Am Strande
H. Heuser
zu einem Spaziergange Lust verspürte, machte er sichs auf dem zu
seinem Zimmer gehörenden Teile der großen Veranda bequem, die
das ganze Haus umkränzte. Da gab es einen Liegestuhl, und in den
legte sich Splate mit seinem Handexemplar jenes Romanes, der eine
so üble Behandlung erfahren hatte. Der Dichter blätterte darin
und versuchte zum soundsovielten Mele feftzuftellen, ob die Arbeit
auch wirklich etwas tauge, aber unversehens schlief er über dieser
Beschäftigung ein.
Als er erwachte, stand die Sonne schon tief im Westen. In
seinem Obre klang ein Gcräusck nack, und wie er nun Umschau hielt,
gewahrte er aus dem Bezirk der Veranda, der zum Nebenzimmer
gehörte und nur durch eine zerschlissene Segeltuchwand von ihm ge-
trennt war, ein Mädchen. Ein noch feuchter Badeanzug lag aus dem
hölzernen Geländer zum Trocknen ausgebreitct, das Mädchen selbst
hatte nichts auf dem Leibe, außer einem Bademantel. Sie trällerte
mit angenehmer Stimme vor sich bin und batte offenbar keine
Ahnung davon, daß sie belauscht wurde. Als sie sich umwandte, und
Splate ihr Gesicht scbcn konnte, erstarrte sein Blut. Sie war es.
Lautlos blieb er liegen. Rätsel, Rätsel! dachte er fast beglückt und:
ich werde sofort aufftehen und weggeben, sonst wird sie sehr böse
sein! Aber wie sollte er das bewerkstelligen, obne sich zu verraten?
Schließlich schien cS ibm am besten, liegen zu bleiben, sich seinerseits
bemerkbar zu machen, dabei aber so zu tun, als schlafe er. Also warf
er geräuschvoll sein Buch zu Boden und schloß die Augen.
Das Trällern hörte sofort aus. Stille trat ein. Splate fühlte sich
beobachtet, atmete tief und regelmäßig und „schlief" vorzüglich. Nach
einer Weile aber wurde es ihm lästig, so zu verharren, und da er
nicht das leiseste Geräusch verncbmcn konnte, öffnete er vorsichtig ein
Auge und blinzelte zu der durchlöcherten Segeltuchwand hinüber.
Im selben Augenblick ward er angeredet. „Sie haben gar nicht
geschlafen," rief eine kecke, keineswegs verschüchterte Stimme. „Glau-
ben Sie, man schläft so ruhig, wenn einem die Sonne ins Gesicht
scheint?" Hinter einem besonders großen Riß des Segeltuches war
der Kopf der jungen Dame sichtbar. Sie blickte drohend herüber.
„Ich schlief," versicherte Splate ernsthaft, „wenn auch zulebt nur
noch aus Diskretion."
„Pah," rief das Mädchen; „wie kommen Sie überhaupt hierher?
Sie stiegen doch in KlaarSfeld aus?"
„Sie etwa nicht?" fragte er triumphierend.
„Ich hatte dort eine Depesche auszugeben," erklärte sie sachlich.
„Aber Sie! Sie verfolgen mich einfach; das finde ich geschmacklos!
Ich bin Studentin, ich verabscheue die Männer! Es gibt nichts
Lächerlicheres, als einen Mann."
„Und nichts Lieblicheres, als ein junges Mädchen!" sagte der
Dichter schlagfertig.
Sie errötete, sah zur Seite und erblickte das Buch auf dem
Boden. „Wie kommen Sie zu diesem Buch, das ich aus dem Fenster
warf?" verlangte sie zu wissen.
Splate überlegte eine Sekunde lang, ehe er Antwort gab. Dann
sagte er sehr beiläufig: „Es ist nicht das Ihre, es ist mein Exem-
plar."
„Es gefällt Ihnen wohl sehr gut," fragte sie spöttisch, „da der
Mann darin so heldenhaft und die Frau so minderwertig hingestcllt
wird?"
„Nun," erklärte Splate gefällig, „mir steht kein Urteil zu; ick
bin der Autor."
