Radfahrer, die im Straßengraben unter blühenden Kirschbäumen ge-
platzte Schläuche flickten.
Und jetzt kamen auch die ersten Limonadenhäuschen, Ansichtskarten-
stände, Trambahnwartehallen und Luftballonhausiererinnen. Und dann
und wann ein laubfroschgriiner Spritzenwagen mit einem pfeifenden
Kutscher am Bock, in Hemdärmeln und mit strohernem Hut.
Unter einem Torbogen ließ sich der liebe Gott die Stiefel putzen und
von einem Bahnhoffriseur den Bart stutzen.
Und nachdem er sich noch in einem Automaten durch ein Glas Zitronen-
limonade erfrischt hatte, wozu er das elektrische Klavier spielen ließ,
ging er planlos weiter.
Da nun Gottvater durch die sonnigen Vorstadtgaffen schritt, sah er
zu seiner Linken eine stille Wirtschaft liegen. An die grasgrünen Fenster-
läden waren rosarote Theaterzettel geklebt, auf die mit Blaustift der
Vorstellungöbeginn und die Eintrittspreise geschrieben waren. Fleisch-
fliegen flogen surrend daran herum.
... Der Herr blieb stehen und laS.
EineTheatergesellschaftspieltehier
allabendlich ihre Posten, Dramen,
Charakterstücke, Lebensbilder mit
Musikbegleitung und Apotheose mit
bengalischer Beleuchtung!
Im dämmerigen Hausflur saßen
gerade die Komödianten auf Bier-
säffern und Metzgerkarren herum.
Ihre Gesichter sahen wie schlecht ge-
putzte Petroleumlampen aus. Und
ihre Köpfe stützten sie mit den Armen
wie'geknickte Obstbaumäste. Der Held
addierte Wäscherechnungen nach, die
jugendliche Liebhaberin schüttelte aus
einer Meerschweinchensparbüchse den
Rest ihres Vermögens heraus, der
Charakterspieler schrieb auf die Rück-
seite eines Pfandhausscheines die
mutmaßliche VorverkaufSeinnahme,
und die Heldenmutter schlug sich auf
der Plattform eines EiSkastenS die
Karlen für die Zukunft. .. .
Und die konnte nur wie graues Regenwetter aussehen. Denn — heute
morgen war der Direktor zusammen mit Tageskasse und Soubrette
flüchtig gegangen. Auf dem Nachtkästchen lag seine ganze Hinterlassen-
schaft. Eine Puderquaste, eine Zahnbürste, zwei Gasrechnungen, eine
Aspirintablette und ein Mahnbrief des Gastwirts auf die Saalmiete...
Als die Schauspieler draußen den Herrn im Gehrock und Zylinderhut
erblickten, glaubten einige — das wird der Polizeikommiffär sein. Und
andere wieder vermuteten in ihm den Gerichtsvollzieher iricognito. Und
der Väterspieler ging im Heldenschritt aus den lieben Gott zu und sagte
zu ihm: „Grüß Gott."
Da lüftete der Herr seinen Hut und lächelte freundlich. Und als er
ihnen versicherte, daß er keine Amtsperson sei, — auch nicht der Fried-
hofverwalter, da wurden sie gesprächig und erzählten ihm die Geschichte
von ihrem durchgegangenen Direktor. Und alle begannen sofort auf diesen
Direktor zu schimpfen und zu fluchen. Die Naive behauptete, daß er einen
Sprachfehler hätte und den Stockschnupfen, der Intrigant sagte ihm
vollkommene Talentlosigkcit nach, und der Komiker gab bekannt, daß er
noch vor drei Jahren Hotelportier gewesen sei, und eö nur durch Frech-
heit beim Theater zu einem Direktor gebracht hätte...
Als sie lange genug gesprochen hatten, drehte die komische Alte die
Unterhaltung auf Durst und Hunger zu. DaS merkte der liebe Gott und
ließ sogleich Brot und Wurst, Bier und Rettich kommen...
