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und Warum?" zu kennen. Wenn es Sie interessiert, will ich Ihnen
die Geschichte meines Lebens erzählen. Sie erinnern sich, daß ich Sie,
als wir uns das erste Mal sahen, vor einem Moskito warnte?" Ich
nickte; er fuhr fort: „Ich weiß nicht, ob Sie je in Kärnten waren.
In einem der verstecktesten Alpenwinkel, wo man alle Schönheiten
der Natur vereinigt, aber leider Gottes verflucht wenig Geld findet,
bin ich geboren. Meine Jugend will ich übergehen. Pardon, ich bin
kein geläufiger Erzähler; sind Sie abergläubisch?" Ich verneinte
erstaunt. „Sehen Sie, ein wichtiges Moment aus meinen jungen
Jahren hätte ich fast vergessen. Ich war 17 Jahre alt und über die
Ohren in ein Fräulein Rosa M. verliebt. Weiß der Himmel, wie
es zuging — ich sah damals wohl hübscher aus — kurz, sie verhielt
sich durchaus nicht abweisend gegen mich. Wir trafen uns heimlich,
und bald war es mit dem Platonismus vorbei. Einmal gingen wir
zusammen auf einen freien Waldplatz, wo Zigeuner kampierten;
Rosa bestand darauf, sich wahrsagen zu lassen. Was sie hörte, er-
fuhr ich nicht, ich weiß nur, daß die Alte ihr verschmitzt lächelnd mit
dem Finger drohte. Nun kam die Reihe an mich. Als das Scheusal
meine Hand lange betrachtet hatte, und ich bereits erwartete, Glück
und Reichtum in Fülle auf mich herab prophezeien zu hören, stieß
die Hexe plötzlich einen lauten Schrei aus und schüttelte heftig den
Kopf. Natürlich machte mich das neugierig; ich drang in sie, mir
alles zu sagen. Lassen Sie mich kurz sein: schließlich erklärte sie
mir aufs bestimmteste, ich würde durch eine Mücke sterben. Ich lachte
darüber und wandte mich zu meiner Geliebten, die mit fest aufein-
andergepreßten Lippen, so bleich, wie ich sie niemals gesehen, der
Szene beiwohnte. Ich glaubte damals in ihren Augen ein ähnliches
Funkeln wie bei einem Raubtier wahrzunehmen. Vielleicht täuschte

ich mich — doch lassen Sie uns hier in dieser Buvette ein Glaö
Wein trinken!" Er wischte sich den Schweiß von der Stirne, tat
einen vollen Zug von dem starken Landwcin und fuhr dann fort, als
wir weitergingen: „Ja! das macht Leben! — Ich will die darauf-
folgenden vier bis fünf Jahre übergehen. Ich heiratete Rosa, ob-
wohl ich von verschiedenen Seiten gewarnt wurde. Mein Vater war
tot, und auf meine Mutter hörte ich nicht. Da meine Frau, ebenso
wie ich, ein kleines Vermögen besaß, was zusammen zur Kaution
ausreichte, wurde ich Offizier, was damals mit gar keinen Schwierig-
keiten verbunden war. Dem Umstande, daß Rosa ein paar angesehene
Verwandte besaß, habe ich es wohl zuzuschreiben, daß ich bald nach
Pest versetzt wurde — damals lag noch österreichisches Militär in
Ungarn. Ich glaube, bis dahin hatte mich meine Frau, wenn auch
nicht geliebt, so doch geachtet. Aber als wir ein paar Wochen in die-
ser kostspieligen Stadt gelebt hatten und ich auf Einschränkung
drang — da lachte sie mir höhnisch ins Gesicht, und wir hatten
unseren ersten ernsthaften Streit. Nicht wahr, Sie wundern sich,
daß ich Ihnen das alles erzähle? Weil ich einen Strich durch das
Konto meines früheren Lebens gemacht habe! Der damalige Leut-
nant Berger — mein Name ist für mich jetzt eine wildfremde Per-
sönlichkeit, die ich momentan nur nach der psychologischen Seite be-
trachte —" — Dieser Satz warf ein helles Streiflicht auf den
Charakter meines Begleiters, dessen Geist offenbar krankhaft über-
reizt war. Sicherlich war seine unverblümte, naiv-einfache Erzählung
nicht ein Produkt der auf seine Sturm- und Drangperiode folgenden
Reaktion, sondern der Reflex eines ihm angeborenen Pessimismus.
„Sie ersann," setzte er seine Schilderung fort, „alle möglichen
Listen und Tücken, um mich zu ärgern und zu kränken; sie war un-

Ruhende Carl Schwalbach

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Carl Schwalbach: Ruhende
 
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