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FEIERABEND

VON FRITZ MÜLLER

Um aus dem Meere auf die Welt zu kommen, braucht der Erz-
berg zehn Millionen Jahre. Weitere zehn Millionen Jahre schlief er.

Dann wurde er geweckt.

Ein Gähnen lang — die Menschen nannten's tausend Jahre —
riffen sie ihm seine Flanken auf mit spitzen Hauen.

Dann, ein Augenzwinkern lang — die Menschen nannten's hun-
dert Jahre — ersetzten sie die Hauen durch Maschinen.

Jetzt, eine Teilsekunde lang — die Menschen hießen's die soziale
Neuzeit — spielten sie dem Berge im Dreivierteltakt auf: Erstes
Viertel: Arbeit. Zweites, drittes, viertes Viertel: Feierabend. Sie
nagelten Gesetze an den Berg: Sechsstündige Arbeitszeit... Men-
schenwürde ... Gerechtigkeit. Sie schwangen Fahnen. Sie hielten
Reden. Sie waren glücklich.

Und verlangten, daß es auch der Berg sei: „Drei Takte Feier-
abend, einen Takt lang Arbeit! Berg, entscheide dich für unfern
Rhythmus, oder — !"

Es war eine Drohung.

Der Berg besann sich das Tausendstel eines Berggedankens lang
— die Menschen aber füllte es jenen einen Feierabend lang mit
blankem Schauder.

Feierabend auf den Schlag! darin war der Vorarbeiter Dunkel
unerbittlich. Keine Minute darüber, keine Minute darunter!

„Ei," sagte der Fördermaschinift Frowein, „gar so haargenau ist
ungemütlich — man kann doch — "

„Nichts da! die Gemütlichkeit war unser Unglück. Weißt du nicht
mehr, wie uns früher eine Viertelstunde nach der anderen an die
Arbeit angehängt — "

Der andere lächelte wehmütig. Er war einer von den Alten. Er
entsann sich noch der Zeit, da man die Arbeit liebte um der Arbeit
willen. Da sie einem eine Liebste war. Eine Liebste, der man doch
nicht gram ist, wenn
sic uns beim Scheiden
noch beim Rockknopf
hält: „Noch ein Vicr-
telstündchen, Liebster."

Das war die Braut-
zeit. Der Arbeit Ebe
hätte auch so bleiben
können. Dritte misch-
ten sich hinein, Ma-
schinen. Pedantische
Gesellen haben Ehen
stets zerledert. Die
Arbeit wurde saure
Pflicht. Man sah ner-
vös auf seine Uhr:

„Man erwartet mich
zum Abendschoppen — "

„So bleib doch
noch ein wenig, Lieb-
ster."

„Ausgeschloffen! —

Gewerkschaftszwangs-
beschluß - Tarifge-
meinschaft — Men-
schenwürde ..."

„Du liebst mich
nicht mehr."

„Keine Sentimente,
bitte... wenn ihr
wieder Überstunden
schindet, Frowein, sag
ich's der Gewerkschaft."

„Ein Prinzipienreiter seid ihr, Dunkel. Seht ihr nicht, wie jeder
starrgewordene Grundsatz uns am Ende in die Tiefe reißt, weil
unserer Seele freier Flug —"

„Flug? — paperlapapp, i b r werdet fliegen, wenn ihr auch nur
zwei Minuten über Feierabend —"

Frowein duckte sich: Weib und Kind zu Hause — vor sich die
Gewerkschaft — hinter sich den Erzberg — die Menschen handeln, wie
sie müssen.

Dunkel rieb sich die Hände: „Praktisch muß man's machen, auch
den letzten hält ich nun in Reih und Glied . .."

Praktisch, ja das war er immer. War S nicht er gewesen, der dem
Ingenieur gesagt, eS sei nicht praktisch, die Erze mittels Schaufeln
in die Wagen einzuladen. Praktischer sei ein Magnet, der sie Hoch-
bob, über Wagen spielte und dann loslicß. Praktisch sei'S auch, statt
die Last mit Berg- und Talbahn keuchend fortzuschlcppen, mit der
Schwebeseilbahn überm Hochtal Kraft und Zeit zu sparen.

„Einer von den wenigen, die denken," sagte der Ingenieur, „wir
müffen ihn behalten."

„Einer von denen, die andere verhetzen," sagte der Direktor, „wir
müffen ihn gelegentlich entlaffen."

„Einer von denen, die sich selbst riskieren," sagten die Berg-
arbeiter, „wir müffen ihn lieben."

„Einer von denen, die es nicht verwinden, daß ein anderer anders
denkt," sagte der Fördermaschinist Frowein, „ich muß ihn fürchten."

Zwischen diesen Widersprüchen dirigierte Dunkel, überlegen
lächelnd, die beladenen Wagen auf der Seilbahn, Tag für Tag,
Stunde um Stunde, Minute um Minute.

„Halt!" sagte er und rückte mit dem Hebel das Transportseil von
der Fördertrommel auf die tote Scheibe, „halt, Punkt vier ist's —
Feierabend!"

Das Zugseil zitterte, stand still. Mit ihm die kleinen Wagen

überm Abgrund. Die
Schwcbelast straffte
das Seil zur Tiefe.

„Wenigstens den
vollgeladenen noch —
die nächsten laufen

ohnehin schon leer."

„Nichts da — Feier-
abend! — zum Don-
ner, wenn der Frowein
die Maschine nicht

gleich abstellt - !"

Aber sie brauchten
nicht erst zu der Kraft-
ftation hinabzurennen
— der Kraftftrom

stoppte. —

Am nächsten Sams-
tag hatte Dunkel einen
neuen Vorschlag:
„Wenn wir schneller
laden — zwanzig Wa-
gen mehr die Schicht,
dürfen wir die letzten
Wagen knapp vor vier
Uhr ohne Erz hinüber-
fahren, Herr Inge-
nieur?"

„Was fällt euch ein,
ohne Fracht!"

„Die Fracht sind
wir. Ein Mann in je-

Der Wassermann Julius Diez

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Julius Diez: Der Wassermann
Fritz Müller: Feierabend
 
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