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30. JAHRGANG

E N B

1925 / NR. 49

ORKAN

VON EDVARD WELLE-STRAND

Auf dem nackten Felsen Skagnäs steht eine niedrige Fischerhütte nach dem Boot ausschauen," sagt sie. „Ich habe eben gerade aus

und trotzt den harten Stürmen des nördlichen Eismeers. Ein rot- dem Fenster gesehen, konnte aber nichts bemerken."

gestrichenes Bootshaus und eine Holzscheuer stehen dort, geduckt wie
verängstigte Tiere, beinahe

unsichtbar zwischen den schwe-
ren Felsblöcken.

Skagnäs ist ein wetter-
harter Platz, wo es bei
Nord- und Weststürmen le-
bensgefährlich ist zu landen.

Schären und Untiefen zei-
gen ihre schwarzen, unheim-
lichen Rücken, und bei Un-
wetter bricht das Wasser bis
zu zehn Faden hoch in den
schmalen Lauf. Wenn die
Eismeerstürme mit hitziger
Gewalt einsetzen, sodaß die
Grundwasser weiß kochen,
der dunstige Schaum und der
Seenebel in weißen Wolken,
die den Blick verhüllen, über
das Land fliegen, - dann
heißt eö Mut und Kalt-
blütigkeit besitzen, um ein
Boot durch den schmalen
Sund zu führen. -

Weihnachtsabend. Unwet-
ter und Dunkelheit. Der
Himmel hängt wie eine
graue, durchnäßte Kappe
über dem Meere mit ein paar
wilddaherrasenden Wolken da-
zwischen, die wie große, loS-
geriffene Lappen dahinfliegen.
Große Regentropfen klat-
schen auf die Meeresfläche.

In der niedrigen Stube
auf Skagnäs brannte eine
schmälende Petroleumlampe.
Alles in der Fischerhütte ist
zum Feste weiß gescheuert.
Eine Frau in mittleren Jah-
ren steht am Ofen und achtet
auf den Kaffeekessel, und am
Tische sitzt ein Junge und
liest in einem Buch. Als die
alte, geschnitzte Schlaguhr
sieben schlägt, legt der Junge
das Buch weg und geht ans
Fenster. Dort steht er lange und
schaut auf den Fjord hinaus.

Die Frau stellt eine Taffe
Kaffee auf den Tisch.

„Nun mußt du Kaffee
trinken, Olaf, und ich werde

A. Kreuth

St. Nikolaus

„Bist du wegen Vater und Ole ängstlich, Mutter?"

„Das bin ich gerade nicht,
sie sind schon so oft in noch
viel ärgerem Wetter draußen
gewesen. Doch sieht es aus,
als wenn es heute Nacht noch
schlimm werden würde. Wenn
sie nur den Fjord erreichen,
bevor der Sturm richtig
losgeht."

Sie nimmt ihre Strick-
arbeit zur Hand und setzt
sich auf die Holzkiste. Ein
alter grauer Kater reibt
sich schmeichelnd an ihren
Beinen.

Draußen auf dem Meere
sammelt der Sturm neue
Kräfte. Es kommen kurze,
heulende Stöße, die die
Stube erzittern lassen, und
die Brandung bricht mit
tosendem Krachen an den
Felsen.

Der Junge geht wieder
ans Fenster. Der vom Meere
hergepeitschte Schaum hat
eine weiße Schicht über die
Fensterscheiben gelegt, sodaß
er nur eben noch das Meer
erblicken kann.

„Das Wetter wird furcht-
. bar heute abend," flüstert er
ängstlich.

In demselben Augenblick
trifft ein Windstoß die
Stube, daß sie wie ein ver-
wundetes Tier aufstöhnt.
Dann kommt wieder ein
kurzer Stoß — und noch
einer — und dann folgen sie
Schlag auf Schlag wie
scharfe, sausende Peitschen-
schläge.

Der Junge geht zur
Mutter. Die Katze ver-
kriecht sich verängstigt unter
dem Ofen.

„Gott helfe und bewahre
die Unfern heute abend,"
rufen sie beide gleichzeitig
voller Angst.

Die Stube wird ihnen zu
eng. Es kommt ihnen vor,


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A. Kreuth: St. Nikolaus
Edvard Welle-Strand: Orkan
 
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