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. 2 9. Jahrgang
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1924 / Heft Nr. 23
DIE MÜCKE
NOVELLE VON HUBERT GRUNENBERG
Ich saß auf einer der Bänke in der Condamine zu Monaco und
sah einem deutschen Kohlendampfer nach. Plötzlich hörte ich eine
Stimme neben mir sagen: .Monsieur, uns moustMue sur votre
foue ßauelre!" Mechanisch gab ich mir mit der Rechten einen kleinen
Schlag auf die linke Backe und griff nach meinem Taschenspiegel,
dann wandte ich mich zu dem Unbekannten, der neben mir Platz ge-
nommen hatte. Es war ein aufgeschossener, hagerer Mann mit som-
mersprossigem Gesicht und roten Haaren. Ich dankte höflich für seine
Aufmerksamkeit. Er antwortete mir in deutscher Sprache mit öster-
reichischem Akzent: „Bitte, würden Sie mir eine Zigarre geben?"
Überrascht reichte ich ihm meine Tasche und beobachtete, wie seine
Mienen sich veränderten, als er mit zitternden Fingern nach einer
„Londres" griff. Unzweifelhaft hatte er lange nicht mehr geraucht,
und mit unsäglichem Behagen sah er jetzt dem blau emporwirbelnden
Dampf nach. Dann begann er wieder: „Sind Sie schon lange hier?"
Ich nickte. „Sie spielen, wenn ich fragen darf?" Etwas unwillig be-
jahte ich und erhob mich, denn ich hielt diese Anfragen, durch Er-
fahrung gewitzigt, für das Präludium einer Anleihe. Nachdem ich
etwa hundert Schritte gemacht hatte, schielte ich bei einer Krümmung
des Weges nach dem Fremden hinüber. Er saß noch immer auf der-
selben Stelle, ohne sich zu bewegen; fast sah es aus, als schliefe er.
Sicherlich war er ein herunterge-
kommener Spieler, der alles ver-
loren hatte und nun hier von Al-
mosen lebte. Trotzdem ich von die-
ser Sorte schon eine ganze Menge
an der Riviera angetroffen hatte,
ohne besonderes Mitleid für sie zu
empfinden, regte sich doch in mir
bei dem Anblick dieses Einen so
etwas wie ein gewisses Snm-
pathiegefühl. Den ganzen Tag
über mußte ich an ihn denken. Am
nächsten Morgen zog es mich, halb
unbewußt, zu der betreffenden
Bank hin. Es dauerte nicht lange,
so erschien er, grüßte mich durch
leichtes Anfassen des Hutes, sprach
mich aber nicht an. Diese Zurück-
haltung gefiel mir, und wie
gestern, nur diesmal aus freien
Stücken, bot ich ihm eine Zigarre
a». Er schüttelte den Kopf, aber
ich sah, wie er einen sehnsüchtigen
Blick auf das braune Kraut warf.
Ich wiederholte meine Offerte et-
was dringlicher. „Nein, nein, ich
danke Ihnen vielmals, mir ist heute
nicht recht wohl!" In der Tat be-
merkte ich, wie er zitterte, als er
sich erheben wollte. „Warten Sie,
ich begleite Sie!" rief ich ihm zu,
er aber schritt wie ein Trunkener
weiter. An der sIuaimauer mußte
er nach wenigen Schritten Halt machen und sich mit beiden Händen
stützen, um nicht umzusinken. Ich faßte ihn unter den Arm und führte
ihn in ein nahe gelegenes Cafe, wo ich ihm ein Glas Wein auf-
drang. Seine Schwäche mehr auf Hunger zurückführend, bestellte ich
am Büfett etwas für ihn und wandte mich dann leise unter einem
Vorwände zu einer Gruppe Billardspieler, um ihn nicht bei seinem
Mahle zu stören. Als ich nach ein paar Minuten auf die Terrasse
zurückkehrte, fand ich seinen Platz leer, die Speisen waren unberührt,
nur das Brot hatte er gegessen. Neben dem geleerten Glase lag ein
halber Frank. Von da an sahen wir uns täglich, und seither schlug
er niemals die obligate Zigarre aus. Doch war er niemals aus seiner
Reserve herauszubringen, selbst seinen Namen erfuhr ich nicht.