Da wurde eS dem Bonvivant vollends klar, daß das der richtige Mann
für einen Theaterdirektor wäre. Und als er aus des Fremden Antlitz
immer deutlicher eine gewiffe Vorschußfreudigkeit strahlen sah, fragte
er ihn geradewegs — ob er nicht ihr Direktor werden wolle... ?
Aber diese Frage war selbst dem lieben Gott ein bißchen unerwartet
gekommen. Er blinzelte lächelnd in die
Sonne hinein, — wie ein Wirt, der
überlegt, ob es ratsam sei, noch am spä-
ten Abend ein neues Faß anzustechcn.
Und während er nachdachte, ob er
als der liebe Gott einen Theater-
direktor machen könnte, tanzte die
ganzeKomödiantengefellschaftumihn
herum und schrie, deklamierte und
gröhlte: „Bitte, bitte!"
Endlich sagte er - ja. Da zwickten
sich alle vor übersprudelnder Freude
in die Arme, umarmten und küßten
sich und sprachen sich gegenseitig
unerhörte Talente und beispiellose
Karrieren zu. Keines wollte mehr in
Zukunft an künstlerischem Können
über dem andern stehen, niemand
verlangte bevorzugt zu werden . . .
So öffneten alle vor einander ihre
Herzen, und die Welt war mit einem
Male wieder ganz rosarot geworden.
Und nun führte der Heldenvater
den lieben Gott in das Dircktoren-
098
LIEBE GOTT
ALS
THEATER»
DIREKTOR
VON ERNST HOFERICHTER
ZEICHNUNGEN
VON HERMANN POEPPEL
Eines schönen Tages hing der liebe Gott, auf eine kleine Weile all
seine himmlische Macht an den Nagel, öffnete seinen Kleiderkasten und
nahm Gehrock, Zylinder und Regenschirm heraus . ..
So ging er dann, nur mit Menschlichem versehen, auf der Milchstraße
zum Stern Nummero Y782969OO I 3 a hinab, der — Erde hieß.
Schon von weitem hörte er Blechmusik blasen, Grammophone kratzen
und Heldentenöre krähen. Dazwischen hinein vernahm er das Pfeifen
der Lokomotiven auf den Rangierbahnhöfen wie Nachtigallenruf.
Davon wurde der liebe Gott gar lustig gestimmt, und er zog seine
Mundharmonika aus der Hosentasche, klopfte sie am Knie aus und
spielte Veteranenvereinsmärsche und Feuerwehrlieder.
Als der Weg immer weniger sternig wurde, begegneten ihm die ersten
Radfahrer, die im Straßengraben unter blühenden Kirschbäumen ge-
platzte Schläuche flickten.
Und jetzt kamen auch die ersten Limonadenhäuschen, Ansichtskarten-
stände, Trambahnwartehallen und Luftballonhausiererinnen. Und dann
und wann ein laubfroschgriiner Spritzenwagen mit einem pfeifenden
Kutscher am Bock, in Hemdärmeln und mit strohernem Hut.
Unter einem Torbogen ließ sich der liebe Gott die Stiefel putzen und
von einem Bahnhoffriseur den Bart stutzen.
Und nachdem er sich noch in einem Automaten durch ein Glas Zitronen-
limonade erfrischt hatte, wozu er das elektrische Klavier spielen ließ,
ging er planlos weiter.
Da nun Gottvater durch die sonnigen Vorstadtgaffen schritt, sah er
zu seiner Linken eine stille Wirtschaft liegen. An die grasgrünen Fenster-
läden waren rosarote Theaterzettel geklebt, auf die mit Blaustift der
Vorstellungöbeginn und die Eintrittspreise geschrieben waren. Fleisch-
fliegen flogen surrend daran herum.
... Der Herr blieb stehen und laS.
EineTheatergesellschaftspieltehier
allabendlich ihre Posten, Dramen,
Charakterstücke, Lebensbilder mit
Musikbegleitung und Apotheose mit
bengalischer Beleuchtung!
