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JT TU U E

29. JAHRGANG

N 35

1924 / NR. 29

DER HELD IM ZWIELICHT

VON JOST KERSTIN

Eduard ist glücklich. Erstens von Natur. Und zweitens tatsäch-
lich ... Er hat ein Amt. Und der liebe Gott hat ihm das dazu un-
vermeidliche Quantum Verstand geliefert. Er hat Vermögen. Und
sein Papa selig hat es in ganz erstklassigen Kuxen angelegt. Eduard
liebt die Natur. Und fahrt deswegen gern darin spazieren. Voraus-
gesetzt, daß es nicht regnet. Er liebt die Kunst. Und ist deswegen
im Landestheater abonniert. Vierzehntägig. Mittelparkett. Er ist
verheiratet. Und liebt deswegen seine Frau. Soweit es in seinen
Kräften steht.

Sie ist geradezu reizend. Auch zu ihm. Und heißt Margit...
Eduard liebt außer Margit keine andre Frau! ... Das heißt —
doch noch eine. Aber das ist seine Mama. Und er denkt: Margit
lieben und Mama lieben, das sind Aufgaben zweier getrennter Ner-
venbahnen ... Überhaupt: Man kann die Natur lieben. Und kann
die Kunst lieben. Gleichzeitig! — Also: Man kann seine Frau lieben.
Und kann seine Mama lieben. Gleichzeitig! — „Lieben" ist eine
Vokabel, dehnbar wie ein Ausziehtisch für zwölf Personen. Denkt
Eduard...

Wenn Sie logisch veranlagt sein sollten (Verzeihen Sie die Zu-
mutung! Abev es kommt vor!), so werden Sie sagen: Eduard hat
recht. Wenn Sie verheiratet sein sollten (Und ich wage kaum noch
daran zu zweifeln), so werden Sie sagen: Eduard hat nicht recht.

Sie haben recht, daß Eduard nicht recht hat. ..

Die Sonne scheint. Die
Vögel zwitschern. Das Gras
wächst zusehends. Die lieblichen
Blumen blühen. Es ist alles in
schönster Ordnung...

Margit und Mama haben
ihren Freund Eduard in die
Mitte genommen. Und spazieren
damit durch den liebenswürdigen
Garten. Auf kiesbestreuten
Pfaden. Es ist noch immer alles
in bester Ordnung ...

Plötzlich bleibt Margit vor
einem Baum stehen, blinzt neu-
gierig in das Geäst, das im Be-
griff ist grün anzulaufen. Und
bemerkt halb fragend: „Eine
Magnolie —." Mama streicht
knisternd über ihre Seidenman-
tille. Und sagt ernst: „Ein
Birnbaum." Margit entgegnet:

„Liebe Mama, Sie täuschen sich
wohl. Es ist eine Magnolie."

Mama lächelt dünn: „Liebes

Kind, es ist ein Birnbaum ...

Magnolien werden niemals so
groß." . „Doch, Mama", sagt
Margit, „in Blascwitz, neben
der Post, blüht jedes Jahr ein
Magnolienbaum, der mindestens
so groß ist." Dabei tut sie, als
schätze sie die lichte Höhe des

Bäumchens ab, das noch immer nicht weiß, ob eö ein Birnbaum
oder eine Magnolie zu sein hat... „Meine liebe Margit", sagt
Mama — und gibt ihrem Tonfall eine skandierende Würde —, „eS
ist bekannt, daß Magnolien nicht so groß zu werden pflegen. Sie ge-
hören zu den Sträuchern." „Aber in Blasewitz, neben der Post..."
Margit unterbricht sich ... „Es ist gut", sagt die Mama.

Schweigen. Die Sonne scheint. Aber die Damen haben kühle
Augen ... Die Vögel zwitschern. Die lieblichen Blumen blühen.
Vergebliche Bemühung... Eduard meint mit dem Mute äußerster
Verzweiflung: „Und sonst Hab ich den großen Brockhaus regelmäßig
einftecken! Da steht's drin ..." Vergebliche Bemühung...

Eduard liebt die Magnolien. Und die Birnbäume. Eduard liebt
Margit. Und die Mama ... Aber es hat seine Schwierigkeiten ...

*

Eduard klopft behutsam an das Zimmer seiner Mama... „Her-
ein!" Mama sitzt am Fenster. Im selbftgestickten Sorgenstuhl (für
die selbstverfertigten Sorgen). „Liebe Mama", beginnt er, „ich
wollte dich von Herzen bitten, etwas rücksichtsvoller gegen Margit
zu sein." Mama schaut sinnend durchs Fenster. Wobei sie schweigt.
Eduard fährt also fort: „Denn siehst du: es war alles in schönster
Ordnung. Die Sonne schien... Und die Vögel zwitscherten...
Und die Blumen ..." „Es war ein Birnbaum, Eduard", sagt Mama
streng. „Gewiß ... ganz gewiß ... aber —", sagt Eduard. „Und

es gibt keine so großen Magno-
lien", sagt Mama. — „Aber
Margit will doch in Blascwitz
eine so große Magnolie getrof-
fen haben! Und wenn man
etwas mit eigenen Augen —."
„Da siehst du es ja", fährt
Mama dazwischen, „da es
keine so großen Magnolien gibt,
kann Margit keine gesehen
haben! Auch in Blasewitz nicht!
Aber sie ist ein ganz impertinen-
ter Dickkopf!" „Aber...", in-
terpoliert Eduard. „Kein
Aber!" sagt Mama, „es ist
traurig genug, daß man sich von
dieser jungen ... jungen ...
Person so schulmeistern lassen
muß!" „Aber ..." probiert
Eduard. „Kein Aber!" sagt
Mama. „Ich weiß ja längst,
wie alles kommen wird! Du
siehst vor lauter Verliebtheit
nicht, wie niederträchtig deine
Frau sein kann! Und bestärkst
sie noch darin! Aber ich lasse
mir das unter keinen Umstän-
den länger gefallen! ... Unter
keinen Umständen! ... Wo soll
denn das noch hinsühren! Soll
ich mich vielleicht verkriechen!
Wie?... Das beste wird sein,

Liebespaar Jos. Plenk

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Jost Kerstin: Der Held im Zwielicht
Josef Plenk: Liebespaar
 
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