formierten. Dann war
es wieder eine Art in
Form einer Sieben, mit
der ich das schreckliche
Gespenst auf meinem
Kopfe erschlug. Als es
zu Boden fiel, gruppier-
ten sich feine Beine und
Flügel zu einer riesen-
haften Ziffer, der ge-
nannten 36. Ick) er-
wachte in Schweiß ge-
badet. Als ich wieder ein-
gcschlafen war, träumte
ich, ich läge auf einem
grünen Rasenfleck und
starrte unverwandt in
die Sonne. Neben mir
waren noch andere Wie-
senflächen, alle ungefähr
von der Größe eines
Spieltisches. Plötzlich
drang ein schwarzer
Schatten mitten in das
leuchtende Gestirn, und
ich erkannte die scharfen
Konturen der schon
zweimal geträumten dop-
pelstclligeu Zahl. Fast
in demselben Augenblick
aber verwandelte sich
alles in eine in hellstem
Glanze strahlende Sie-
ben. Dieser Tisch hier
entspricht meinem Ra-
senteil!" Aufs höchste
erschrocken sah ich ihm
ins Gesicht; denn es
war mir klar geworden,
daß ich einen Geistes-
kranken vor mir hatte.
Während wir schweigend
dasaßen, drang vom
Tisch her der scharf
hervorgestoßene Ruf:
Crente-six, Rouge,
Pair et Passe! zu uns.
Mit glühenden Augen
stürzte mejn Freund zu
dem Tableau, zog mit
zitternden Händen aus
allen Taschen sein Geld
hervor und setzte auf 7,
die Transversalen, Karrees, Dutzende, Kolonnen und alle Chancen,
die mit der geträumten Zahl in Verbindung standen, alles, was er
besaß. Ich wußte, er war ruiniert, wenn er verlor und wollte ihn
zurückhalten; er schüttelte mich ab. Lachend betrachteten ihn die Be-
amten, verwundert die anderen Spieler. Jetzt rollte die Kugel, an-
fangs in schnellem Tempo, dann immer langsamer, jetzt sagte der
drehende Croupier sein stereotypes: „Le jeu est fait, rien ne va
plus!“ In jedem Augenblick mußte das kleine Elfenbeinftückchen
seinen Lauf beenden. Wie gebannt hafteten meine Blicke darauf;
was sich in einer Zehnielsekunde abspielte, schien mir eine Ewigkeit
zu dauern. Jetzt hielt die Kugel unmittelbar vor Sieben, aber die
Scheibe drehte sich langsam weiter und weiter. Ich warf einen Blick
in das leere Kästchen, das die verhängnisvolle Zahl enthielt, und
konnte kaum einen leisen Schrei unterdrücken; hinten, fast am
Rande, befand sich, beinahe nicht bemerkbar, ein kleiner Moskito. In
der kürzesten Zeit beob-
achtete ich, wie er sich
putzte, mit den laugen
Beinen über die Flügel
strich, dann sich gelaffen
zum Fortfliegen an-
schickte, aber schließlich
sitzen blieb. In diesem
Augenblick fiel die
Boule hinunter, prallte
an dem glatten Mes-
singkegel ab und suchte
sich in einem Fach ihr
Ziel. Es war in der
Tat die Nummer Sie-
ben. Ich sah, wie die
Kugel immer näher und
näher an das Insekt
herandrang, jetzt hatte
sie es erreicht, es umge-
worfen, aber das so ge-
ringe Hindernis hatte
genügt, sie abzulenken
und aus der bereits ge-
wählten Zahl herauszu-
treiben. Sie fiel neben-
bei in 29. Ein Seufzer
entrang sich meiner
Brust; ich dachte an den
Österreicher und sah
mich nach ihm um. Ent-
setzlich hatten sich seine
Züge verändert, aber
nicht das Roulette be-
trachtete er, sondern
eine ihm gegenüber-
stehende Dame, die ihn
ebenso gespannt beob-
achtete. Er stieß einen
unartikulierten Schrei
aus, wie ein zu Tode
gepeinigtes Tier, und
suchte sich mit Gewalt
einen Weg zu ihr zu
bahnen. Während die
Croupiers sein Geld
einscharrten, hörte ich
das Knacken eines Re-
volverhahnS; ein dump-
fer Knall folgte. Ge-
heimpolizisten und Die-
ner drängten die Leute
fort und nach fünf Mi-
nuten erinnerte nichts mehr an den Vorfall. Was geschehen war,
habe ich nie erfahren, ich sah weder ihn noch die Dame je wieder.
Zufällig kam ich zur Zeit der diesjährigen Ausstellung in Berlin
mit einem österreichischen Hauptmann zusammen, dem ich die Ge-
schichte erzählte. Er lachte erst, wurde aber dann plötzlich sehr ernst.
