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A. Fiebiger

Polyga m i e

Bon Friedrich Karinthy

(Autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen von
Maurus Mezei)

Der Mann: „Hm. Sehr intereffant."

Die Frau (ruhig): „Was ist intereffant?"

Der Mann: „Diese Sache. Dieses Dings.
Diese Idee."

Die Frau: „Was für eine Idee?"

Der Mann: „Was dieser Baumer heute
im Bureau gesagt hat."

Die Frau: „Was hat er gesagt?"

Der Mann: „Mit dieser Sache... hm.
Weißt, ich erwähne es nur so ... als eine
Idee, nichts anderes. Eine groteske Idee,
glaube mir, ich betrachte es wirklich für nichts
anderes. Daß ich sie aber für intereffant
finde, das darf ich doch, nicht?"

Die Frau (ruhig): „Natürlich."

Der Mann (empört): „Und dann, bitte,
ist die Idee nicht einmal neu... Es ist so-
gar ein Präcedenz dafür vorhanden. Er sagt,
sie sei auch nach dem Dreißigjährigen Kriege
eingeführt worden."

Die Frau (ruhig): „Wer?"

Der Mann: „Es war nämlich auch da-
mals davon die Rede, daß der lange und
blutige Krieg die männlichen Einwohner de-
zimiert hat und man daher für die Zukunft
sorgen mußte. So wurde sie denn einge-
sührt... Und nun sagt dieser Baumer, wie
wäre es, wenn man sie auch jetzt, nach dem
letzten Kriege einführen würde."

Die Frau (ruhig): „Wen?"

Der Mann: „Weißt, ich halte es wirklich
nur für eine bizarre Idee, glaube mir aber,
sie wird eingeführt werden."

Die Frau (ruhig): „Wer?"

Der Mann (nach einer Pause, rasch):
„Die Polygamie." (Er wendet rasch den
Kopf ab und verdeckt sein Gesicht.)

Die Frau (ruhig): „Ach so, die Poly-
gamie."

Der Mann (wartet, enthüllt dann stau-
nend sein Gesicht, schaut, kann es nicht
glauben, daß ihm nichts an den Kopf geflo-
gen ist, überrascht): „Ja."

Die Frau: „Ja, die Poly. .., weshalb
sollte man sie denn nicht einführcn?"

Der Mann (staunend und mit Begeiste-
rung): „Nicht wahr? Also nicht wahr, du
sagst es auch?! Siehst du, das ist prächtig!
Ich hätte nie gedacht, daß du so erhaben,
so ... so unvoreingenommen denken... so
objektiv urteilen kannst... wie ein Intellek-
tueller ... wie ein Mann ..."

Die Frau: „Du bast mich immer für
dümmer gehalten, als ich bin."

Der Mann (begeistert): „Aber von nun
an werde ich dich meiner würdig, und für
eine edle, uneigennützige und scharf denkende,
gleichwertige, verständnisvolle Frau halten,
mit der man über alles sprechen kann... ich
bin über diese Entdeckung ganz entzückt. Nun
kann ich zu dir sprechen, wie zu einem
Freund, zu einem wirklichen Menschen .. .
jetzt kann ich dir schon sagen, daß es auch

Y KjJ, SxjO)

Bei den Kannibalen

„.. So,so, in Deutschland herrscht Wohnungs-
not. Da hast Du's gut getroffen: hier steht
so mancher Magen leer!"

*

Kranivmetrie

Die Professoren Reid und Mulligan nah-
men an 449 englischen Studenten Schädel-
mcffungcn vor, um festzustellen, ob die In-
telligenz einen Einfluß auf den Kopfumfang
ausübe. Sie verglichen namentlich Maße
vor und nach dem medizinischen Examen der
Versuchsobjekte miteinander und kamen zu
dem Resultat, daß die Größe des Kopfs
kein Mittel darstellt, um die Intelligenz zu
bestimmen. Sie selber haben z. B. sehr
große Köpfe. Einer der Schüler wies wenige
Tage vor dem Examen einen größeren Schä-
delumfang aus als nachher. Er hatte sich
über den Ausgang des Eramens und über
beiderseitige Intelligenz mit einem Kollegen
in einen Boxkampf eingelassen. Ein anderer
Schüler, der an seinem Hute bemerkt zu
haben glaubte, daß nach dem Examen sein
Kopf größer sei, — er fand plötzlich den Hut
zu eng — mußte zugeben, daß er wahrschein-
lich den Hut — nickt den Kopf — vertausckt
babe. Endlich konnte sestgestellt werden, daß
Jimmy Knor, ein Nigger, der den Profes-
soren als Famulus dient, einen weit größe-
ren Schädel als Goetbe besitzt. Es müßte
nun das Experiment dahin ausgedehnt wer-
den, daß beide noch das medizinische Eramen
machen. Jimmy Knor hat sich bereits dazu
erklärt. Von Goethe ist leider keine Ant-
wort eingetroffen. Vielleicht, weil Deutsch-
land noch nicht im Völkerbund ist — — ?