Eines Tages lud ich ihn ein, mich nach Mentone zu begleiten. Er
zauderte, suchte allerlei Vorwände, um die Partie abzuschlagen, und
schließlich gestand er mir, daß er kein Geld besitze. „Aber Sie sind
ja mein Gast!" rief ich etwas ärgerlich. Statt aller Antwort zog er
aus seiner Rocktasche ein kleines Paket hervor und hielt es mir hin,
nachdem er eS geöffnet hatte. Es enthielt ein einfaches Medaillon
aus weißem Metall mit dem Bilde einer jungen Frau. „Wollen Sie
mir darauf zehn Franken leihen? Es ist Platin, nicht Silber, wie
Sie vielleicht denken! Freilich wohl kaum zehn Franken wert, aber
für mich unbezahlbar! Wollen
Sie?" Ich schob seine Hand zurück
und erwiderte: „Behalten Sie Ihr
Medaillon; hier haben Sie die
zehn Franken. Geben Sie mir sie
zurück, wenn Sie können!" Mit
einem unbeschreiblichen Ausdruck
sah er mir ins Gesicht, dann ant-
wortete er mit fast heiserem Tone:
„Herr, kennen Sie mich denn?
Wollen Sie mich beleidigen? Ich
bitte Sie, nehmen Sie das Ding!"
fuhr er leise fort. „Bei Ihnen
ist's besser aufgehoben als bei mir!"
Es machte mir viele Mühe ihn ab-
zuwehren, denn mit Gewalt wollte
er mir das eingcwickelte Bijou in
die Hände drücken. Ein derartiger
Charakter war mir in Monaco
noch nie vorgekommen. Nach ein
paar Minuten erwiderte ich trok-
ken: „Sie haben sich in meiner
Person geirrt; ich bin kein Pfand-
leiher!" Jetzt sing er an zu lachen:
„Lassen Sie uns ausbrechen!"
Schweigend waren wir eine Zeit
lang nebeneinander gegangen; end-
lich begann er: „Sie halten mich
offenbar für einen merkwürdigen
Kauz; ich halte Sie für einen noch
merkwürdigeren, weil Sie einem
Fremden gleich zehn Franken lei-
hen, ohne das „Wer? Wie? Wo?
St. Georg Jos. Plenk
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DIE MÜCKE
NOVELLE VON HUBERT GRUNENBERG
Ich saß auf einer der Bänke in der Condamine zu Monaco und
sah einem deutschen Kohlendampfer nach. Plötzlich hörte ich eine
Stimme neben mir sagen: .Monsieur, uns moustMue sur votre
foue ßauelre!" Mechanisch gab ich mir mit der Rechten einen kleinen
Schlag auf die linke Backe und griff nach meinem Taschenspiegel,
dann wandte ich mich zu dem Unbekannten, der neben mir Platz ge-
nommen hatte. Es war ein aufgeschossener, hagerer Mann mit som-
mersprossigem Gesicht und roten Haaren. Ich dankte höflich für seine
Aufmerksamkeit. Er antwortete mir in deutscher Sprache mit öster-
reichischem Akzent: „Bitte, würden Sie mir eine Zigarre geben?"
Überrascht reichte ich ihm meine Tasche und beobachtete, wie seine
Mienen sich veränderten, als er mit zitternden Fingern nach einer
„Londres" griff. Unzweifelhaft hatte er lange nicht mehr geraucht,
und mit unsäglichem Behagen sah er jetzt dem blau emporwirbelnden
Dampf nach. Dann begann er wieder: „Sind Sie schon lange hier?"
Ich nickte. „Sie spielen, wenn ich fragen darf?" Etwas unwillig be-
jahte ich und erhob mich, denn ich hielt diese Anfragen, durch Er-
fahrung gewitzigt, für das Präludium einer Anleihe. Nachdem ich
etwa hundert Schritte gemacht hatte, schielte ich bei einer Krümmung
des Weges nach dem Fremden hinüber. Er saß noch immer auf der-
selben Stelle, ohne sich zu bewegen; fast sah es aus, als schliefe er.