Im dämmerigen Hausflur saßen
gerade die Komödianten auf Bier-
säffern und Metzgerkarren herum.
Ihre Gesichter sahen wie schlecht ge-
putzte Petroleumlampen aus. Und
ihre Köpfe stützten sie mit den Armen
wie'geknickte Obstbaumäste. Der Held
addierte Wäscherechnungen nach, die
jugendliche Liebhaberin schüttelte aus
einer Meerschweinchensparbüchse den
Rest ihres Vermögens heraus, der
Charakterspieler schrieb auf die Rück-
seite eines Pfandhausscheines die
mutmaßliche VorverkaufSeinnahme,
und die Heldenmutter schlug sich auf
der Plattform eines EiSkastenS die
Karlen für die Zukunft. .. .
Und die konnte nur wie graues Regenwetter aussehen. Denn — heute
morgen war der Direktor zusammen mit Tageskasse und Soubrette
flüchtig gegangen. Auf dem Nachtkästchen lag seine ganze Hinterlassen-
schaft. Eine Puderquaste, eine Zahnbürste, zwei Gasrechnungen, eine
Aspirintablette und ein Mahnbrief des Gastwirts auf die Saalmiete...
Als die Schauspieler draußen den Herrn im Gehrock und Zylinderhut
erblickten, glaubten einige — das wird der Polizeikommiffär sein. Und
andere wieder vermuteten in ihm den Gerichtsvollzieher iricognito. Und
der Väterspieler ging im Heldenschritt aus den lieben Gott zu und sagte
zu ihm: „Grüß Gott."
Da lüftete der Herr seinen Hut und lächelte freundlich. Und als er
ihnen versicherte, daß er keine Amtsperson sei, — auch nicht der Fried-
hofverwalter, da wurden sie gesprächig und erzählten ihm die Geschichte
von ihrem durchgegangenen Direktor. Und alle begannen sofort auf diesen
Direktor zu schimpfen und zu fluchen. Die Naive behauptete, daß er einen
Sprachfehler hätte und den Stockschnupfen, der Intrigant sagte ihm
vollkommene Talentlosigkcit nach, und der Komiker gab bekannt, daß er
noch vor drei Jahren Hotelportier gewesen sei, und eö nur durch Frech-
heit beim Theater zu einem Direktor gebracht hätte...
Als sie lange genug gesprochen hatten, drehte die komische Alte die
Unterhaltung auf Durst und Hunger zu. DaS merkte der liebe Gott und
ließ sogleich Brot und Wurst, Bier und Rettich kommen...
Da wurde eS dem Bonvivant vollends klar, daß das der richtige Mann
für einen Theaterdirektor wäre. Und als er aus des Fremden Antlitz
immer deutlicher eine gewiffe Vorschußfreudigkeit strahlen sah, fragte
er ihn geradewegs — ob er nicht ihr Direktor werden wolle... ?
Aber diese Frage war selbst dem lieben Gott ein bißchen unerwartet
gekommen. Er blinzelte lächelnd in die
Sonne hinein, — wie ein Wirt, der
überlegt, ob es ratsam sei, noch am spä-
ten Abend ein neues Faß anzustechcn.
Und während er nachdachte, ob er
als der liebe Gott einen Theater-
direktor machen könnte, tanzte die
ganzeKomödiantengefellschaftumihn
herum und schrie, deklamierte und
gröhlte: „Bitte, bitte!"
Endlich sagte er - ja. Da zwickten
sich alle vor übersprudelnder Freude
in die Arme, umarmten und küßten
sich und sprachen sich gegenseitig
unerhörte Talente und beispiellose
Karrieren zu. Keines wollte mehr in
Zukunft an künstlerischem Können
über dem andern stehen, niemand
verlangte bevorzugt zu werden . . .
So öffneten alle vor einander ihre
Herzen, und die Welt war mit einem
Male wieder ganz rosarot geworden.
Und nun führte der Heldenvater
den lieben Gott in das Dircktoren-
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