Hc Puck

Damenbedienung

In London siel neulich ein Oberlicht mit
lautem Krachen aus einige Gäste berab.
Diese sahen jedoch darin einen glücklichen
Zufall, der die Aufmerksamkeit der Kellnerin
aus die Gäste lenkte. L.O.

meiner Ansicht nach sehr klug wäre, wenn sie
eingeführt werden würde."

Die Frau (ruhig): „Wer?"

Der Mann: „Die Polygamie."

Die Frau: „Ach so, die Polygamie."

Der Mann (begeistert und fließend, aus-
wendig): „Jene Einwände, die ein befange-
ner Konservativismus vom moralischen Stand-
punkt aus erheben könnte, hat die neuzeitliche
Wiffenschaft schon längst über den Hausen
geworfen ... Gibt es doch Völker, bei denen
gerade das Gegenteil der Polygamie für
unmoralisch gilt. Und gerade die ältesten
Mythen halten die Ausübung der Polygamie
für natürlich... Sie scheint in der mensch-
lichen Natur zu fußen, und es wäre daher
nur die Wiederherstellung der natürlichen,
gesunden Ordnung, wenn sie auch bei uns
eingeführt werden würbe."

Die Frau: „Selbstverständlich."

Der Mann (begeistert, strahlend): „Nicht
wahr? Wie klug, lieb, weise, verständig du
bist! Und dann, ich bitte dich, ist hier der
materielle Gesichtspunkt... Im ersten Mo-
ment könnte man glauben, daß die Polyga-
mie dem Mann in materieller Hinsicht un-
erträgliche Lasten ausbürden würde. Wenn
wir aber die Sache aus der Nähe betrachten,
stellt es sich heraus, daß bei einer Polygamie
das ökonomische Gleichgewicht nicht nur er-
halten bleiben, sondern sich sogar noch beffern
würde. Das ist ganz sicher."

Die Frau: „Wenn cs sicher ist, dann ist
es gut."

Der Mann (deklamierend): „Jawohl...
denn wenn ich auch einerseits für mehrere
Frauen zu sorgen habe, so sind anderseits
diese mehreren Frauen, die mir als Eigen-
tum ...

Die Frau (legt die Gabel nieder): „Wie..
wie ist das? Was ist mit diesen mehreren
Frauen?"

Der Mann (die Augen aufreißend):
„Nun, die..."

Die Frau (nimmt wieder die Gabel in
die Hand, hält sie aber diesmal mit den
Spitzen nach auswärts): „Welche mehrere
Frauen hast du auszuhalten? ...

Der Mann (verblüfft): „Haben .. wir..
denn... nicht von der Polygamie gespro-
chen?! ..."

Die Frau: „Was kümmert mich diese
Poli... oder wie sie heißt. Du hast hier-
von Frauen gesprochen und nicht von der
Pali... Palimagie... (Mit plötzlichem
Verdacht.) Was ist den» eigentlich diese
Polimanie, oder wie hast du gesagt?" (Sie
hebt die Gabel in die Höhe.)

Der Mann (läßt den Kopf sinken, mit
niedergeschlagenen Augen): „Ach so... du
meinst die Polygamie... o, nichts... die
Zentralisation des Zolltarifcs heißt so...
die staatliche Organisation der Gehaltsrcgulie-
rung der öffentlichen Angestellten .. es ist..
der wissenschaftliche Name des BlütcnkelcheS
der Schlüsselblume... Poli ist soviel wie
Blüte... gamie: Kelch ... (Er ißt unter-
tänig weiter.)

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Register
Albert Fiebiger: Bei den Kannibalen
Frigyes (Friedrich) Karinthy: Polygamie
 
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