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Weg hinter mir. Und brach ich aus ins Gehölz und dunkelgrünen Farn-
wald: hintrat ich an Lagerfeuer, wo sie, zu Rudeln geballt, Aluminium-
pfannen umhockten, und Grießschmarrn aufbrieten. Unendliche Mengen
gelbkörnigen GrießschmarrnS.

Gesteckter FclSpfad gab nur kurze Einsamkeit. Fremde Scharen
strömten den Berg herab. „Heil!" sagte jeder jedem, ich wußt's nicht zu
deuten. Manches weibliche Wesen sahst du behost dir entgegenstcigen,
gelegentlich furchtbar. Gott wollte von keiner, daß sie in öffentlichen
Hosen einherwandle, sonst hätte er ihnen andere Beine gegeben.

Der Berg widerhallte von Sachsen, die sich „Viel Spaß!" wünschten.
„Schboö" wünschten sie sich nadirlich, mit gemächlichem Tonfall. Man
kann ihn allenthalben studieren. Sie sind in Scharen über uns gekom-
men in diesem Sommer. Überall sind sie, alle kennen sie sich, und viel
Schboö wünschend, ergreifen sie Besitz vom südlichen Bayern.

Nur eine einzige Berlinerin ward übrigens gesichtet. Und sie sagte fast
etwas Anmutiges
oben auf dem Gip-
fel zu ihrem Be-
gleiter, der Aus-
stellungen machte
an der fernschim-
merndenGletscher-
kette. ,,S' ist 'ne
janze Masse, lass'
man!" sagte sie.

Nicht lange dul-
dete mich'S auf
dem Gipfel.

Im Sturme
überkrabbelt von
den Beethoven-
Kolonnen, die
märzbiergeschwellt
demUnterkunflö-
hauS entquollen,
ward er mit einge-
schlungen in das
lärmende Chaos,
und ich erkannte
mit Grauen die
Metamorphose
des Berges.

Von allen Zin-
ken, dolomiten-
haft gesteckt, jo-
delten die Klet-
terer ihre Juchzer
hinab. Tückisch
verborgen im Ge-
stein blies einer
Posaune. Noch
übte er nur. Aber
schon erkannten
die Dirndln das
Sich-LoSwinden-
de: „Ach Joseph,
ach Joseph

Und ein Rucksack-
Grammophon, in
die Latschen ver-
staut, meckerte un-
keusch den Re-
frain für die tan-
zendenPaare am
Abgrund.

Mein grimmi-
ger Schneeball
goß nur Ol ins
Feuer,um es blu-
mig zu sagen, und Die Reise nach Ägypten

weckte Gegenwurf aus hundert nervigen Fäusten. Und die Gemse, die
ich zitternd entfleuchen sah ins Ungewisse, sie war keines VereinSwitz-
boldcs Scherz, sondern leibhaftig das Symbol des ermattenden Berges.

Die Natur fiel erledigt ab am Abend; und die Sonne trat blutrot
weg, ganz einfach, weil sic versagte.

Nur in den Wagen lebte noch Kraft, rumorend mit griffigen Hän-
den an Klampfen und Dirndln. Über die Heimkehrenden war der
Geist des GrießschmarrnS gekommen und entlud sich in Wettern boxen-
den Übermuts.

Ich habe immer gemeint, ein anständiger Mensch sei abends müde.
Diese da aber versicherten, sie spürten noch lange nichts, indem daß es
erst richtig aufgehe, wenn man in die Stadt komme.

Es waren die gleichen Gestalten, mit denen ich ausgefahren, ich er-
kannte sie wieder. Wieder trugen die Wagen des Meisters Namen in
kreidiger Fraktur. Und dieweil, mit nicht mehr bezähmbarer Neugier

ich frage: „Wie
haltet Ihr'ö ei-
gentlich mit Beet-
hoven, IhrWak-
keren?"ward mir
dieses zur Ant-
wort: „Ja weißt,
seit mir so viele
Han, geht dös
Hüttenbauen in
einem ganz ande-
ren Tempo! Da
muaßt uns dafür
kennen, die vom
Beethoven!"

Hütten werden
also gebaut. Auf
jeden Berg wo-
möglich eine. —
Herrlicher Aspekt
für die Zukunft.
Dachte ich mir,
es geht um Hohes
im Namen Lud-
wigs, an so hoch
Gelegenes dachte
ich nicht.

Aber Beetho-
ven ist eben kein
ästhetischer, son-
dern ein topogra-
phischer Begriff.

DieseErleuch-
tungkam mir, als
bei der Einfahrt
in die Halle die
vom Beethoven-
platz sich für das
WeinhauS ent-
schieden.DerAn-
führer der Platz-
ier wollte zwar
erst nichts davon
wissen. Aber man
brüllte die Stim-
me der abmahnen-
den Enthaltsam-
keit nieder. „Ins
Bett möcht' er,
der Beamte!"
sagte einer. „Der
kann doch morgen
im Bureau auö-
schlafen. Beetho-
Iosef Geis ven sammeln!"

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Josef Geis: Die Reise nach Ägypten
 
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