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Andalusischcs Dorf

mit der Alfred Gierke auf die hübsche Walter zählen konnte. Nicht
etwa, weil er sie diesem nicht vergönnt haben würde — Gott, wenn
es ihn so sehr nach ihr verlangte, mochte er sie haben! — nein, ihn
verdroß es, daß die kleine Hilde die seine werden sollte wie etwas
ganz Selbstverständliches, daß sie ihm so gewiß war wie ein Anzug,
den er sich im Frühjahr anschaffen würde, oder das Avancement zum
Referendar, das ihm für den nächsten Oktober bevorstand.

Daß Hilde den angehenden Referendar aus ganzer Seele liebte
und an diesem natürlichem Ablauf der Dinge selber nicht den gering-
sten Anstoß genommen hätte, zog er dabei gar nicht in Betracht.

Es ärgerte ihn einfach.

Und durch eine plötzliche Idcenverbindung hatte er in diesem
Augenblicke ein groteskes Bild vor sich:

Er dachte sich die Kirche und dann die Situation, die sich dort in
einer halben Stunde ergeben mußte, an das Tableau gerührter Ver-
wandter um die beiden, die am Altäre standen.

Robert hörte den Priester, der langweiliger, als das eben weg-
gclegte Buch, auf das Paar einsprach, und vernahm, wie er, zur
Braut gewendet, die Gewiffensfrage stellte: „Wollen Sie, Fräulein
Walter, dem hier anwesenden Herrn Alfred Gierke" usw.

Und jetzt sah er auch sie selbst, Hilde, im blütenweißen Kleide, in
einer Wolke lichter Gaze, die Hand in Alfreds Rechter — und nun
klang eö ihm ins Ohr — ihr lächelnd, wie selbstverständlich hin-
geworfenes — Nein!

Robert schlug sich mit der flachen Hand auf's Knie: Esel!

Er wollte wieder nach dem Buche greisen, aber die Zeilen tanzte»
vor seinen Augen, ballten sich zu einer dichten, schwarzen Maste und
wurden Hildes Haar, unter dem zwei dunkle Augen ihm seltsam
bedeutungsvoll zulächelten. Und heiter, vergnügt, wie bei einer Kotil-
lontour wiederholte sie dieses „Nein," das die Sippe der Walters
und Gierkes wie ein Faustschlag ins Gesicht traf.

Robert versuchte, sich über diese plötzliche Anwandlung Rechenschaft
zu geben.

Wollte er — Robert — etwa, daß die kleine Walter diese unmög-
liche Szene heraufbeschwor? Vielleicht gar — seinetwegen? Robert
zu Liebe, der sich nie um sic bekümmert oder ihr höchstens bei irgend-
einem Anlasse eine Schmeichelei gesagt hatte, wie er sie Dutzenden
anderer bei günstiger Gelegenheit auch ins Ohr raunte? Es schien ihm
fast so, so sehr er sich auch gegen den Gedanken sträubte.

Hilde Walter war für ibn nicht mehr das, was sie im Salon der
Walter oder Gierke gewesen: das Fräulein >nit achtzehn Jahren, die
nicht hübscher und klüger als Gerda und Liselotte schien, sic war jetzt
— Gierkes Frau...

Robert entzündete sich eine Zigarette.

Nein, — sic blieb Hilde Walter, nach der er sich im Augenblicke
sehnte, die er jetzt bei sich haben wollte, in seinem grünen Zimmer.
Mit der er diesen Abend in einem Restaurant am Ring verbracht
haben würde — oder in der Oper — irgendwo, wohin eö sie verlangt
bätte, Hilde Walter, die es in einer halben Stunde nicht mehr war.

In einer halben Stunde, wenn sie dieses ominöse, bindende „Ja"

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Benjamin Godron: Andalusisches Dorf
 
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