„Den Mückerich," sagte er, „den kannte ich ganz gut! Der arme Teufel
hat in seiner Jugend durch irgendeinen Zufall, den man nicht kennt,
einen „Stich" wegbekommen. Mag man seiner Frau vorwerfen,
was man will, jedenfalls hat sie ihn sehr geliebt und alles für ihn
geopfert. Sie wissen, er litt an Verfolgungswahn. Man brachte ihn
zeitweise in eine Anstalt, und der Leiter derselben, ein berühmter
Nervenarzt, kam auf die Idee, durch eine heftige geistige Erschütte-
rung sein gestörtes seelisches Gleichgewicht wieder herzuftellcn. Man
hat alles Mögliche versucht; da er immer eine höllische Scheu vor
den Mücken hatte, wollte man ihm zeigen, wie ungefährlich die Dinger
Heilige Stunde Alfred Glatter ch
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es wieder eine Art in
Form einer Sieben, mit
der ich das schreckliche
Gespenst auf meinem
Kopfe erschlug. Als es
zu Boden fiel, gruppier-
ten sich feine Beine und
Flügel zu einer riesen-
haften Ziffer, der ge-
nannten 36. Ick) er-
wachte in Schweiß ge-
badet. Als ich wieder ein-
gcschlafen war, träumte
ich, ich läge auf einem
grünen Rasenfleck und
starrte unverwandt in
die Sonne. Neben mir
waren noch andere Wie-
senflächen, alle ungefähr
von der Größe eines
Spieltisches. Plötzlich
drang ein schwarzer
Schatten mitten in das
leuchtende Gestirn, und
ich erkannte die scharfen
Konturen der schon
zweimal geträumten dop-
pelstclligeu Zahl. Fast
in demselben Augenblick
aber verwandelte sich
alles in eine in hellstem
Glanze strahlende Sie-
ben. Dieser Tisch hier
entspricht meinem Ra-
senteil!" Aufs höchste
erschrocken sah ich ihm
ins Gesicht; denn es
war mir klar geworden,
daß ich einen Geistes-
kranken vor mir hatte.
Während wir schweigend
dasaßen, drang vom
Tisch her der scharf
hervorgestoßene Ruf:
Crente-six, Rouge,
Pair et Passe! zu uns.
Mit glühenden Augen
stürzte mejn Freund zu
dem Tableau, zog mit
zitternden Händen aus
allen Taschen sein Geld
hervor und setzte auf 7,
die Transversalen, Karrees, Dutzende, Kolonnen und alle Chancen,
die mit der geträumten Zahl in Verbindung standen, alles, was er
besaß. Ich wußte, er war ruiniert, wenn er verlor und wollte ihn
zurückhalten; er schüttelte mich ab. Lachend betrachteten ihn die Be-
amten, verwundert die anderen Spieler. Jetzt rollte die Kugel, an-
fangs in schnellem Tempo, dann immer langsamer, jetzt sagte der
drehende Croupier sein stereotypes: „Le jeu est fait, rien ne va
plus!“ In jedem Augenblick mußte das kleine Elfenbeinftückchen
seinen Lauf beenden. Wie gebannt hafteten meine Blicke darauf;
was sich in einer Zehnielsekunde abspielte, schien mir eine Ewigkeit
zu dauern. Jetzt hielt die Kugel unmittelbar vor Sieben, aber die
Scheibe drehte sich langsam weiter und weiter. Ich warf einen Blick
in das leere Kästchen, das die verhängnisvolle Zahl enthielt, und
konnte kaum einen leisen Schrei unterdrücken; hinten, fast am
Rande, befand sich, beinahe nicht bemerkbar, ein kleiner Moskito. In
der kürzesten Zeit beob-
achtete ich, wie er sich
putzte, mit den laugen
Beinen über die Flügel
strich, dann sich gelaffen
zum Fortfliegen an-
schickte, aber schließlich
sitzen blieb. In diesem
Augenblick fiel die
Boule hinunter, prallte
an dem glatten Mes-
singkegel ab und suchte
sich in einem Fach ihr
Ziel. Es war in der
Tat die Nummer Sie-
ben. Ich sah, wie die
Kugel immer näher und
näher an das Insekt
herandrang, jetzt hatte
sie es erreicht, es umge-
worfen, aber das so ge-
ringe Hindernis hatte
genügt, sie abzulenken
und aus der bereits ge-
wählten Zahl herauszu-
treiben. Sie fiel neben-
bei in 29. Ein Seufzer
entrang sich meiner
Brust; ich dachte an den
Österreicher und sah
mich nach ihm um. Ent-
setzlich hatten sich seine
Züge verändert, aber
nicht das Roulette be-
trachtete er, sondern
eine ihm gegenüber-
stehende Dame, die ihn
ebenso gespannt beob-
achtete. Er stieß einen
unartikulierten Schrei
aus, wie ein zu Tode
gepeinigtes Tier, und
suchte sich mit Gewalt
einen Weg zu ihr zu
bahnen. Während die
Croupiers sein Geld
einscharrten, hörte ich
das Knacken eines Re-
volverhahnS; ein dump-
fer Knall folgte. Ge-
heimpolizisten und Die-
ner drängten die Leute
fort und nach fünf Mi-
nuten erinnerte nichts mehr an den Vorfall. Was geschehen war,
habe ich nie erfahren, ich sah weder ihn noch die Dame je wieder.
Zufällig kam ich zur Zeit der diesjährigen Ausstellung in Berlin
mit einem österreichischen Hauptmann zusammen, dem ich die Ge-
schichte erzählte. Er lachte erst, wurde aber dann plötzlich sehr ernst.
„Den Mückerich," sagte er, „den kannte ich ganz gut! Der arme Teufel
hat in seiner Jugend durch irgendeinen Zufall, den man nicht kennt,
einen „Stich" wegbekommen. Mag man seiner Frau vorwerfen,
was man will, jedenfalls hat sie ihn sehr geliebt und alles für ihn
geopfert. Sie wissen, er litt an Verfolgungswahn. Man brachte ihn
zeitweise in eine Anstalt, und der Leiter derselben, ein berühmter
Nervenarzt, kam auf die Idee, durch eine heftige geistige Erschütte-
rung sein gestörtes seelisches Gleichgewicht wieder herzuftellcn. Man
hat alles Mögliche versucht; da er immer eine höllische Scheu vor
den Mücken hatte, wollte man ihm zeigen, wie ungefährlich die Dinger
Heilige Stunde Alfred Glatter ch
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