PETER CORNELIUS
VON CARL FISCHER-DICK
Es ist ein eigentümlicher, aber leicht zu beobachtender Zug in der
Geschichte der großen Kulturerscheinnngen, daß neben den meisten
gewaltigen Kraftäußerungcn einer schöpferischen Zeitströmung so ganz
anders geartete kleine Welten entstehen, erschaffen von den vielver-
kannten zeitgenössischen Talenten, die „im Schatten der Titanen"
ihr stilles, aber ertragreiches Eigenleben führen, unbeachtet von einem
Zeitalter, dem eben nicht Talente, sondern Genies sein Gepräge ge-
geben haben. So war es möglich^ daß zu Lebzeiten eines Rembrandt,
eines Rubens die ganz auf kleinbürgerliche Intimität abgestimmte
Genremalerei der TenicrS, Jan Steen und Brouwer ihre schönste
Blüte erleben konnte. So nur ist es verständlich, daß in derselben
Zeit, die erfüllt war von Nietzsches Sturmworten und dem unerhör-
ten Rhythmus eines neuen, staatlichen Idealismus' Theodor Storm
seine stillsten, abseitigsten Novellen schrieb. Beinahe immer wird es
Aufgabe der Nachwelt fein, die nach Ausmaßen und Wesenheit
grundverschiedenen Schöpfungsäußerungen einer Kulturperiode zu
werten und zum harmonischen Zeitbild zu vereinigen.
Der Stillsten einer, solange es sein künstlerisches Ich betraf, der
lauteste Herold, sobald es galt, für andere, Größere zu bekennen, war
Peter Cornelius. — Bcrlioz, Liszt, Wagner bildeten das Dreige-
stirn, dem er frcigcwählte Gefolgschaft geschworen hatte und das zu
einer Zeit, in der zu einem solchen Bekenntnis eine erhebliche Dosis
Mut und Selbstverleugnug gehörte, zumal für einen ausübenden
jungen Künstler, der sich erst die Anerkennung eines Publikums er-
ringen mußte, das der sogenannten Zukunftsmusik in strikter Ab-
lehnung gegenüberstand. Daß er jedoch fein Ziel nicht in einer kritik-
losen Nachahmung seiner Vorbilder erblickte, erklärte er selbst ein-
mal in seiner knappen, witzigen Art: Auf eine der vielen zudring-
lichen Fragen, ob er nun Wagnerianer oder Brahmsiauer sei, er-
widerte er stolz-bescheiden: „Ich bin selber aner, Corneliancr!" —
Sein ganzer künstlerischer Werdegang läßt sich mit einer Wage ver-
gleichen mit den beiden Schalen: Wort und Ton. — In früher
Jugend überwog das Wort. Der Sohn eines bekannten Schau-
spielers lernte schon als Kind die bedeutendsten Schöpfungen der
dramatischen Literatur kennen und war auch selbst für die Bühnen-
laufbahn bestimmt. Doch kaum hatte er musikalischen Unterricht ge-
nosfen, da war das Wort verdrängt und der Ton herrschte mit
Macht. Cornelius gab den schauspielerischen Beruf auf und gedachte
mit dem Theater lediglich als Komponist komischer Opern in Fühlung
zu bleiben. Es bedurfte nur eines leisen Anstoßes, um die Wage ins
Gleichgewicht zu bringen: während eines vorübergehenden Aufent-
haltes in Wallcrfangen bei Saarlouis machte er die Bekanntschaft
Die Brücke zum Dorf
Lithographie von D. Wohlgemuth
1127
VON CARL FISCHER-DICK
Es ist ein eigentümlicher, aber leicht zu beobachtender Zug in der
Geschichte der großen Kulturerscheinnngen, daß neben den meisten
gewaltigen Kraftäußerungcn einer schöpferischen Zeitströmung so ganz
anders geartete kleine Welten entstehen, erschaffen von den vielver-
kannten zeitgenössischen Talenten, die „im Schatten der Titanen"
ihr stilles, aber ertragreiches Eigenleben führen, unbeachtet von einem
Zeitalter, dem eben nicht Talente, sondern Genies sein Gepräge ge-
geben haben. So war es möglich^ daß zu Lebzeiten eines Rembrandt,
eines Rubens die ganz auf kleinbürgerliche Intimität abgestimmte
Genremalerei der TenicrS, Jan Steen und Brouwer ihre schönste
Blüte erleben konnte. So nur ist es verständlich, daß in derselben
Zeit, die erfüllt war von Nietzsches Sturmworten und dem unerhör-
ten Rhythmus eines neuen, staatlichen Idealismus' Theodor Storm
seine stillsten, abseitigsten Novellen schrieb. Beinahe immer wird es
Aufgabe der Nachwelt fein, die nach Ausmaßen und Wesenheit
grundverschiedenen Schöpfungsäußerungen einer Kulturperiode zu
werten und zum harmonischen Zeitbild zu vereinigen.
Der Stillsten einer, solange es sein künstlerisches Ich betraf, der
lauteste Herold, sobald es galt, für andere, Größere zu bekennen, war
Peter Cornelius. — Bcrlioz, Liszt, Wagner bildeten das Dreige-
stirn, dem er frcigcwählte Gefolgschaft geschworen hatte und das zu
einer Zeit, in der zu einem solchen Bekenntnis eine erhebliche Dosis
Mut und Selbstverleugnug gehörte, zumal für einen ausübenden
jungen Künstler, der sich erst die Anerkennung eines Publikums er-
ringen mußte, das der sogenannten Zukunftsmusik in strikter Ab-
lehnung gegenüberstand. Daß er jedoch fein Ziel nicht in einer kritik-
losen Nachahmung seiner Vorbilder erblickte, erklärte er selbst ein-
mal in seiner knappen, witzigen Art: Auf eine der vielen zudring-
lichen Fragen, ob er nun Wagnerianer oder Brahmsiauer sei, er-
widerte er stolz-bescheiden: „Ich bin selber aner, Corneliancr!" —
Sein ganzer künstlerischer Werdegang läßt sich mit einer Wage ver-
gleichen mit den beiden Schalen: Wort und Ton. — In früher
Jugend überwog das Wort. Der Sohn eines bekannten Schau-
spielers lernte schon als Kind die bedeutendsten Schöpfungen der
dramatischen Literatur kennen und war auch selbst für die Bühnen-
laufbahn bestimmt. Doch kaum hatte er musikalischen Unterricht ge-
nosfen, da war das Wort verdrängt und der Ton herrschte mit
Macht. Cornelius gab den schauspielerischen Beruf auf und gedachte
mit dem Theater lediglich als Komponist komischer Opern in Fühlung
zu bleiben. Es bedurfte nur eines leisen Anstoßes, um die Wage ins
Gleichgewicht zu bringen: während eines vorübergehenden Aufent-
haltes in Wallcrfangen bei Saarlouis machte er die Bekanntschaft
Die Brücke zum Dorf
Lithographie von D. Wohlgemuth
1127