„Ach!" Eine Pause entstand, sie biß sich auf die Lippen und
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H. Heuser
zu einem Spaziergange Lust verspürte, machte er sichs auf dem zu
seinem Zimmer gehörenden Teile der großen Veranda bequem, die
das ganze Haus umkränzte. Da gab es einen Liegestuhl, und in den
legte sich Splate mit seinem Handexemplar jenes Romanes, der eine
so üble Behandlung erfahren hatte. Der Dichter blätterte darin
und versuchte zum soundsovielten Mele feftzuftellen, ob die Arbeit
auch wirklich etwas tauge, aber unversehens schlief er über dieser
Beschäftigung ein.
Als er erwachte, stand die Sonne schon tief im Westen. In
seinem Obre klang ein Gcräusck nack, und wie er nun Umschau hielt,
gewahrte er aus dem Bezirk der Veranda, der zum Nebenzimmer
gehörte und nur durch eine zerschlissene Segeltuchwand von ihm ge-
trennt war, ein Mädchen. Ein noch feuchter Badeanzug lag aus dem
hölzernen Geländer zum Trocknen ausgebreitct, das Mädchen selbst
hatte nichts auf dem Leibe, außer einem Bademantel. Sie trällerte
mit angenehmer Stimme vor sich bin und batte offenbar keine
Ahnung davon, daß sie belauscht wurde. Als sie sich umwandte, und
Splate ihr Gesicht scbcn konnte, erstarrte sein Blut. Sie war es.
Lautlos blieb er liegen. Rätsel, Rätsel! dachte er fast beglückt und:
ich werde sofort aufftehen und weggeben, sonst wird sie sehr böse
sein! Aber wie sollte er das bewerkstelligen, obne sich zu verraten?
Schließlich schien cS ibm am besten, liegen zu bleiben, sich seinerseits
bemerkbar zu machen, dabei aber so zu tun, als schlafe er. Also warf
er geräuschvoll sein Buch zu Boden und schloß die Augen.
Das Trällern hörte sofort aus. Stille trat ein. Splate fühlte sich
beobachtet, atmete tief und regelmäßig und „schlief" vorzüglich. Nach
einer Weile aber wurde es ihm lästig, so zu verharren, und da er
nicht das leiseste Geräusch verncbmcn konnte, öffnete er vorsichtig ein
Auge und blinzelte zu der durchlöcherten Segeltuchwand hinüber.
Im selben Augenblick ward er angeredet. „Sie haben gar nicht
geschlafen," rief eine kecke, keineswegs verschüchterte Stimme. „Glau-
ben Sie, man schläft so ruhig, wenn einem die Sonne ins Gesicht
scheint?" Hinter einem besonders großen Riß des Segeltuches war
der Kopf der jungen Dame sichtbar. Sie blickte drohend herüber.
„Ich schlief," versicherte Splate ernsthaft, „wenn auch zulebt nur
noch aus Diskretion."
„Pah," rief das Mädchen; „wie kommen Sie überhaupt hierher?
Sie stiegen doch in KlaarSfeld aus?"
„Sie etwa nicht?" fragte er triumphierend.
„Ich hatte dort eine Depesche auszugeben," erklärte sie sachlich.
„Aber Sie! Sie verfolgen mich einfach; das finde ich geschmacklos!
Ich bin Studentin, ich verabscheue die Männer! Es gibt nichts
Lächerlicheres, als einen Mann."
„Und nichts Lieblicheres, als ein junges Mädchen!" sagte der
Dichter schlagfertig.
Sie errötete, sah zur Seite und erblickte das Buch auf dem
Boden. „Wie kommen Sie zu diesem Buch, das ich aus dem Fenster
warf?" verlangte sie zu wissen.
Splate überlegte eine Sekunde lang, ehe er Antwort gab. Dann
sagte er sehr beiläufig: „Es ist nicht das Ihre, es ist mein Exem-
plar."
„Es gefällt Ihnen wohl sehr gut," fragte sie spöttisch, „da der
Mann darin so heldenhaft und die Frau so minderwertig hingestcllt
wird?"
„Nun," erklärte Splate gefällig, „mir steht kein Urteil zu; ick
bin der Autor."
„Ach!" Eine Pause entstand, sie biß sich auf die Lippen und
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