Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zunmer. Das war die Apfclkammer des Wirtes. In der Ecke stand ein
himmelblauer Brotkasten, auf den waren zwei rote Herzen gemalt. Oben
lagen Pferdegeschirre, messingene Feuerwehrhclme und zum Trocknen
aufgestellic Bierfilze. Das Fensterbrett war zum Schreibtisch geworden.
Zwischen de» Rollenheften und Gagenlisten lagen tote Wespen und
Schnaken herum. Die gesprungenen Scheiben wurden durch überklebte
Streifen aus Zeilungspapier zusammengehalten. Es roch nach abge-
mähten Maiwiesen und Kuhstall ...

Alsbald riet der Heldenvater seinem Herrn Direktor, — zur Hebung
des repräsentativen Ansehens, — sich rasieren und die Haare schneiden
zu lasten. Da tat dem lieben Gott sein langer Vollbart gar leid ....
Aber schon brachte das wohlgefällige Mitglied die Toga des Julius
Cäsar und warf sie dem Gottvater als Frisiermantel um; denn er selbst
wollte dem neuen Direktor die Haare schneiden und den Bart abnehmen.
Damit nicht schon gleich zu Anfang das persönliche Unkostenkonto zu
stark überlastet würde...

Und der liebe Gott sah mit Wehmut sein wallendes Barthaar zu
Boden fallen. Der
Heldenvater kehrte
es mit einem Besen
aufdieSchaufelund
sagte, daß man da-
von einen Umhänge-
barl für Raubritter-
stücke machen könne.

Und anschließenden
einemAtemzug, stell-
te er die ganz unmaß-
gebliche Anfrage, ob
er wohl künftighin
auch im komischen
Fach Verwendung
finden könnte, weil
sein Kollege, der Ko-
miker gar keinen
wirklichen Humor
habe... Und gleich
darauf klopfte cS an
die Türe. Die Sa-
londame trat ein und
wollte den Herrn Di-
rektor höflichst ge-
beten haben, ihr un-
ter seiner Leitung
doch auch etwas Ju-
gendliches zu spielen zu geben, denn die jüngeren Mitglieder seien ge-
radezu gräßlich und ohne jede Spur von kindlicher Naivität. — Die
war noch nicht vor der Türe, da schritt auch schon der jugendliche Held
über die Schwelle. Er möchte dem Herrn Direktor gern etwas Charak-
terkomisches vorsprechen, damit er sehe, daß er auch diesen Aufgaben
gewachsen sei — und daher als Vertreter von zwei Fächern wohl als
erster Anspruch auf Gagenerhöhung habe...

Der liebe Gott hielt sich die Ohren zu. Ihm graute vor den kommen-
den Tagen. . . .

Die erste Zeit mußte er an der Kaste sitzen und Karten verkaufen, den
Vorhang auf- und zuziehen und aus dem überdachten Kasten heraus
soufflieren.

Untertags holte er in der Nachbarschaft und aus der Wirtschafts-
küche die für das jeweilige Drama benötigten Requisiten zusammen.
Sektkelche, Bilderrahmen, Tischklingel, Perserteppiche, Drillingbüchsen,
Tischlampen und Polstersestel.

Bei wildromantischen Tragödien mußte dann der liebe Gott mit
einem Wellblech den Donner rollen, mit Magnesiumpulvcr den Blitz
zucken lasten und Wind und Regen möglichst natürlich nachahmen. Mit
einer Radfahrerlatcrne ließ er die Sonne scheinen und durch eine schwin-
gende Käsglocke täuschte er himmlisches Geläute vor. —

Der Winter zog ins Land. Da traten alle Komödianten vor ihren
Direktor hin und fragten ihn, ob sie nicht, wie jedes Jahr, vor Weih-
nachten dasChristnachtmärchenspicl aufführen dürften. Und er sollte darin

den „Lieben Gott" spielen, weil er cme so tieftönende Orgelftimme hätte.
Der liebeGott überlegte sich, ob er auch den „Lieben Gott"spielen könne.

