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Bleistiftstudie Erich Godal
Unwandelbare Welk
Zuweilen schau' ich still in mich hinein Die federleicht auf meinem Rücken ruht,
Und leg das Ohr aufs Herz, lausch' seinem Als war' sie einem andern zugedacht.
Schlag
Und prüfe, ob der Erdentage Pein Durch weile Fernen flutet unbeschwert
Auch Spuren drückt auf meinen Erdentag. Mein Selbst, dem All für immer zu-
gcsellt:
In stetem Glcichklang aber rinnt mein Blut, Kein Tod und kein Gcborenwerden stört
Kein Zittern zeigt die felsenschwerc Fracht, Den stillen Stromunwandelbarer Welt.
Gustav Adolf Müller
Student flüsterte heiser: „Brüder, wir haben gesiegt."
Aber seine Stimme drang nicht weit und drunten sohlte
die Menge ungeduldig.
Da stand er schon am Rande des Erkers. — Der Lärm
verhallte. Die Menge horchte. Alle blickten auf ihn. Man
wartete, das? er spreche. Gluthitze übergoß sein Gesicht und
wie flüssiges Erz ströniten die Worte aus seinem Munde:
„Brüder, wir haben gesiegt."
Seine Stimme dröhnte laut über die Menge hinweg.
Bravo, krächzten die Heiseren — Hoch, gröhlte die Straße,
glücklich darüber, daß sie nach den vielen Heiser» endlich
eine hörbare Stimme von oben vernahm. Hoch, hoch!
„Brüder!" Er hatte gar keine Ahnung gehabt, daß
seine Stimme so kräftig sei.
„Brüder, wir haben gesiegt. Jawohl, wir haben ge-
siegt." Mehr vermochte er nicht zu sagen. Die Hochrufe
übertönten seine Stimme. Man winkte ihm mit Tüchern zu.
Dort stand er auf dem Erker und sein Gesicht flammte.
Unten wogte die Menge weiter. Er taumelte in den
Saal binci». — Was war mit ihm geschehen? Der Lang-
bärtige drückte ihm die Hand: „Bravo, du hast sehr schön
gesprochen."
Ein Bericht wurde gebracht: „Mau muß ihn dem Volk
vorlesen."
Irgendjemand erkundigte sich: „Wo ist denn der Mann
mit der guten Stimme?" Er wurde gefunden und schon
stand er wieder draußen auf dem Erker.
Nun säiontc er seine Stimme nicht. Sie schwoll an auf
dem Erker. Er empfand die Glut der auf ihn gerichteten
Blicke auf seinem Gesicht. Als er in den Saal zurückkchrte,
niußte er den Bericht auch drinnen vorlesen. Einigen, die
zu spät kamen, erzählte er ihn von neuem. — Zufällig sah
er in einen Spiegel, sein Haar war zerzaust, sein Blick
verstört, als ob er betrunken wäre.
Auf der Straße erneuerte sich das Brausen und Toben.
Neue Mengen langten an. — Der Langbärtige erschien
und suchte „den Mann mit der guten Stimme". Er sprach
von neuem, setzt schon kühner: „Wir haben gesiegt, Brüder,
weil wir siegen mußten."
Nach zwei Minuten lief er schon von selbst auf den
Erker. Den roten Studenten stieß er beiseite. „Was willst
du mit deiucr heiseren Stimme?" Einige auf der Straße
kannten seine hagere Gestalt schon, sic begrüßten ihn mit
Hochrufen.
Als er in den Saal taumelte, wurde ihm ein Bogen
zur Unterschrift gebracht. Er unterschrieb. — „Komm,
gehen wir," sagte der Langbärtige — er wurde mitgezogen.
Er ging gern.
Des Nachts legte er sich nicht nieder. Auf seinem Arm
war irgend ein Band, ein ebensolches wie cs der Lang-
bärtige trug. — Seine Stimmkraft war noch nicht er-
schöpft, alle fünf Minuten lief er auf den Erker. — Bis
Mittag wurde es stiller in der Stadt. Auf der Straße be-
grüßten ihn Bekannte. — „Wieso, weshalb?" Die Zeitun-
gen hatten die gestrige Namensliste veröffentlicht. Auch
sein Name befand sich unter denen der Führer. Er kaufte
alle Blätter. In allen las er seinen Namen. Das Weitere
ging natürlich rasch vonstatten.
Noch am selben Abend wurde er in irgend ein — wie
heißt cs nur — gewählt. — Die Zeitungen brachten von
neuem seinen Namen. Am anderen Tag gab er eine Er-
klärung ab. Am dritten Tag war er irgendwo anwesend.
Am vierten Tag brachten die Zeitungen wieder seinen
Namen. Im Laufe von sechs Wochen war er ein Staats-
mann. Und hielt eine Rede gegen die Übergriffe der
Presse.
