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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 31.1926, Band 1 (Nr. 1-26)

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Die Fragen schwirrten durcheinander.

„Nichts von alledem und dennoch ein todeswürdiges Verbrechen
— nur einem Zufall habe ich eS zu danken, daß ich vor dem Schreck-
lichsten bewahrt blieb..." Sie schauderte noch in der Erinnerung
zusammen.

Irgend etwas in ihrer Stimme wirkte aufreizend auf Molyneux,
er horchte plötzlich mit angespannten Nerven.

„Waö hat sie getan, Lady Severne.. . sprechen Sie doch ...
machen Sie unö nicht länger neugierig!"

„Das Kleid, das ich gestern Abend trug, Sie wissen vielleicht
noch .. ."

„... eö war aus Goldlams mit schwarzen Straußfedern!" warf
mit verzückter Stimme einer der Herren ein.

Lady May nickte.

„ ... dieses Kleid, ein Meisterwerk von Patou . .. sie hat ge-
gewagt... es anzuziehen..."

Ein Sturm der Entrüstung erhob sich.

„Zu welchem Zwecke sie diese unerhörte Kühnheit beging, ist mir
unerfaßlich. Jedenfalls versuchte sie, auf meinen festen Schlaf bau-
end, das Kleid nachts in den Schrank meiner Kabine zurückzu-
hängen . .. Bedenken Sie nun, wenn ich nicht erwacht wäre... ich
hätte vielleicht dieses Kleid, das meine Dienerin getragen, wieder
angezogen... ich ... nach ihr!"

. Laute des Entsetzens, des Mitgefühls wurden hörbar. Nur
Molyneux schwieg betäubt. Seine Gedanken jagten einander. Er
erlebte blitzschnell jede Phase seines nächtlichen Abenteuers wieder..
Eine Dienerin war es also gewesen, an die er seine zärtlichsten, ehr-
furchtsvollsten Worte und Liebkosungen verschwendet, eine Dienerin
und nicht die Stolze, Unerreichte hatte in seinen Armen gelegen .. .

„Und was geschah mit der Schuldigen?"

„Ich sagte es schon, sie verläßt in Amalfi die Jacht und fährt
nach Haufe. Das Kleid habe ich ihr geschenkt... für mich ist es
ja wertlos. Ich hätte sie vielleicht behalten, wenn sie nicht verstockt
jede Antwort auf die Frage nach dem Grund dieser seltsamen An-
wandlung verweigert hätte."

Molyneux erhob sich und verließ, mit einer hastig gemurmelten
Entschuldigung seinen Platz. Erstaunt sah ihm die kleine Gesell-
schaft nach, nur um Mays Lippen spielte ein kleines verruchtes
Lächeln.

Die junge entlassene Kammerzofe lehnte an der Reling und blickte
vor sich hin ins Wasser. Plötzlich stand Molyneux neben ihr und
legte die Hand auf ihren Arm. Sie wandte sich um und sah ihn an.
Kein Schatten einer Erinnerung war in ihren Augen, kein Zucken
einer jähen Überraschung im Gesicht, nicht das kleinste Anzeichen
dafür, daß sie ein Geheim-
nis verband.

„Ich höre, daß Sie
Lady Severn entlassen
hat."

Sie neigte stumm den
Kopf.

„War eS nicht töricht,
diese Maskerade aufzu-
führen? Warum entlehn-
ten Sie das kostbare
Kleid Ihrer Herrin, um
eine Stunde lang ein
Scheindasein zu führen..
das keinen täuschte!" fügte
er grausam hinzu.

„Ich weiß nicht, was
für ein Märchen Ihnen
Mylady erzählt hat, eS

kann mir ja nicht gleichgültig sein. Ich weiß nur, daß Mylord sehr
eifersüchtig ist, daß er, uachdem Mylady sich schon vor Stunden von
ihm unter dem Vorwand getrennt hatte, wegen einer heftigen
Migräne zu Bett zu gehen, eine Gestalt in Myladys Goldlamekleid
in ihrer Kabine verschwinden sah. Daß er heftig Einlaß forderte
und eS lange Zeit brauchte, bis sie sich ermunterte, und daß diese
Zeit genügte, um mit mir, die ich immer in der Kabine nebenan
schlafe, die kleine Komödie zu inszenieren, die sie übrigens sehr gut
bezahlt hat. Sie sind ein Gentleman und werden mich gewiß nicht
verraten, darum habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt. Das Lame-
kleid ist übrigens arg zugerichtet..." eö schien Molyneux, als ob
ein ironisches Leuchten in die großen Augen der Zofe trat... „die
eine Spange ist ganz abgerissen..."

Molyneux hatte verstanden. Er betrachtete das junge Mädchen
und sah durch das einfache Zofenkleid den schlanken, entzückenden
Körper, sah die schmalen Handgelenke und die feinen Fesseln, er
fühlte einen Duft von Jugend und Veilchen über sich hinwehen.
Er legte in Gedanken Goldlame um die graziösen Glieder und lachte
plötzlich ... lachte laut und herzlich, wie er schon lange nicht gelacht.
Er begriff die Lüge Lady Mays, mit der sie den Argwohn ihres
Mannes eingeschläfert und bewunderte ihre kühle Sicherheit noch
mehr in der Erzählung dieses Morgens, als in dem Abenteuer jener
Nacht.

Die Jacht legte in Amalfi an. Molyneux ging mit der kleinen
Kammerzofe zusammen an Land.

DER SIEG

VON ZERFASS, MÜNCHEN

Sie sagte: Womit hast du verdient, mich zu besitzen?

Ihr Haar lag gleich einer Welle über ihren Schultern; ihre Hände
schoben mich von sich.

Sie sprach weiter: Weißt du nicht, daß die Liebe ein

Kampf ist? Und du, der Tapfersten einer, willst du den Sieg
ohne Kampf?

Sie lächelte verächtlich und trat in den Schatten zurück. Unsere
Blicke begegneten sich und mein Herz erbebte.

Sie fuhr fort: Wessen kannst du dich rühmen, daß ich mich in deine
Arme verlieren soll? Weißt du nicht, daß eS der Mut ist, der den
Fahnenträger ziert? Und du? Wer hat im Kampfe mehr Wunden
erhalten als du? Und dennoch fürchtest du die Schmerzen der Liebe?

Ich faßte ihre zarten
Hände und murmelte:
Vielleicht.. .

Die Dämmerung, kam
herab. Eifersüchtig hatte
die Sonne sich verborgen.
War eö, weil die Geliebte
in mein nächtliches Er-
scheinen gewilligt?

Sie ließ ihre Hände in
den meinen und wieder-
holte: Womit hast du ver-
dient, mich zu besitzen?

Was konnte ich ent-
gegnen?

Über die Erde sank die
Nacht. Ein verspäteter
Hirte sang ein Lied.

Ich sprach: Höre..! ..

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Register
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Julius Zerfaß: Der Sieg
 
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