Und er sagte ja, weil er ihnen noch eine Freude bereiten wollte, ehe
er wieder hinauf in den Himmel ging. Denn: zum Christfest mußte er
wieder daheim bei den Seinen sein.

Aber das Theaterspielcn hatte sich der liebe Gott doch ein bißchen
leichter vorgestellt, als es in Wirklichkeit war.

Nächtelang marschierte er mit dem Rollcnbuch in der Hand auf seiner
Kammer auf und ab und versuchte seine Sprüchlein schön auswendig
zu lernen. Nebenan lag der Ziegenftall, und da mußte er immer, wenn
es nach Heu und Stroh roch, dazwischen hinein an Bethlehem denken,
an die Scheune mit Krippe, Ochö und Eselein.

Der Hcldenvatcr hatte ihm alle Wörter, die er betonen sollte, rot
unterstrichen — und die komische Alte hörte ihn im Auswendighersagen
wie aus einem Katechismus ab.

Der Tag der ersten Aufführung stand vor der Türe. Der liebe Gott
hatte für diese Vorstellung einen noch nie geschauten Theaterzettel druk-

ken lasten. Mit lau-
ter glitzernden Ster-
nen und winzigklci-
nen Monden und
Kometschweisen...!

Aber wie sahen
einander an jenem
Morgen alle Komö-
dianten verträumt
und verwundert ins
Gesicht,als sie darun-
ter geschrieben lasen,
daß bei der heute
nachmittag stattfin-
denden Kindervor-
stellung lauter wirk-
liche Engelauftreten
würden, daß nur ech-
ter Blitz und Don-
ner, Schnee und Re-
gen,WindundSon-
nenschein verkommen
sollten. Sie hielten
diese Art von An-
kündigung für eine
unerfüllbare Auf-
schneiderei, und eine
großeAngstüberkam
alle bei dem Gedanken, wenn das Publikum in der Erwartung auf
solche Bühnenwunder säße - und dann nur ihre papiernen Engelscharen,
blechernen Sonnen, Monde und Sterne zu sehen bekäme. Alles würden
die Leute krumm- und kleinschlagen! Die Kaste stürmen, das Eintritts-
geld zurückfordern! Ja — und der Magistrat würde ihnen die Spiel-
erlaubnis entziehen!-

Schon seit den frühen Morgenstunden strömte es zur Kaffe. Mittags
war der ganze Theatersaal ausverkauft. Der Wirt rollte noch einige
Dutzend Bierfäster in den Musentempel und stellte sie an den Wänden
entlang als erhöhte Stehplätze auf. Ein Mädchenpensionat hatte sie sofort
aufgekauft. In der Kaffe klang und schepperte das Geld wie in einem voll-
gepfropften Opferstock. So viel hatten sie nicht einmal während des ganzen
Sommers verdient als durch diese eine Aufführung. Aber, wenn der
Schwindel aufkommt, — wenn sich das Publikum genarrt steht. . .!

Der liebe Gott hatte sich in seine Kammer eingesperrt und bereitete
sich mit einigem Bangen auf sein erstes Auftreten am Theater vor.
Immer wieder sprach er seine Rolle vor sich her und ruderte dazu mit
seinen Armen die vorgeschriebenen und eingeübten Bewegungen in die
Luft. Am Vormittag hatte er nochmals einen blauen Radler in den
Himmel geschickt und ihm ein Verzeichnis mitgegcben, auf dem alle die
Englein, Sterne, und Himmelözeichen und Wunder ausgeschrieben waren,
die er für die Theatervorstellung auf Erden benötigte. Denn heute wollte
er zum ersten- und letztenmal Theater spielen. Da sollte aber dock wohl
alles richtig klappen . . .!

699
Register
Hermann Poeppel: Illustration zum Text "Der Liebe Gott als Theaterdirektor"
 
Annotationen