Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MIMMI WILL NICHT INS WASSER

VON ADOLF HARTMANN-TR EPKA

Lcuthold Meyer betrachtete oft geraume Zeit die Backen seines
Chefs Chaim Springwut, Damenwäsche im großen und im kleinen.
Ein anderer junger Mann hätte in seinem Falle vielleicht mit den
Rachercquisitcn unwahrscheinlicher Kinoromantik gelicbäugclt. Aber
Meyer, eine schlichte Natur, war für das in: Bereich des Möglichen
Liegende, und es wäre ihm schon Glücks genug gewesen, wenn er
ihm so eine richtige ...

Friedlich, wie ein Wiesenbächlcin bei Eichcndorff, war seinem
Prinzipal und ihm das Leben dahingczockelt. Da, so gegen Ende
April kam als allererster Kurgast, denn man befand sich in einem
Wcltbadeort, eine von denen, von denen wir nicht lasten können.
Mimmi Billig, eine Private, stieg in Begleitung eines gemessenen
Herrn, den wir, ihren Angaben Glauben schenkend, glatt und ohne
unsachliche Floskeln ebenfalls als Onkel hinnehmen wollen, in einem
ersten Hotel ab. Und seitdem sie das Geschäft SpringwntS betreten,
und in mädchenhafter Verwirrung dem vor Wonne bibbernden Chef
die Größcnmaße von Dingen zugeflüstcrt hatte, an die erst Männer
von über sechzig mit einiger Ruhe denken können, und Springwut
dem um ihre Blicke winselnden Meyer Erniedrigungen auf Ernie-
drigungen schuf, — seitdem war das oben erwähnte Wunschgefühl
in Meyer so stark, daß er cs fast nicht mehr zu bändigen vermochte.
Trotzdem mußte sich der junge Mann, doppelt hart in seiner Lage,
noch ducken, denn er war nur ein mittelloser Angestellter, freilich
jung und fesch, während Springwut, wenn auch alt und abgenützt,
doch reich und angesehen war.

Wie ergreifend könnte diese Geschichte werden, wenn zu berichten
wäre, daß Fräulein Billig sich dem armen Lcuthold in glühendem
Sehnen neigte. Doch leider, leider — während Meyer verdrossen
einigen Rückenmärklern, die ibrcr Fahne bis zum letzten Augenblicke
treu blieben, Gcradehalter verkaufte, saß Springwut mit Mimmi
beim fife o’clock. Chaim war zwar guter, aber nicht allerbester
Laune, denn so nett seine Schöne auch zu ihm war, endlich mußte sie
doch... die Sache ging nicht in Ordnung — wer mich je verstan-
den hat, wird mich auch jetzt verstehen. Die Jazz-band-Kapellc rüstete
sich zu einer Pause, und Mimmi schaute mit oft erprobten, traum-
verlorenen Blicken in unirdische Fernen. Springwut biß sofort an,
und fragte, so weich er konnte, ob die Sahnenbaisers nicht mehr
frisch gewesen seien. Fräulein Billig wandte ihm das Haupt zu, wie
Astarte ihrem Manfred.

„Ach lieber Freund," flortc ibre Stimme, „wenn Sic wüßten,
welch' ein tragisches Schicksal mein Leben überschattet.. ."

„Wieviel brauchen Sie denn sofort?" fragte Springwut, der vor-

wärts kommen wollte, und machte eine entschlossene Bewegung nach
der Brieftasche.

Das Fräulein errötete sehr gut. „Wie kommen Sie zu einer sol-
chen Frage?" zürnte sie mit edlem Anstand, legte aber doch nicht so
viel Entrüstung in ihren Ton, als daß sic nicht später einmal auf
dieses Thema hätte zurückkommen können.

Springwut fühlte, daß hier seine Erfahrungen nicht auSrcichten,
und die Sache schien ihm aussichtslos wie der Prozeß gegen eine
Hebamme, die einem eine lächerliche Kopfform zurecht gemodelt hat.
Wollte es Mimmi dem Dornröschen an Sittsamkcit gleich tun, die
sieben Jahre, Träume freibleibend, ganz allein dahin döste?

Es tat Fräulein Billig in der Seele weh, Springwut enttäuschen
zu müssen. Die Angst, ihn zu verlieren, trieb ihr echte Tränen in die
lustigen Augen, war er doch der einzige Aktivposten, den sie ihrer
stetig anschwellendcn Hotelrechnung entgcgcnstellcn konnte. Sie schlug
die prachtvollen Beine so tolerant übereinander, daß sie aussah wie
das Rcklamebild einer Strumpffabrik, und Springwut beschloß,
seine Dessous Marke „Yvonne“ nächstens noch hauchiger zu halten.

„Wie denken Sie über Katharina II. von Rußland?" brach
Mimmi etwas zögernd die ihr gefährlich scheinende NachdenklichkeitS-
fermate ihres Scladons ab.

Springwut zuckte zusammen wie ein Filmdircktor, dem der cr-
greiste Erstgeborene seiner Diva vorgestellt wird. War seine An-
gebetete plötzlich toll geworden? Ängstlich bekannte er, nur vage
Kenntnisse über Katharina zu haben, denn einen Lozelcch von ihr
und fünf Dragonern hielt er für geschichtlich unbewiesen. Mimmi
aber lächelte entzückend nachsichtig und plapperte in einem Sauser
herunter: „Katharina II„ geboren am 2. Mai 1729 zu Stettin,
Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst, vermählte
sich am 1. September 1745 mit Peter III. von Rußland, der am
5. Januar 1762 den Thron bestieg. Riß nach dessen Ermordung am
17. Juli die Regierung an sich, vergrößerte das Land auf Kosten
Polens und der Türkei und starb am 17. November 1796."

Springwut verlor kein Wort mehr, zahlte düster und sab, daß
ihn sein Schicksal bestimmte, einer entgleisten Gouvernante als
Übergangsstation zu einem froher beschwingten Berufe zu dienen.

Als er sein Geschäft betrat, teilte ihm Lcuthold Meyer in schar-
fem Telegrammstil mit, daß er hicmit, wirksam ab sofort, kündige.
MeycrS Onkel, ein Kaufmann von größten Ausmaßen, war gestor-
ben und hatte ihm siebenundzwanzig Waggon ff. kondensierte Milch
hinterlassen. Sicher wollte er sich, auf einen naßkalten Sommer
rechnend, mit diesen Unmengen Milch gesund schachern, ging aber

607
Register
Adolf Hartmann-Trepka: Mimmi will nicht ins Wasser
 
Annotationen