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lose, entseelte Gebärden; auf das geile Spiel von Puppen, die ihm
Ekel bereiteten, ohne ihn zu erheitern. Da, auf einmal packte ihn
ein würgender Hüften, und er schluckte gierig das schillernde Ge-
tränk, das ihn sofort beruhigte und seltsam müde machte. Ein zeit-
loses Gefühl ergriff ihn, dem ein klein wenig Neugierde zugesetzt
war; ein Gefühl angenehmer Schläfrigkeit, das ihn gleichwohl be-
fähigte, alles ganz klar um sich herum zu erkennen. Aller Überdruß,
aller Ekel war ausgetilgt und ersetzt durch diese schwebende Erkennt-
nis ohne Haß, die mit einer gewissen still resignierenden Güte ver-
wandt war. Er glaubte in den Augen der Leute, die in seiner Nähe
saßen, eine bedeutungsvolle Anteilnahme wahrzunehmen; sie drehten
die Köpfe nach ihm, geschminkte Lider hoben sich empor; scharfe, wie
eingeätzte Lachfurchen traten an flüchtig gekräuselte Lippen. Von
Grieseck dachte: „Diese Leute haben vielleicht ähnliche Entbehrungen
erlitten, wie ich; das macht spöttisch; ich weiß eS aus Erfahrung; sie
wollen gütig lächeln; wenn Grimassen daraus werden, mein Gott,
so sind daran ihre Enttäuschungen schuld. Ich glaube, sie meinen eS
gut mit mir!" Er wollte das Glas heben und damit zu ihnen hin-
überwinken, nur aus Galanterie; beileibe nicht, um sich anzubiedern.
Da steckten sie drüben die Köpfe zusammen und wisperten. Der
Landrat brachte das Glas nicht in die Höhe, so vergaß er seinen
Vorsatz. „Jetzt sprechen sie von mir," dachte er gerührt. „Sie sind

gut, meine Damen und Herren; ich bin Ihnen dankbar, daß Sie
über mich debattieren; ich scheine Ihnen am Herzen zu liegen; es tut
mir ungemein wohl, daß ich Ihr Interesse erwecke!" — Er lächelte

vor sich hin, stierte auf die weiße Marmorplatte und
hörte ein Sausen in den Ohren. Der Nebentisch rückte
plötzlich von ihm weg; nein, halt, er war noch da; aber
alles ward so undeutlich, ward zu einem rötlichen Ne-
bel, der allen Lärm aufsog, wie ein riesiger Trichter.
Eine plötzliche Totenstille sank herab. Der Landrat er-
schrak nicht; er blickte wieder auf... da stand, aus
dem Nebel auftauchend, der große Mann mit dem
wallenden Überwurf vor ihm, den er schon früher an
der Straßenbiegung bemerkt zu haben glaubte, als es
ihn plötzlich am Halse fror. Und unter der herab-
gezogenen Hutkrempe kam eine tiefe, merkwürdig volle
Stimme hervor:

„Sie verzeihen; darf ich Sie bitten, mir einen
Augenblick zu folgen? — Ich habe eine Überraschung
für Sie in petto, ein kleines Amüsement."

Der Landrat wunderte sich nicht; er sagte nur: „Du
meine Güte, haben wir uns heute nicht schon einmal
getroffen?"

„Kunststück!" erwiderte der Mann, „man trifft
mich nicht selten. Ich muß doch Propaganda für mein
neues Etablissement machen. Etwas für Sie!" —
Und zugleich winkte er mit einer gebieterischen Geste,
die so wenig Aufschub duldete, daß der Landrat sich
mit der Leichtigkeit eines Vogels erhob und ihm folgte. Sie waren
jetzt wieder offenbar auf der Potsdamer Straße. Der Landrat schritt

plötzlich sehr gewandt und schnell durch den wimmelnden Verkehr;
doch die Stille, jene Totenstille, die im Lokal auf ihn herabgesunkcn
war, begleitete ihn und enthob alle Dinge der Wirklichkeit. Nach kur-
zer Zeit standen sie vor einem Lichtspieltheater, dessen Eingang nach
der Straße zu durch schwarze Vorhänge verdeckt war. Der Mann
ging voran und verschwand in dem gläsernen Kasten, dem Billeti-
schalter offenbar, der in der Ecke des kahlen Vorraums stand.

„Nun gut! also ein Billett!" sagte der Landrat. „Es kostet?"

„Ist bezahlt!" klang die Stimme aus dem Schalter.

„???"

„Nun ja, mit Ihrem Leben, mein Herr. Es summiert sich da
manches zusammen; und aus den vielen kleinen Unzulänglichkeiten
schaut doch am Ende etwas Positives heraus. Und dann bedenken
Sie: ich hatte mir heute den kleinen Scherz gemacht, Sie am Hals
zu kitzeln, weil Ihr Pelzkragen so verführerisch offen stand. Dafür
möchte ich Ihnen etwas bieten; eine kleine Entschädigung sozusagen;
eine kleine Aufklärung ... bitte treten Sie ein; die Vorstellung wird
sogleich beginnen." Der Baron schlug die Samtvorhänge zurück, die
den am Eingang hängenden ganz ähnlich waren, und gelangte in einen
großen, länglichen Raum mit vollkommen schwarz verhängten Wän-
den. In dem schwachen, rötlichen Licht sah er eine Reihe von leeren
Fauteuils in peinlichster Symmetrie ausgestellt. Am Ende des Rau-
mes befand sich eine weißgekalktc Wand. Er tappte in eine Reihe

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Otto Nückel: Illustrationen zum Text "Der Film des Todes"
 
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