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an lächerlich wenig Zucker zugrunde. Spriugwut schnupperte schwere
Profite, er stellte sich, warum sollte er bei so vielen erhabenen Vor-
bildern erröten, auf den Boden der Tatsachen und schweinigelte
Meyern nach allen Regeln der Kunst. Dieser war gegen so viele
Liebenswürdigkeit wehrlos, er dachte zwar an die fällige Watsche,
erhob aber seine Rechte so ohne allen inneren Schwung, daß ihn
Springwut mißverstand und sie ihm herzlich drückte. So wurde, wie
ce so oft im Leben vorkommt, aus einer zugedachten Ohrfeige ein
schci — »freundliches Händeschütteln.

Die Bahnverwaltung drängte Meyer zur Abnahme der Milch-
büchsen, und es zeigte sich, daß ihm Springwut gegen Gewinnanteil
gerne seinen großen Lagerplatz zur Verfügung stellte. — Das Milch-
geschäft schien sich vortrefflich anzulassen. Hotels und Kuranstalten
machten riesige Anstrengungen, sich Vorräte für ein voraussichtlich
sehr schlechtes Jahr zu sichern, Meyer hatte die goldenen Vögel in
der Hand, er brauchte sie nur zu schließen. Er hielt jedoch seine
Milch zurück und verlangte stets das Doppelte des Angebotcnen.

Edle Frauen trägt die Erde, die das Manna ihrer Liebe an er-
wählte Männer verschenken und verschwenden, bis sich die Gierigen
übersatt und danklos von der Tafel wälzen. Doch viele, viele andere
des uns kostspielige Rosen ins Leben flechtenden Geschlechts sorgen
nur nach irdischem Gut. Vergebens sitzt du, armer Dichter, auf
deinem Koffer, zu dem dir die Wirtin den Schlüssel beschlagnahmt
hat, und polierst deinen Geist zu letztem Funkeln, um ihr, altem
Herkommen zum Hohn, einige Stanzen auf das kleine Möbel neben

ihrem Himmelbett legen zu können. Doch die lustige Schelmin kniet
nieder, richtet sich, deinen Hosenboden als Spiegel benützend, lachend
die Locken und fragt dich, ob sie dir als altem Freund, ihr Baron
esse fast nichts, Reste vom Abendtisch anbieten dürfe. Auch Fräulein
Billig tat, was ihr gemäß war, sie ließ Springwut sitzen und ging
zu Meyer über.

Chaim war wütend, denn tut einem eine Frau das an, was man
eigentlich mit ihr vor hatte, ärgert einen das ganz besonders, und
weit schlimmer: man liebt sie aufS neue.

Meyer nahm bereitwilligst zur Verfügung gestellte Kredite auf
und wurde in den Augen MimmiS ein wahrer Kavalier, das heißt
er gab ihr die Summen, die er erst verdienen mußte, für Dinge, die
er noch nicht erhalten hatte. Und so mußte auch Meyer den Fünf-
Uhr-Tee, zu dem liebende Frauen den Freund, alles verheißend, ein-
laden, und bei dem sie, falls er ernsten Prüfungen doch nicht stand-
hält, auch wieder alles harmlos zurücknehmen können, ebenso wie
Springwut in der Diele des Kurhotels trinken. An keinem Tisch
war von etwas anderem zu hören, als von dem bevorstehenden
Sommernachtstraumfest, bei dem Damen der Gesellschaft, so weit
es die unbedingt nötigen Voraussetzungen zuließen, badende Nym-
phen darstellen sollten. Das Aufregende war, daß diejenige, die sich
in allem einer Nymphe am meisten näherte, ein Brillantdiadcm als
Preis erhalten sollte. Meyer war, wie jeder echte SchönheitSsuchcr,
von dieser Idee geradezu fiebrig begeistert und sah seltene Gelegen-
heiten dämmern.
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Hermann Ebers: Vitte auf Hiddensee
 
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