Kahnpartie
neue, er hatte nachts Alpdrücken und sah Chaim und Mimmi aus
seiner Bettdecke jazzc» und schlimmeres, und es war leicht zu be-
rechnen, wann er völlig ausgefranst am Ende war.
Es wurde heiß. Sehr heiß. Meyer stand aus der Kurpromenade,
bohrte seinen Stiefelabsatz in den weichen Asphalt, und bittere Tra-
nen kollerten ihm über das Iungengesicht. Springwut hatte von
Amtswegen erwirken lasten, daß die verdorbene Ware innerhalb
vierundzwanzig Stunden entfernt werden müsse. Nun stand Meyer
da, geldlos und verlassen und fragte sich verzweifelt, was zu tun war.
Er zermürbte sein Hirn nach Möglichkeiten, doch wohin sollte er mit
den ungeheueren Quantitäten Blechbüchsen, wo sie unterbringen?
Meyer getraute sich weder vor- noch rückwärts, er starrte wild zum
Himmel und betete, daß sich die Erde öffne und seine Milchdoscn
fräße.
Ein zerdrücktes, nach allen Windrichtungen verzogenes Individuum
grüßte ihn. Es war ein Herr, den er einmal flüchtig in einer Wein-
dicle kennen gelernt hatte. Meyer dankte den Göttern auch für diesen
Menschen, und bald wußte August Semmelblcich alles. Er wiegte
nachdenklich den fuchsigen Kopf und gab zu, ein derartiger Fall sei
ihm in seinem ganzen Berufsleben noch nicht vorgekommen, obwohl
er schon Blitzablcitersetzcr, Mehlwurmzüchter, Kapellmeister, Kiften-
aufkäufer, Besteckputzcr und Schlangenmensch gewesen sei. Endlich
erklärte er, den Verkauf der Milch übernehmen zu wollen, falls ihm
Meyer ein Drittel des Gewinnes zusichere.
Meyer lächelte trübe und schneuzte sich kummervoll.
Scnunelblcich drängte sich hager an Meyer heran. „Springwut
wird die Milch selbst kaufen", fuschclte er, „gehen Sie in einer guten
Stunde zu ihm, Sie werden mich dort treffen, aber natürlich nicht
kennen, und Sic werden sehen, er wird Ihnen einen riesigen Preis
bieten."
Semmelblcich trat bei Springwut ein. „Guten Tag", sagte er
„ich habe mir flüstern lassen, daß Sic Ihre Büchsenmilch abstoßen
wollen. Ich bin sofortiger Kassakäufcr."
Chaim feixte. „Die Milch ist vollständig verdorben und keinen
Pfifferling wert", pfauchte er gehässig.
Semmelblcich lächelte frostig. „Das weiß ich", sagte er und blickte
gelangwcilt zum Ladcnfcnstcr hinaus, „ich kaufe die Kondensierte auch
nicht für mich, sondern für die Firma Fleck und Hablcr, Kapital-
beschaffung von fünf Millionen Dollar aufwärts. Mir selbst ist es
nur um die Provision zu tun, da ich momentan auf den« Trockenen
sitze." Er reichte Springwut ein Telegramm.
Herrn
August Scmmclblcich
Agent
Bei Firma Springwut Lagermilch sofort um jeden Preis
kaufen. Generalvollmacht hiemit an Sic erteilt.
Fleck und Hablcr
Chaim wurde unruhig. „Die Milch gehört gar nicht mir", nusclte er
unsicher. Semmclbleich fuhr wütend auf. „Herr, Sie stehlen mir
meine teuere Zeit!" krächzte er, „warum sagen Sie das nicht gleich?
Wo ist der Besitzer?"
„Aus welchem Grund reißen sich denn Fleck und Hablcr um das
scheußliche Zeug?" fragte Springwut nachdenklich.
