auf, den sie auswendig gelernt hatte: „Glauben Sie bitte nicht, daß
ich Ihnen geschrieben habe, weil ich mich Ihnen nähern will. Aller-
dings segle ich sehr gerne, aber das ist jetzt Nebensache. Ich will nur
ein Unrecht gutmachen. In diesen Tagen habe ich ununterbrochen
nachgedacht, und ich habe auch Ihren Roman noch einmal gelesen,
den ich mir, ohne daß Sie es bemerkten, heimlich aus Ihrem Zim-
mer verschaffte. Was ich damals über das Buch sagte, war eine an-
maßende Dummheit, und was ich damit tat, eine Roheit. Allerdings
wußte ich nicht, daß Sie, der Dichter, mir gegenübersaßen, aber ich
bitte trotzdem um Entschuldigung. Auch im übrigen habe ich mich
wohl nicht ganz paffend betragen, obwohl Sie in diesem Punkte viel-
leicht selbst nicht ganz ohne Schuld sind. Nachdem nun aber Ihr
Interesie für meine Person offenbar erloschen ist, erlaube ich mir,
Ihnen meine Kameradschaft anzubieten." Nach diesem sehr sorgfältig
vorgetragenen Wortgebäude atmete sie auf und streckte Splate die
Hand hin.
Er ergriff sie, nun ganz Herr der Situation, mit auserlesener
Höflichkeit, machte wiederum eine Verbeugung und antwortete: „Ge-
statten Sie mir bitte, mit meiner Antwort zu warten, bis wir auf
hoher See sind."
Sichtlich befriedigt von dem Eindruck ihrer Rede und erleichtert,
schlüpfte die junge Dame daraufhin mit des Dichters Beistand ins
Boot, legte aber doch die größtmögliche Distanz zwischen sich und
ihren Partner, indem sie ganz vorne am Bug Platz nahm. Splate
hantierte emsig und steuerte lächelnd und voll Courtoisie den Lugger
hinaus.
Als sie die Ufer hinter sich gelasien hatten und vor dem Winde
munter dahinrannten, begann er den Kopf zu schütteln, sich zu räu-
spern, und endlich sagte er: „Ich bitte um Verzeihung, aber wir
hätten bedeutend beffere Fahrt, wenn eö möglich wäre, den Kahn
vorne zu entlasten."
„Ist das wahr?" fragte mit einem zögernden Blick das Mädchen.
„Gewiß!"
Da kletterte sie gehorsam nach hinten und nahm so nahe bei ihm
Platz, daß er ihren Dust spürte und den Flaum auf ihrer Wange
sah. Und während sie nun mit dem Wind um die Wette dahinftürm-
ten, während der schwanke Kiel die Wogen zerschnitt und das Wasser
zerstäubte, daß eS sie beide benetzte, berührten sich ihre Kleider und
ihre Hände; sie lachten zusammen über die Wellenspritzer, die ihnen
die Böen ins Gesicht schütteten, und so vieles fiel von ihnen ab. So
leicht und frei und ungebunden und fröhlich schien die Welt, daß,
als das Mädchen endlich nach der Antwort des Dichters fragte, die-
ser ohne Zögern, ohne Erröten ihr ins Ohr rufen konnte:
„Ich liebe dich!"
Sommcrfreudcn
F
'.AA
E. L. Euler
527
ich Ihnen geschrieben habe, weil ich mich Ihnen nähern will. Aller-
dings segle ich sehr gerne, aber das ist jetzt Nebensache. Ich will nur
ein Unrecht gutmachen. In diesen Tagen habe ich ununterbrochen
nachgedacht, und ich habe auch Ihren Roman noch einmal gelesen,
den ich mir, ohne daß Sie es bemerkten, heimlich aus Ihrem Zim-
mer verschaffte. Was ich damals über das Buch sagte, war eine an-
maßende Dummheit, und was ich damit tat, eine Roheit. Allerdings
wußte ich nicht, daß Sie, der Dichter, mir gegenübersaßen, aber ich
bitte trotzdem um Entschuldigung. Auch im übrigen habe ich mich
wohl nicht ganz paffend betragen, obwohl Sie in diesem Punkte viel-
leicht selbst nicht ganz ohne Schuld sind. Nachdem nun aber Ihr
Interesie für meine Person offenbar erloschen ist, erlaube ich mir,
Ihnen meine Kameradschaft anzubieten." Nach diesem sehr sorgfältig
vorgetragenen Wortgebäude atmete sie auf und streckte Splate die
Hand hin.
Er ergriff sie, nun ganz Herr der Situation, mit auserlesener
Höflichkeit, machte wiederum eine Verbeugung und antwortete: „Ge-
statten Sie mir bitte, mit meiner Antwort zu warten, bis wir auf
hoher See sind."
Sichtlich befriedigt von dem Eindruck ihrer Rede und erleichtert,
schlüpfte die junge Dame daraufhin mit des Dichters Beistand ins
Boot, legte aber doch die größtmögliche Distanz zwischen sich und
ihren Partner, indem sie ganz vorne am Bug Platz nahm. Splate
hantierte emsig und steuerte lächelnd und voll Courtoisie den Lugger
hinaus.
Als sie die Ufer hinter sich gelasien hatten und vor dem Winde
munter dahinrannten, begann er den Kopf zu schütteln, sich zu räu-
spern, und endlich sagte er: „Ich bitte um Verzeihung, aber wir
hätten bedeutend beffere Fahrt, wenn eö möglich wäre, den Kahn
vorne zu entlasten."
„Ist das wahr?" fragte mit einem zögernden Blick das Mädchen.
„Gewiß!"
Da kletterte sie gehorsam nach hinten und nahm so nahe bei ihm
Platz, daß er ihren Dust spürte und den Flaum auf ihrer Wange
sah. Und während sie nun mit dem Wind um die Wette dahinftürm-
ten, während der schwanke Kiel die Wogen zerschnitt und das Wasser
zerstäubte, daß eS sie beide benetzte, berührten sich ihre Kleider und
ihre Hände; sie lachten zusammen über die Wellenspritzer, die ihnen
die Böen ins Gesicht schütteten, und so vieles fiel von ihnen ab. So
leicht und frei und ungebunden und fröhlich schien die Welt, daß,
als das Mädchen endlich nach der Antwort des Dichters fragte, die-
ser ohne Zögern, ohne Erröten ihr ins Ohr rufen konnte:
„Ich liebe dich!"
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