Jul. Diez
DAS GLÄSCHEN BIER
VON KARL LÜTGE / MIT ORIGINALSTICHEN VON OTTO NÜCKEL
Die liebevollen Gattinnen der beiden Professoren Hagelmann und
Klappling hatten ihren Eheherren an diesem ungewöhnlich heißen
Augusttage den schulfreien Nachmittag zu einem kleinen Spaziergang
und einem Gläschen Bier - solo allein - freigegeben. Pünktlich
trafen sich die Professoren an der
Straßenecke, die zwischen ihren
Wohnungen lag.
„Nett von meiner Agnes, nicht?"
sagte Hagelmann zur Begrüßung
zu seinem Freunde und Kollegen
Klappling.
„Ich fand kaum Worte des
Dankes, als mir meine Agathe die
Mitteilung machte," erklärte brille-
rückend Professor Klappling.
„Also wo gehen wir hin?"
Professor Hagelmann war voll
Unternehmungsgeist.
„Nach Brillendorf, dächt' ich!
Da ist man am ungestörtesten, und
das Bier ist dort sehr gut, wie mir
gesagt wurde!"
„So, so. — Ich habe von
meiner Agnes fünfzig Pfennig in den Rock gesteckt bekommen!"
„Ich von meiner Agathe auch ... Drei Glas werden wir also
genehmigen können. Früher kostete draußen, ich weiß daS noch von
meiner Flitterwochenzeit, das volle Glas 15 Pfennig. Dann kann
man sogar 5 Pfennig Trinkgeld geben!"
„Einverstanden! Also gehen wir!"
Und die beiden alten Herren gingen den Waldweg nach Brillen-
dorf, daS etwa eine Stunde von der Stadt entfernt lag. In der
Krone, im Garten, faßen sie darauf bei schäumendem dunklem Bier.
Heiß war, wie gesagt, der Augusttag, und der Durst der Herren
nicht gering. Der unternehmende
Professor Hagelmann hatte rasch
sein zweites Glas. Professor Klapp-
ling, der Bedenklichere, erkundigte
sich vorsichtshalber ganz nebenbei,
als der Wirt das zweite Glas für
den Kollegen brachte, was der köst-
liche Trank heute eigentlich koste.
„Bei mir nur 40 Pfennig! In
der Stadt zahlen Sie sechzig da-
für!" erklärte der Wirt.
Sprach's und ging.
Dem Professor Hagelmann
schmeckte es plötzlich nicht mehr. Er
nahm Schlückchen um Schlückchen
und schüttelte immer den Kopf da-
bei.
„Was hast du denn?" fragte
teilnehmend Kollege Klappling, der
noch mit einem winzigen Rest in seinem GlaS liebäugelte.
„Sag' mal, hast d u a u ch wirklich nur fünfzig Pfennig, Klapp-
ling?"
„Ja."
,,Ich Hab' doch schon das zweite Glaö! — Selbst wenn wir Zu-
sammenlegen ... zweimal fünfzig macht eine Mark — und drei mal
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DAS GLÄSCHEN BIER
VON KARL LÜTGE / MIT ORIGINALSTICHEN VON OTTO NÜCKEL
Die liebevollen Gattinnen der beiden Professoren Hagelmann und
Klappling hatten ihren Eheherren an diesem ungewöhnlich heißen
Augusttage den schulfreien Nachmittag zu einem kleinen Spaziergang
und einem Gläschen Bier - solo allein - freigegeben. Pünktlich
trafen sich die Professoren an der
Straßenecke, die zwischen ihren
Wohnungen lag.
„Nett von meiner Agnes, nicht?"
sagte Hagelmann zur Begrüßung
zu seinem Freunde und Kollegen
Klappling.
„Ich fand kaum Worte des
Dankes, als mir meine Agathe die
Mitteilung machte," erklärte brille-
rückend Professor Klappling.
„Also wo gehen wir hin?"
Professor Hagelmann war voll
Unternehmungsgeist.
„Nach Brillendorf, dächt' ich!
Da ist man am ungestörtesten, und
das Bier ist dort sehr gut, wie mir
gesagt wurde!"
„So, so. — Ich habe von
meiner Agnes fünfzig Pfennig in den Rock gesteckt bekommen!"
„Ich von meiner Agathe auch ... Drei Glas werden wir also
genehmigen können. Früher kostete draußen, ich weiß daS noch von
meiner Flitterwochenzeit, das volle Glas 15 Pfennig. Dann kann
man sogar 5 Pfennig Trinkgeld geben!"
„Einverstanden! Also gehen wir!"
Und die beiden alten Herren gingen den Waldweg nach Brillen-
dorf, daS etwa eine Stunde von der Stadt entfernt lag. In der
Krone, im Garten, faßen sie darauf bei schäumendem dunklem Bier.
Heiß war, wie gesagt, der Augusttag, und der Durst der Herren
nicht gering. Der unternehmende
Professor Hagelmann hatte rasch
sein zweites Glas. Professor Klapp-
ling, der Bedenklichere, erkundigte
sich vorsichtshalber ganz nebenbei,
als der Wirt das zweite Glas für
den Kollegen brachte, was der köst-
liche Trank heute eigentlich koste.
„Bei mir nur 40 Pfennig! In
der Stadt zahlen Sie sechzig da-
für!" erklärte der Wirt.
Sprach's und ging.
Dem Professor Hagelmann
schmeckte es plötzlich nicht mehr. Er
nahm Schlückchen um Schlückchen
und schüttelte immer den Kopf da-
bei.
„Was hast du denn?" fragte
teilnehmend Kollege Klappling, der
noch mit einem winzigen Rest in seinem GlaS liebäugelte.
„Sag' mal, hast d u a u ch wirklich nur fünfzig Pfennig, Klapp-
ling?"
„Ja."
,,Ich Hab' doch schon das zweite Glaö! — Selbst wenn wir Zu-
sammenlegen ... zweimal fünfzig macht eine Mark — und drei mal
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