Semmelblcich kratzte sich genießerisch eine schäbige Stelle seines
rothaarigen Kopffcllcs und schob sich über die Tischplatte an ChaimS
Ohr: „Der verstorbene Vorbesitzer der Milch, wer cs war, konnte ich
leider nicht ausbaldowern, war ein arger Schieber. In dreitausend
Büchsen befindet sich Salvarsan und in fünftausend Cocain. Wenn
ich das Geld hätte — — Sie verstehen mich — — ! Sehen Sic
zu, daß mir der Besitzer die Milch überläßt, cs soll Ihr Schaden
nicht sein!" Springwut zitterte an allen Glieder». „Das Geschäft
mache ich selbst!" überschrie er sich. Semmelblcich griff nach seinem
Hut. „In diesem Falle werde ich dem Besitzer, den ich sicher bald
eruieren werde, sofort den Sachverhalt mitteilen", bemerkte er
freundlich lächelnd.
Chaim drückte den Agenten in den Klubsessel. „Was verlangen
Sic?" flüsterte er gequält. „Ein Drittel vom Kaufpreis beim Ab-
schluß in bar" sagte Scmmclblcich fest und gemessen. Kaum hatte
Springwut dem Zwischenhändler eine schriftliche Bestätigung über
ihre Vereinbarung gegeben, drückte sich Meyer scheu in den Laden
herein. Der böse Wege gehende Damcnwäschevcrschleißcr stellte die
Herren einander vor. Er teilte dem staunenden Meyer mit, daß Sem-
mclbleich und er die Milch zur Düngerfabrikation kaufen wollten.
Lenthold war im Bild und verlangte unverschämt. Semmelbleich,
glänzeng spielend, vor Wut feuerrot wie das Gefäß eines Pavian-
männchens, beschimpfte Meyer so schrecklich, daß Springwut vor
Angst, aus dem Geschäft könnte nichts werden, bebte wie ertappte
Ehebrecher in abgestandenen Schwänken. Endlich gab Lcuthold ein
wenig nach, er bekam ein Bündel guter Scheine, Springwut die ge-
stockte Milch und Scmmclblcich den Schmuserlohn. Chaim freute
sich, als sei er zur Brismilch von Drillingen eingeladen und machte
Fräulein Billig einen Heiratsantrag. Mimmi erbat sich Bedenkzeit,
denn auch Meyer hatte jetzt wieder Geld. Springwut mietete Dutzende
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neue, er hatte nachts Alpdrücken und sah Chaim und Mimmi aus
seiner Bettdecke jazzc» und schlimmeres, und es war leicht zu be-
rechnen, wann er völlig ausgefranst am Ende war.
Es wurde heiß. Sehr heiß. Meyer stand aus der Kurpromenade,
bohrte seinen Stiefelabsatz in den weichen Asphalt, und bittere Tra-
nen kollerten ihm über das Iungengesicht. Springwut hatte von
Amtswegen erwirken lasten, daß die verdorbene Ware innerhalb
vierundzwanzig Stunden entfernt werden müsse. Nun stand Meyer
da, geldlos und verlassen und fragte sich verzweifelt, was zu tun war.
Er zermürbte sein Hirn nach Möglichkeiten, doch wohin sollte er mit
den ungeheueren Quantitäten Blechbüchsen, wo sie unterbringen?
Meyer getraute sich weder vor- noch rückwärts, er starrte wild zum
Himmel und betete, daß sich die Erde öffne und seine Milchdoscn
fräße.
Ein zerdrücktes, nach allen Windrichtungen verzogenes Individuum
grüßte ihn. Es war ein Herr, den er einmal flüchtig in einer Wein-
dicle kennen gelernt hatte. Meyer dankte den Göttern auch für diesen
Menschen, und bald wußte August Semmelblcich alles. Er wiegte
nachdenklich den fuchsigen Kopf und gab zu, ein derartiger Fall sei
ihm in seinem ganzen Berufsleben noch nicht vorgekommen, obwohl
er schon Blitzablcitersetzcr, Mehlwurmzüchter, Kapellmeister, Kiften-
aufkäufer, Besteckputzcr und Schlangenmensch gewesen sei. Endlich
erklärte er, den Verkauf der Milch übernehmen zu wollen, falls ihm
Meyer ein Drittel des Gewinnes zusichere.
Meyer lächelte trübe und schneuzte sich kummervoll.
