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H. 0. Binder

Aberglaube

„Glaubst du, daß du mit ihm glücklich wirst?" — „Hegst du Zweifel, Mutti?"
„Nun, er ist immerhin genau dein dreizehnter Verlobter."

hier das Licht anzudrehen. Sodann traf er Anordnungen für ein
intimes Nachtmahl zu zweit. Er bestellte es für Schlag sieben Uhr.
Es war ihm nämlich eingefallen, daß Hilde nach der Kirche doch noch
in ihre Wohnung fahren würde, um dort die Kleidung zu wechseln.
Er hätte darauf vcrgeffen, aber Hilde hatte sicher daran gedacht, daß
sie im Brautschleier und mit dem Myrtenkranz im Haar hier in
seinem grünen Salon deplaziert wirken müßte. Und Hilde hatte da-
mit fa recht. Was ihm vor wenigen Minuten noch unsinnig vorgekommen
war, erfüllte ihn jetzt mit einer ruhigen Gewißheit. Beinahe war es ihm
nun, als hätte er alles mit ihr verabredet, wie sie, des großen Clous
wegen, auf alle die Albernheiten der Heiratsvorbereitungen einzu-
gehen habe, wie sie den Augenblick der größten Spannung näher-
kommen lassen sollte, um dann.. Robert stieß, während er erregt auf

und nieder schritt, an eine
Vase. Sic fiel, ein Opfer
seiner Grübeleien, und zer-
schellte zu seinen Füßen. Ro-
bert las vergnügt die Scher-
ben vom Boden: war cs doch
eine Vase, wie sie Hilde
nicht leiden mochte, anspruchs-
voll, unförmig, geschmacklos.
Sie sollte Hilde nicht unan-
genehm auffallen, wenn sie
dieses Zimmer betrat, wie sie
in dem Raume überhaupt
nichts stören, nichts sich ihr
aufdrängen durfte...

Der Salon sollte ganz
nach ihrem Geschmacke arran-
giert sein. Ihr Geschmack?
Robert hätte eS nie der Mühe
für wert gehalten, ihn je zu
ergründen, ihn, der so nichts-
sagend sein mochte, wie der
von Gerda oder Helene. Nun
aber kannte er mit einemmale
alle ihre Abneigungen und
ihre Vorlieben, wußte, was
sie in diesem Raume ent-
zücken konnte und was sie ab-
stieß — und in diesem Zim-
mer gab cS mehr als ein
Ding, vor dem sic schaudern
würde. Vor allem die Bü-
cher, diese ringsum gestapel-
ten Folianten und Mappen.
Und Beethovens Totenmaske
an der Wand hinter dem
Schreibtische.

Die Zeit von sechs bis
sieben, die ihm noch zur Ver-
fügung stand, benützte Robert
dazu, seine Bibliothek aus
dem grünen Salon in daö
Badezimmer zu räumen. Um
später mit der Toilette keine
Zeit zu verlieren, hatte er
über seinen Smoking eine
grüne Schürze gebunden.

Schlag sieben Uhr lag der
Raum da, wie ihn Hildes
Phantasie nur erträumen
konnte. Robert hatte hier
ein wahres Capua der Gei-
ster geschaffen, ein von dis-
kreten Wohlgerüchen durch-
wehtes Milieu, eine Umwelt, die man mehr fühlte, als sah, die sich
dem, der hierher seine Zuflucht nehmen wollte, wie schmeichelnde
Wärme mitteilte.

Schlag sieben Uhr wurde von der Straße her geschellt.

Robert fühlte den Schlag seines Herzens bis in den Hals. Er
hatte seit einer Stunde schon an nichts anderes mehr gedacht, als
daran, daß sie kommen würde, und fühlte sich nun doch beengt, erregt,
beklommen...

Im Vorraum legte eine Frau ihr leise rauschendes Cape ab. Ro-
bert hörte das Knistern eines Kleides und ei» paar beschwichtigende
Worte an seine bestürzte Haushälterin. Dann öffnete sich die Tür
und sic stand im Zimmer — Gerda.

Bei einer Begrüßungskaskade, die, einem Gebirgsbache nicht un-

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Hermann Otto Binder: Aberglaube
 
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