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PORTRAITS BERÜHMTER ZEITGENOSSEN

VON ERNST HOFERICHTER

IV. DER WASSERKOPF-LITERAT

Jakob Maria Speckstein — ist Verfaffer des expressionistischen Epos
„Der Schrei aus der Kindertrompele". Wohnort unbeständig, weil er
zeitweise im Kosmos aufgeht..

Wie Saccharin im Kamillen-
tee...

Sein Aussehen erinnert an
falsch ausgezogene Kubikwur-
zeln. Jeder Winterfenster-
wechsel inspiriert ihn zu einem
lyrischen Zyklus.

Der Vorgang seines künst-
lerischen Schaffens vollzieht
sich nach folgendem Rezept:

Man nebme den weißen
Rand einerZeitung,zerschneide
ihn zu kleinen Zetteln und
schreibe darauf je ein beliebiges
Wort... zum Beispiel: Pi-
stolen — Wirrhaare — Süd-
pol — Mitesser — Tarif —

Schaf — Dollar... Auf drei
Eßlöffel voll Substantiv«
nehme man diedoppelteMenge
Adjektiva, gebe alles zusammen
in eine blecherne Sparbüchse, rübre eö gut durcheinander — und schütte
dann den Inhalt durch den Schlitz des Gefäßes über die Tiscl platte hin..
Die Reihenfolge der beschriebenen Zettel ergibt, nebeneinandergelegt,
ohne weiteres Form und Inhalt des Gedichtes.

So dichtet Jakob Maria Speckstein und läßt es goldschnittparfümiert
von seinem Verleger auf den Markt werfen. Seiner Milchfrau gibt er
die numerierten Exemplare zum Kommissionöverkaus, die sie inmitten
von warmem Knödelbrot und Kunsthonig in die Auslage stellt...

Alle Woche einmal läßt sich der Dichter von feinen Freunden neu ent-
decken — — Feuilletons feuerwerkcn über ihn — Man streitet über die

Minute seiner Geburt, über die
GrößescinerKragenwcite,über
seinen täglichen Haarausfall.

Der Verlag erläßt ein
Preisausschreiben: „Wer er-
rät annähernd den Sinn von
I. M. Specksteins Dichtung,
und wie hoch werden an sei-
nem nächsten Geburtstag die
Schwcsclaktie» stehen . . . ?"

Sein Bildnis soll in alle
Lesebücher der Volksschulen
ausgenommen werden. Die
Kapellmeister aller besseren
Kabaretts habe» auf ihn einen
I. M. Speckstein - Shimmy
komponiert. ..

Heute früh gingen umstür-
zende Gerüchte über ihn um.
... Ober des Dichters Schlaf-
zimmer fiel bei Aktuars die
Sitzbadewanne um — und ihr
Inhalt tropfte durch die Decke in Specksteins Träume hinein ... Seine
Umgebung hörte auf dieses Ereignis hin, erregt wie nie zuvor, — in des
Dichters Kopf das Wasser rauschen ...

Dies Erlebnis hat ihn jäh verändert. Er liegt mit dem rauschenden
Haupt auf dem Fensterbrett und grübelt über diesen Vorgang nach ...
Die Freunde vermuten, daß er nun tiefsinnig wird, daß seine Werke
von jetzt an einen tiefen Sinn erhalten sollen...! Aus Angst davor
beging sein Verleger im Makulaturlager Selbstmord — — —

Hermann poeppel

Chaplin als

Köcfti

totittfdje %

IfersMenes \
Tiermarki /

Alteisen

*

Schal

Wie schnell die Zeit vergeht

Dr. Müller hat seinem Frauchen einen Win-
terhut auf den WeihnackiSllsch gelegt. Frau
Hedwig dankte herzlich. Aber — warum Otto
sich darauf verspitzt hatte, allein zur Modistin
zu gehen! Sie hätte anderen Samt gewählt.
Und überhaupt. Wenn manjedeöJahr nur einen
Winterbut kriegt, dann — — —

Am Silvesterabend ist man sehr lustig. Um
Mitternacht klingen die Gläser, und Di-, Müller
sagt seiner Hede: „Schatz, Du hast jetzt einen
Wunsch frei. Den ersten Wunsch im neuen
Jahr schlag ich Dir nicht ab."

„Einen Wunsch?" Ihre Wangen glühen.
„Einen Wunsch? Einen — — Winlerhul!"

„Einen Winterhut? Du hast doch erst zu
Weihnachten — — ?" „Aber, Otto, das war
doch schon — im vorigen Jahr - ?" crm»
*

Literatur

Vier Literaten saßen an einem Stammtisch.
Da erzählte der Erste eine Anekdote. Und be-
hielt sich bas Urheberrecht daran vor. Heimlich
notierte der Zweite die Pointe. Der Dritte er-
hob sich und telephonierte die Geschichte einer
Witzblaitredaktion. Der Vierte aber lächelte
nur. Er zog eine Zeitungsnummer hervor: er
hatte die Anekdote gestern schon veröffentlicht.

Der Fünfte, von dem sie stammte, war an
diesem Tage zufällig nicht im Cafs...

*

HILFSKASSE DER „JUGEND“

Gedenkt

der notleidenden geistigen Arbeiter
Deutschlands
und ihrer Familien.

*

Spenden erbeten
an

Redaktion der „Jugend“ * G Hirth’s Verlag
München, Lessingstrasse Nr. 1
oder

auf das Postscheckkonto München 4399
unter dem Hinweis:
„Hilfskasse“

Über die eingegangenen Beträge wird fortlaufend
in der „Jugend“ quittiert und die Verwendung der
Gelder ebenda nachgewiesen.

*

Schrecklich

Anläßlich der bevorstehenden Freigabe deut-
scher Warencinfuhr nach Australien warnt die
in Sydney erscheinende „Smiths Weekly“
dringend vor den „Erzeugnissen der Hunnen"
und verrät als abschreckendes Beispiel, daß
die Taften der deutschen Klaviere seit dem
Kriege statt aus Elsenbein nur mehr aus Ersatz-
material hergestellt seien, d. h. aus Menschen-
knochen.

ES ist unbegreislich, daß die Redaktion glaubt,
aus diese Weise den Australiern das Spielen
auf d eul schenK lavieren verekeln zu können.
Sie muß doch wissen, daß eS immer noch nichts
fo Schauderhastes gibt, auf daß ihre Leser nicht
mit Vergnügen hineintappen! Z.A.E.
*

Papierblume

Unter der Soitzmarke „Deutsche Verkehrö-
verhältniffe" steht in verschiedenen auswärtigen
Blättern zu leen: „In den Schlafwagen drit-
ter Klasse wird von nun an das erste und letzte
Abteil alleinrcisenden Frauen vorbebalten.Diese
dürfen durch männliche Reisende nur dann be-
nützt werden, wenn sie nichts dagegen einzu-
wenden haben."-Es zeigt von einem heute ganz
ungewohnten Zartgefühl gegenüber Deutsch-
land hier noch von Verkehrsverhältnissen
zu sprechen. Das sind doch nicht einmal mehr
„Zustände"! o.

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Register
Ernst Hoferichter: Portraits berühmter Zeitgenossen IV. Der Wasserkopf-Literat
Hermann Poeppel: Illustration zum Text "Portraits berühmter Zeitgenossen IV. Der Wasserkopf-
Ri-Ri: Wie schnell die Zeit vergeht
Ri-Ri: Literatur
[nicht signierter Beitrag]: Papierblume
J. A. S.: Schrecklich
Redaktioneller Beitrag: Spendenaufruf
 
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