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Aktstudie Fritz Heubner

bin ich nicht mehr verwurzelt — ich liebe dies Land nur in seiner
sommerlichen Süße — — Ich bin der äußerste Ast eines hohen
Baumes, der seine Nahrung nicht mehr aus der Wurzel empfängt,
sondern sie aus der Luft saugen muß. Ich bin heimatlos wie ein Fun-
ken, der aus erlöschendem Feuer stiebt —: im freien Äther verbraucht
er sich leuchtend und erlischt. Das ist nicht einmal tragisch und kaum
traurig — : eS ist so."

Fredemann hebt den Kopf wie befreit — — da tönt ein seltsamer
Laut aus der fallenden Dämmerung — wie dumpfer Schrei aus
gequälter Kehle — und verhallt. Lauschend starrt Fredemann großen
Auges in die Nebelgespinfte, die wie flatternde Bänder vom Fluß
unten aufwehen —: nun ist es ganz still — —

Fredemann kennt diesen Schrei. Sehr ferne Erinnerungen weckt
er — ja das ist lange her — Wieder will er in Träume verfallen.
Da plötzlich steht Karin wirklich lebend neben ihm und fragt spöttisch:

„Dichtest du?"

Fredemann blickt auf:

„Karin — — ? Haft du ihn auch gehört - ?"

„Was?"

„Den Schrei aus der Dämmerung?"

Karin schüttelt lächelnd den Kopf. Sic ist blond. Aber es ist nicht
dies weiche seidene Blond, das sanft verliebt macht und so leicht
langweilig wird. Es ist ein sprödes knisterndes Bubenblond, ein
wenig ins rötliche spielend. Und Karins Gesicht ist auch nicht blond-
madonnenschön, sondern lebhaft-eckig und launisck-umspringend —
in einem Augenblick oft — aus keck-ausfallendem Spott in groß-
äugig-hingegebenes Staunen. Dieser Wechsel ist nun geschcben, als
sie fragt:

„Den Schrei aus der Dämmerung — ?"

„Die da unten würden verständnislos den Kopf schütteln, wenn
ich sie danach fragte — wie damals. Kommst du von unten?"

„Ja", nickt Karin. „Sie beraten über deine Zukunft und suchen
Gründe, dir dein Erbteil nicht auszahlen zu müsien, denn sie fürchten,
du würdest eS rasch verschwenden und dann der Familie zur Last
fallen. — — Dann ist Martin gekommen."

„Martin liebt dich — nicht wahr?"

„Was kümmert's mich? Er hat plumpe warme Hände, die manch-
mal feucht sind." Unterdrückter Ekel gräbt Falten um ihren knaben-
haften Mund. Sie wirft sich neben Fredemann ins Gras. „Erzähl'
du — — vom Schrei aus der Dämmerung."

„Das ist lange her — — " sagt Fredemann versonnen. Und wäh-
rend er — den Blick ins Weite verloren — zu erzählen beginnt, wird
das Vergangene wieder lebendig —: er ist wieder Kind mit kind-
lichem Wunderglauben und Kinderangst — — — — — — —

— — — Früh, als die Mutter gestorben war, hat der Vater ihn
in das großelterliche Haus gebracht — zu den Leuten „da unten" —,
um selbst auf weiten Reisen die Möglichkeiten neuen Lebens zu
suchen. Damals war Fredemann sechs Jahre alt.

Die lange Bahnfahrt hat das Kind ermüdet, ohne ihm Schlaf zu
bringen — im Zustand des Halbwachseins arbeitet seine Phantasie
fieberhaft erregt und baut das nur aus Erzählungen des Vaters be-
kannte Haus und das Leben darin verschwenderisch aus. — Ein
goldener Wagen mit acht schimmernden Schimmeln bespannt wird
am Babnbof warten. Die Pferde haben hohe Haarbüsche auf der
Stirn, die wild aufflattcrn, wenn sie, den Boden scharrend, den Kopf
aufwerfen. Hoch auf dem Bock sitzt der Kutscher in goldftrohendcr
Livree. Unter dem turmhohen Hut sieht man nur eine gewaltige
Nase aus wildem Haarwald ragen, denn die buschigen Brauen ver-
decken fast ganz die uralten Augen. Und sein schwarzer Bart hängt
steif von den Ohren bis tief auf die breite Brust. Gespenstisch ist
dieser Kutscher, aber ehrfurchteinflösend wie ein Märchenfürft. Ein
Wink von ihm wird genügen, um die Lakeien eilfertig zum Zug
springen zu lasten, damit sie die Wagentür ausreißen und die Gäste
zur Karosse geleiten — —

Fredemann ist sehr enttäuscht, als nur ein mürrisch-verschlafener
Bahnschaffner den Namen der Station ins Abteil schreit und
draußen neben dem Schlag des einfachen Landauers ein biederes
Baucrngcsicht aus derbem Tuchrock grinst — -: nun muß das Haus
die erträumten Wunder bringen.

Schwerfällig rumpelt der Wagen durch die abendlich-starre Pappel-

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Friedrich (Fritz) Heubner: Aktstudie
 
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