Scnunelblcich drängte sich hager an Meyer heran. „Springwut
wird die Milch selbst kaufen", fuschclte er, „gehen Sie in einer guten
Stunde zu ihm, Sie werden mich dort treffen, aber natürlich nicht
kennen, und Sic werden sehen, er wird Ihnen einen riesigen Preis
bieten."
Semmelblcich trat bei Springwut ein. „Guten Tag", sagte er
„ich habe mir flüstern lassen, daß Sic Ihre Büchsenmilch abstoßen
wollen. Ich bin sofortiger Kassakäufcr."
Chaim feixte. „Die Milch ist vollständig verdorben und keinen
Pfifferling wert", pfauchte er gehässig.
Semmelblcich lächelte frostig. „Das weiß ich", sagte er und blickte
gelangwcilt zum Ladcnfcnstcr hinaus, „ich kaufe die Kondensierte auch
nicht für mich, sondern für die Firma Fleck und Hablcr, Kapital-
beschaffung von fünf Millionen Dollar aufwärts. Mir selbst ist es
nur um die Provision zu tun, da ich momentan auf den« Trockenen
sitze." Er reichte Springwut ein Telegramm.
Herrn
August Scmmclblcich
Agent
Bei Firma Springwut Lagermilch sofort um jeden Preis
kaufen. Generalvollmacht hiemit an Sic erteilt.
Fleck und Hablcr
Chaim wurde unruhig. „Die Milch gehört gar nicht mir", nusclte er
unsicher. Semmclbleich fuhr wütend auf. „Herr, Sie stehlen mir
meine teuere Zeit!" krächzte er, „warum sagen Sie das nicht gleich?
Wo ist der Besitzer?"
„Aus welchem Grund reißen sich denn Fleck und Hablcr um das
scheußliche Zeug?" fragte Springwut nachdenklich.
Semmelblcich kratzte sich genießerisch eine schäbige Stelle seines
rothaarigen Kopffcllcs und schob sich über die Tischplatte an ChaimS
Ohr: „Der verstorbene Vorbesitzer der Milch, wer cs war, konnte ich
leider nicht ausbaldowern, war ein arger Schieber. In dreitausend
Büchsen befindet sich Salvarsan und in fünftausend Cocain. Wenn
ich das Geld hätte — — Sie verstehen mich — — ! Sehen Sic
zu, daß mir der Besitzer die Milch überläßt, cs soll Ihr Schaden
nicht sein!" Springwut zitterte an allen Glieder». „Das Geschäft
mache ich selbst!" überschrie er sich. Semmelblcich griff nach seinem
Hut. „In diesem Falle werde ich dem Besitzer, den ich sicher bald
eruieren werde, sofort den Sachverhalt mitteilen", bemerkte er
freundlich lächelnd.
Chaim drückte den Agenten in den Klubsessel. „Was verlangen
Sic?" flüsterte er gequält. „Ein Drittel vom Kaufpreis beim Ab-
schluß in bar" sagte Scmmclblcich fest und gemessen. Kaum hatte
Springwut dem Zwischenhändler eine schriftliche Bestätigung über
ihre Vereinbarung gegeben, drückte sich Meyer scheu in den Laden
herein. Der böse Wege gehende Damcnwäschevcrschleißcr stellte die
Herren einander vor. Er teilte dem staunenden Meyer mit, daß Sem-
mclbleich und er die Milch zur Düngerfabrikation kaufen wollten.
Lenthold war im Bild und verlangte unverschämt. Semmelbleich,
glänzeng spielend, vor Wut feuerrot wie das Gefäß eines Pavian-
männchens, beschimpfte Meyer so schrecklich, daß Springwut vor
Angst, aus dem Geschäft könnte nichts werden, bebte wie ertappte
Ehebrecher in abgestandenen Schwänken. Endlich gab Lcuthold ein
wenig nach, er bekam ein Bündel guter Scheine, Springwut die ge-
stockte Milch und Scmmclblcich den Schmuserlohn. Chaim freute
sich, als sei er zur Brismilch von Drillingen eingeladen und machte
Fräulein Billig einen Heiratsantrag. Mimmi erbat sich Bedenkzeit,
denn auch Meyer hatte jetzt wieder Geld. Springwut mietete Dutzende
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