Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ENA GANDERSHEIM

VON MARGARETE SACHSE

Rolf Roland fand sich zu Ena Gandersheim wie zu einem unbe-
wußt besessenen, verlorenen Heimatglück.

Er wußte nicht, daß er ihr dafür die Freude seines jungen Lebens
schenkte. Sie nahm sie ohne Überraschung, beseelt, erquickt und zum
Behüten bereit, als eine seltene, ihrem Garten nicht entsprossene
Blüte. Seine siebzehn Jahre waren bisher einsames Spi.el oder
leichte Geselligkeit gewesen. Eltern und Geschwister waren satt und
gesund. Wußten nicht, was da Erlesenes zwischen ihnen aufwuchs in
zarter Fröhlichkeit, unbeirrt, hellschimmcrnd und singenden Herzens.

Aus sich selbst sog daS Kind diesen Freudenquell, von den anderen
nicht verstanden, nicht ernst genommen; und doch hätte ihn niemand
entbehren mögen. Er war ein Licht auf ihrem Wege, das sie gratis
hatten; sie ließen eS sich gefallen wie alles, was sich ohne Ansprüche
zu machen ihrem bequemen Leben einfügte.

Aber die buntfröhlichen Träume zerstreuten den Knaben beim
Unterricht, die Abgangsprüfung schien gefährdet, die Lehrer warnten;
zum erstenmal nahm ihn der Vater scharf vor.

Der junge Rolf ward
wie Stahl: er wußte, daß
seine Selbständigkeit auf
dem Spiele stand; er setzte
seine besten Kräfte ein, ar-
beitete ohne aufzuschauen
und leistete ein über-
raschend frühes Abitur.

Bei seiner Mutter hing
ein Bild: steilbegrünte

Meeresufer, dahinter
braune Strohdächer wind-
zerzaust hervorlugten.

Schon in seine frühe
Kindheit hatte eö einen
Hauch von Weite und
Einsamsein getragen, mit
unverstandenem Heimweh
lockend.

Nun fuhr er siegreich,
blaß, noch in allen Ner-
ven müde, dem Ufer sei-
ner Sehnsucht zu. — Der
kleine Dampfer pflügte
sich durch sommerlich
blauen Wasserspiegel zu
einem schmalen Streifen
Land zwischen Meer und
Binnensee. Das Hafen-
bollwerk tönte unter dem
anspringenden Fuß: noch
wußte Rolf keine Woh-
nung und schlenderte wäh-
lerisch, mit farbenseligen
Augen, zwischen blumen-
bunten Dorfhäuschen; ein-
geheckt, strohbedacht, war- Märchen

teten sie; dann zog ihn zarter Rosenduft in einen fast unsichtbar
schmalen Gartenpfad. Im Eindringen fühlte er eine Spannung sich
lösen, fieberndes Suchen ward stille. Heimlich streichelten ihn zu-
strebcnde Blütenbüsche; er folgte froh vertrauend dem engen Durch-
schnitt bis zu einer rosenumrankten Villa hinab.

Aus der ebenerdigen Tür trat eine Dame, schmalgliedrig, unsäglich
feine Würde des Alterns in Gestalt und Bewegung. Ihre Augen,
groß, warm und dunkelbraun, von wahrhaft Goetheschem Glanz,
sahen unter der weißen Haarwoge ernsthaft auf ihn, der barhaupt
und ehrfürchtig vor ihr stand. Unter ihrem Anschauen belebte sich sein
offener Blick. „Darf ich nicht hier bleiben?" fragte er plötzlich schlicht.

Kluges Lächeln stieg in ihre leise verwitternden Züge: „Warum
wollen Sie hier bleiben?" - Die Stimme schwebte so leicht, fast
lustig, sie löste seine letzte Befangenheit. „Es ist ganz gewiß schön
hier!" fuhr er heraus. „So? Woher wissen Sie denn das?" flog
ihm die Stimme wieder zu, diesmal schon warm belebt. Rolf suchte
nach der Antwort und stockte, sich rasch verbeugend.

Eine andere, noch äl-
tere Dame war herange-
treten, altmodisch, mager,
häuslich in schwarzer
Seidenschürze, doch von
derselben feingliederigen
Rasse. Sie sah unter zu-
sammcngezogenen Brauen
ein wenig verschmitzt auf
die Sprechenden, sagte
aber gastlich: „Kommen
Sie nur, Ena fragt
immer so viel! Ich will
Ihnen das kleine blaue
Seezimmer zeigen. Mir
können Sie dann sagen
wie Sie heißen."

„Nun komm' ich in
den Himmel," sagte Rolf
oben auf der Schwelle
zu seinem Handköfferchen.
Wirklich war der kleine
zartblau ausgemalte Raum
in der Schmalseite fast
nur Fenster, das in die
helle Luft aufbrach. Dar-
unter, bis an den Garten-
deich, blaute tiefer das
lebendige Meer.

Und tiefer tat sich von
diesem Tage das Leben
vor dem beglückten Jun-
gen auf. War es nicht,
als hätte man über das
eigene leicht hinplät-
' schernde Dasein weg auf
Lithographie von Peter Comes ein anderes zu gelebt, war

1027
Register
Peter Comes: Märchen
Margarete Sachse: Ena Gandersheim
 
Annotationen