1133
Bleistiftstudie Erich Godal
Unwandelbare Welk
Zuweilen schau' ich still in mich hinein Die federleicht auf meinem Rücken ruht,
Und leg das Ohr aufs Herz, lausch' seinem Als war' sie einem andern zugedacht.
Schlag
Und prüfe, ob der Erdentage Pein Durch weile Fernen flutet unbeschwert
Auch Spuren drückt auf meinen Erdentag. Mein Selbst, dem All für immer zu-
gcsellt:
In stetem Glcichklang aber rinnt mein Blut, Kein Tod und kein Gcborenwerden stört
Kein Zittern zeigt die felsenschwerc Fracht, Den stillen Stromunwandelbarer Welt.
Gustav Adolf Müller
Student flüsterte heiser: „Brüder, wir haben gesiegt."
Aber seine Stimme drang nicht weit und drunten sohlte
die Menge ungeduldig.
Da stand er schon am Rande des Erkers. — Der Lärm
verhallte. Die Menge horchte. Alle blickten auf ihn. Man
wartete, das? er spreche. Gluthitze übergoß sein Gesicht und
wie flüssiges Erz ströniten die Worte aus seinem Munde:
„Brüder, wir haben gesiegt."
Seine Stimme dröhnte laut über die Menge hinweg.
Bravo, krächzten die Heiseren — Hoch, gröhlte die Straße,
glücklich darüber, daß sie nach den vielen Heiser» endlich
eine hörbare Stimme von oben vernahm. Hoch, hoch!
„Brüder!" Er hatte gar keine Ahnung gehabt, daß
seine Stimme so kräftig sei.
„Brüder, wir haben gesiegt. Jawohl, wir haben ge-
siegt." Mehr vermochte er nicht zu sagen. Die Hochrufe
übertönten seine Stimme. Man winkte ihm mit Tüchern zu.
Dort stand er auf dem Erker und sein Gesicht flammte.
Unten wogte die Menge weiter. Er taumelte in den
Saal binci». — Was war mit ihm geschehen? Der Lang-
bärtige drückte ihm die Hand: „Bravo, du hast sehr schön
gesprochen."
Ein Bericht wurde gebracht: „Mau muß ihn dem Volk
vorlesen."
Irgendjemand erkundigte sich: „Wo ist denn der Mann
mit der guten Stimme?" Er wurde gefunden und schon
stand er wieder draußen auf dem Erker.
Nun säiontc er seine Stimme nicht. Sie schwoll an auf
dem Erker. Er empfand die Glut der auf ihn gerichteten
Blicke auf seinem Gesicht. Als er in den Saal zurückkchrte,
niußte er den Bericht auch drinnen vorlesen. Einigen, die
zu spät kamen, erzählte er ihn von neuem. — Zufällig sah
er in einen Spiegel, sein Haar war zerzaust, sein Blick
verstört, als ob er betrunken wäre.
Auf der Straße erneuerte sich das Brausen und Toben.
Neue Mengen langten an. — Der Langbärtige erschien
und suchte „den Mann mit der guten Stimme". Er sprach
von neuem, setzt schon kühner: „Wir haben gesiegt, Brüder,
weil wir siegen mußten."
Nach zwei Minuten lief er schon von selbst auf den
Erker. Den roten Studenten stieß er beiseite. „Was willst
du mit deiucr heiseren Stimme?" Einige auf der Straße
kannten seine hagere Gestalt schon, sic begrüßten ihn mit
Hochrufen.
Als er in den Saal taumelte, wurde ihm ein Bogen
zur Unterschrift gebracht. Er unterschrieb. — „Komm,
gehen wir," sagte der Langbärtige — er wurde mitgezogen.
Er ging gern.
Des Nachts legte er sich nicht nieder. Auf seinem Arm
war irgend ein Band, ein ebensolches wie cs der Lang-
bärtige trug. — Seine Stimmkraft war noch nicht er-
schöpft, alle fünf Minuten lief er auf den Erker. — Bis
Mittag wurde es stiller in der Stadt. Auf der Straße be-
grüßten ihn Bekannte. — „Wieso, weshalb?" Die Zeitun-
gen hatten die gestrige Namensliste veröffentlicht. Auch
sein Name befand sich unter denen der Führer. Er kaufte
alle Blätter. In allen las er seinen Namen. Das Weitere
ging natürlich rasch vonstatten.
Noch am selben Abend wurde er in irgend ein — wie
heißt cs nur — gewählt. — Die Zeitungen brachten von
neuem seinen Namen. Am anderen Tag gab er eine Er-
klärung ab. Am dritten Tag war er irgendwo anwesend.
Am vierten Tag brachten die Zeitungen wieder seinen
Namen. Im Laufe von sechs Wochen war er ein Staats-
mann. Und hielt eine Rede gegen die Übergriffe der
Presse.
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