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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 30.1925, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (Rheinland)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3887#0136
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noch da wie vorhin, und er selber war noch der arme, einsame Dorf-
pfarrer, gebannt in seine kleinen Pflichten zwischen den Bauern. Die
Sonne ging eben unter hinter den Dächern seines Dorfes, und der
Angelus klang von seiner Kirche, als er aus dem KinningShofe auf die
Landstraße trat. Die Fenster der Kirche glühten im Feuer der unter-
aehenden Sonne und ein großer Frieden lag über dem Lande. Da löste
sich die Qual von seiner Brust. War denn diese irdische Glückseligkeit
in Fleisch und Bein das Höchste und Letzte was es gab für den Mann?
Gab eö für ihn nicht einen höheren Dienst als die Arbeit für Weib und
Kind? — Und er dachte an die Ekstase, an die heilige Besessenheit
derer, die weder Weib noch Kind gekannt, sondern einzig für eine
ewige Sache geglüht hatten. Er sah sie plötzlich dastehn, rings auf seinen
Bergen, mit flammenden Augen, und er hörte ihre Stimmen gegen die
Himmelswände schallen. Er sah sich selber vor Gottes Angesicht gestellt
in der Reihe jener Erwählten, Propheten, Märtyrer, Dichter und Ein-
siedler, die nichts gekannt in ihrem Leben, als den großen Gott in ihrer

Brust, für den sie in sich selbst verbrannt waren, daß von ihrem Leib
und all dem irdischen Fortleben in Kind und Enkel nichts zu sagen blieb -
und nur das eine über die Menschheit leuchtete durch die Jahrhunderte:
Der große Gedanke, für den sie sich selbst der Menschheit zum Opfer
gebracht hatten! — O, auch er wollte sich opfern für diesen Gott, der
ihn hierher berufen, daß er sein Wort leuchten laste — allen, die ihm
anvertraut waren im Priesteramte. Und in diesem erhabnen Gedanken,
stieg er zu seiner Kirche hinan, die immer tiefer erglühte,m Feuer der
sinkenden Sonne — und seine Seele, von allem irdischen Begehren
losgelöst, wogte in himmlischer Musik. Er stieg hinan, nein er schwebte
hinauf, in glühender Begeisterung, seiner neuen Erkenntnis Gottes bis
zum völligen Vergeffen der Umwelt und des eigenen Daseins hingegeben.

Er hatte die Gewißheit in sich, die Geburt zu einer neuen Welt, zu
einem größeren Leben hatte sich an ihm ereignet, und sein inneres Auge
hatte heute erst die ewige Bestimmung erkannt.

Weihespruch

zur Iahrtausendfeier der Rheinlande.

Zum Adler des Reiches
Heb ich die Traube am Rhein,

Die voll ist von Süße.

Sie sog aus der Erde die Kraft,

Der mühsam bestellten,

Und der Sonne freudiger Strahl
Drang in ihr leuchtendes Blut.

Drunten rauschet der Strom
Und spendet uns allen den Segen,

Hoch in den Wolken schwebet der Aar
Und durchdringet Nähe und Ferne,

Weit in die Zukunft spähet sein Blick,
Deutschland bleibet sein Hort.

Der Völker Blühen sei heilig,

Heilig ihr eigen Gebot,

Doch war ihr friedvolles Reifen'

Am Weltenbaum listig zerstört,

Deß Glück wird vergehen,

Deß Spur wird verwehen
Wie winterlich Eis

Vor des Frühlings befreiendem Leuchten.
Frühling der Freiheit erwach in der Welt!
Zu Gott, dem Vater der Völker
Heben wir hoffend das Herz.

Frz- Jos. Lichtenberg-Köln

Marterl

Auf einer Londoner Auktion historischer Raritäten
wurde ein Schneidezahn Napoleons um 120 Pfund
abgegeben.

O Wandrer, stehe baff und stumm!

Hier liegt der Zahn, den Napolium
Ehmals sehr schneidig und gesund
Gen England gefletscht aus seinem Mund.
Nun hat er ein jammervoll End genommen,
Indem er dort unter den Hammer gekommen
Und losgeschlagen ward um rund
Einhundertzwanzig lumpige Pfund,

Obzwar ein Schneidzahn, so wie der,
Britannien heut kreuznötig wär!

— O Wandrer, findft du das nicht schundi?
Merk wohl: 8ic transit gloria „mundi“!

Gelja

Der Vogel

Der englische Dichter Rudyard Kipling erzählte einer
neuseeländischen Besucherschaft, daß er seinerzelt in
Neuseeland den Vogel Kiwi gegessen habe (der für
ganz unverdaulich gili). Seit einigen Jahren beschäftigt
sich Kipling nur mehr mit Spiritismus.

Er fraß den Vogel Kiwi —

Er fraß im Krieg den Bosch -
Er fraß sie ohne Zwiebi
Mit seiner großen Gosch' —

Der Bosch könnt' es ertragen
Und ließ sich nicht beirr'n —

Der Kiwi dahingagen,

Der stieg ihm in das Hirn.

Drum seit er jenen Liebling
Mit Haut und Haar diniert,

Hat einen Vogel Kipling,

Und spiritirisiert —

Und frißt nun die Magie wie
Er einst das andre fraß.

Das macht dem Vogel Kiwi
In seinem Schädel Spaß.

Den Geistern wird oft übi
Und sie entflieh» in Luft -
Jedoch der Vogel Kiwi
Bleibt Rudyard treu und ruft:

„Ich Geist des toten Piepling
Bin alles, was anitzt
Der große Rudyard Kipling
Noch an Geist besitzt..

A. D. N.

Julius Diez

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Register
Franz Josef Lichtenberg: Weihespruch
Julius Diez: Zeichnungen ohne Titel
Gelja: Marterl
A. D. N.: Der Vogel
 
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