Sicherlich war er ein herunterge-
kommener Spieler, der alles ver-
loren hatte und nun hier von Al-
mosen lebte. Trotzdem ich von die-
ser Sorte schon eine ganze Menge
an der Riviera angetroffen hatte,
ohne besonderes Mitleid für sie zu
empfinden, regte sich doch in mir
bei dem Anblick dieses Einen so
etwas wie ein gewisses Snm-
pathiegefühl. Den ganzen Tag
über mußte ich an ihn denken. Am
nächsten Morgen zog es mich, halb
unbewußt, zu der betreffenden
Bank hin. Es dauerte nicht lange,
so erschien er, grüßte mich durch
leichtes Anfassen des Hutes, sprach
mich aber nicht an. Diese Zurück-
haltung gefiel mir, und wie
gestern, nur diesmal aus freien
Stücken, bot ich ihm eine Zigarre
a». Er schüttelte den Kopf, aber
ich sah, wie er einen sehnsüchtigen
Blick auf das braune Kraut warf.
Ich wiederholte meine Offerte et-
was dringlicher. „Nein, nein, ich
danke Ihnen vielmals, mir ist heute
nicht recht wohl!" In der Tat be-
merkte ich, wie er zitterte, als er
sich erheben wollte. „Warten Sie,
ich begleite Sie!" rief ich ihm zu,
er aber schritt wie ein Trunkener
weiter. An der sIuaimauer mußte
er nach wenigen Schritten Halt machen und sich mit beiden Händen
stützen, um nicht umzusinken. Ich faßte ihn unter den Arm und führte
ihn in ein nahe gelegenes Cafe, wo ich ihm ein Glas Wein auf-
drang. Seine Schwäche mehr auf Hunger zurückführend, bestellte ich
am Büfett etwas für ihn und wandte mich dann leise unter einem
Vorwände zu einer Gruppe Billardspieler, um ihn nicht bei seinem
Mahle zu stören. Als ich nach ein paar Minuten auf die Terrasse
zurückkehrte, fand ich seinen Platz leer, die Speisen waren unberührt,
nur das Brot hatte er gegessen. Neben dem geleerten Glase lag ein
halber Frank. Von da an sahen wir uns täglich, und seither schlug
er niemals die obligate Zigarre aus. Doch war er niemals aus seiner
Reserve herauszubringen, selbst seinen Namen erfuhr ich nicht.
Eines Tages lud ich ihn ein, mich nach Mentone zu begleiten. Er
zauderte, suchte allerlei Vorwände, um die Partie abzuschlagen, und
schließlich gestand er mir, daß er kein Geld besitze. „Aber Sie sind
ja mein Gast!" rief ich etwas ärgerlich. Statt aller Antwort zog er
aus seiner Rocktasche ein kleines Paket hervor und hielt es mir hin,
nachdem er eS geöffnet hatte. Es enthielt ein einfaches Medaillon
aus weißem Metall mit dem Bilde einer jungen Frau. „Wollen Sie
mir darauf zehn Franken leihen? Es ist Platin, nicht Silber, wie
Sie vielleicht denken! Freilich wohl kaum zehn Franken wert, aber
für mich unbezahlbar! Wollen
Sie?" Ich schob seine Hand zurück
und erwiderte: „Behalten Sie Ihr
Medaillon; hier haben Sie die
zehn Franken. Geben Sie mir sie
zurück, wenn Sie können!" Mit
einem unbeschreiblichen Ausdruck
sah er mir ins Gesicht, dann ant-
wortete er mit fast heiserem Tone:
„Herr, kennen Sie mich denn?
Wollen Sie mich beleidigen? Ich
bitte Sie, nehmen Sie das Ding!"
fuhr er leise fort. „Bei Ihnen
ist's besser aufgehoben als bei mir!"
Es machte mir viele Mühe ihn ab-
zuwehren, denn mit Gewalt wollte
er mir das eingcwickelte Bijou in
die Hände drücken. Ein derartiger
Charakter war mir in Monaco
noch nie vorgekommen. Nach ein
paar Minuten erwiderte ich trok-
ken: „Sie haben sich in meiner
Person geirrt; ich bin kein Pfand-
leiher!" Jetzt sing er an zu lachen:
„Lassen Sie uns ausbrechen!"
Schweigend waren wir eine Zeit
lang nebeneinander gegangen; end-
lich begann er: „Sie halten mich
offenbar für einen merkwürdigen
Kauz; ich halte Sie für einen noch
merkwürdigeren, weil Sie einem
Fremden gleich zehn Franken lei-
hen, ohne das „Wer? Wie? Wo?
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