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Du bist rot, ja färbst sogar ab, aber dies schmälert unsere Freund-
schaft nicht, die in langen Jahren und in vielen Touren immer
inhaltsreicher wurde. Wenn wir beide, Rücken an. Rücken, bei Sonne
und auch bei Regen und Schnee durch die Länder zogen, sang es in
uns von Jugend und Abenteuerlust. Enger wird unsere Freundschaft
noch werden bis du einmal alt und gebrechlich bist. Wie gerne
würde ich dich dann zu meinen kleinen Raritäten legen, gleichsam
unter Glas, aber die Freunde — Menschen — würden mich aus-
spotten, vielleicht käme es auch mir etwas lächerlich vor. Ich schäme
mich ja, daß ich den Mut dazu nicht aufbringen werde, aber das
brauchst du ja nicht weiter zu erzählen. Du Haft auch niemals mehr
an meiner Liebe zu dir zweifeln müssen, seit damals am Patteriol,
als wir uns allein verstiegen hatten und nur noch einen fast senk-
rechten Kamin zum Abstieg fanden. Du kannst mir glauben: es
war mir gar nicht wohl als ich dich, auf der kleinen Felsplatte
gekauert, abftreifte und dich auf daS hundert Meter tiefer liegende
Schneefeld warf, nachdem unser gemeinsamer Freund, der Eispickel,
denselben Weg hatte gehen müssen. Weißt du noch, wie wir uns
dann in der Hütte wunderten, als ich die heiße Suppe, der du den
Tisch ersetztest, mit zitternden aufgerissenen Händen zum Munde
führte und mancher fette
Tropfen auf dich siel, daß es
so war? Du erwähntest nie
mehr etwas davon, taktvoll,
als verständest du, daß der
Mensch nicht gern an bange
Minuten erinnert sein will.

Weißt du auch noch damals
im Allgäu, als wir die steile
Eisrinne abfuhren und trotz
des abbremsenden Pickels zu-
viel Fahrt bekamen und dann
abftürzten? Als ich damals
wieder zur Besinnung kam,
lag ich mit dem Kops auf
deinem Rücken, während die
Sonne zum erstenmal aus
dem dicken Gewölk hervor-
sah. Wie kam unö das Le-
ben schön und unbekannt
vor. Doch schöner ist die Er-
innerung an Portosino; da-
mals durchwanderten wir
Italien. Zu Fuß, mit dei-
nem Inhalt als einzigen
Proviant — und doch reich.

An den Klippen von Porto-
fino hingst du eingekrallt und
horchtest ängstlich zu uns Ba-
denden hinunter, bis ich dich
in eine bequemere Lage
brachte. Oder als wir von
Marina di Massa nach Forte
dei Marmi durch den Sand
wateten und das Wasser
unsere Sohlen netzte, das
heißt meine Sohlen, du liebst
die Nässe weniger und bliebst
ganz gern einen Meter über
dem Wasserspiegel. Damals
hattest du noch keine Augen,
die bekamst du am Großglock-
ner, wo ich in Haft die Steig-
eisen falsch an deinen Schul-
ter befestigte und du in Die Wäscherin

Heiligenblut zwei große runde Augen hattest, die mit mir erstaunt
auf ernen Mann sahen, auf dessen Glatze die Laterne ihren Schein
warf, und der uns mit den Worten: „Wollen Sie sich meines
Institutes bedienen?" begrüßte.

Wir waren in ein LeichenbeerdigungSinstitut geraten, aber er setzte
uns doch den neuen Stiel in den zersplitterten Eispickel, mit dem wir
dann allem Aberglauben zum Trotz nochmals gegen den widerspenstigen
Berg zogen und unser Ziel auch erreichten.

Gestern nun waren wir zum erstenmal in diesem Winter fort
und als wir abends Heimsuhren und du zusammengerollt, gleich
einer Katze, meinem Kopf das Kissen ersetztest und die letzten
Stunden wieder als Film vor meinen geschlossenen Augen vorüber-
zogen, wir wieder auf dem Gipfel in der heißen Sonne standen
und aus das Wolkenmeer sahen, das sich unendlich weit ausbreitete
und aus dem die Gipfel gleich Klippen aus brandendem Meere
sich erhoben, zogen auch alle gemeinsamen Fahrten mir wieder durch
den Kops, und da faßte ich den Entschluß, dein Loblied zu singen,
wie Andere Göttern, Vögeln oder Ländern ihre Lieder weihen,
die nun lächeln mögen über meine Liebe zu einem roten, abgenützten
Rucksack.

Carla Pohle

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Register
Carla Pohle: Die Wäscherin
Nils Peter Jönsson: Mein Rucksack
 
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