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NÄCHTLICHES ABENTEUER

VON HANS FREDERSDORF / MIT ZWEI ORIGINALSCHNITTEN VON O. NÜCKEL

Dieses widerfuhr Herrn Alois Krempel, einem Freunde späten
Heimganges, welcher, seiner Wohnung zusteuernd, im Hausflur Licht
bemerkte und erfreut über dieses Entgegenkommen des Zufalls er-

leichtert die Haustür öffnete, schloß und mächtig angezogen von der
Nähe heimlicher Lagerstätte, fröhlichen Schrittes der Treppe zu-
steuernd, plötzlich (und deshalb um so peinlicher berührt) im Dunkeln
stand. Der Automat hatte nur seine Pflicht getan, es war ganz in
der Ordnung, man hatte nur wieder auf den Knopf zu drücken und
der alte Zustand strahlender Beleuchtung war wieder hergeftellt.
Jedoch: dieser weiße Knopf befand sich nähestens im ersten Stock,
irgendwo an der Wand, aber immerhin, man würde ihn finden und
Herr Krempel stieg mutig zur Höhe. Dort angekommen, tastet er an
der Wand, findet ihn, drückt — wie gewohnt — und siehe da: der
schrille Ton einer elektrischen Klingel schallt feuerwehralarmmäßig
durch das stille Haus. Krempel darauf — ganz begreiflich — erschrickt
zu Tode und steht herzklopfend da. Um Gottes willen, denkt er, zu
übermitternächtiger Stunde an der Türe friedlich ruhender, übrigens
wildfremder, nichtsdestoweniger achtenswerter Leute zu schellen — was
tun? Sich entschuldigen? Um diese Stunde — sollte man es über-
haupt soweit kommen lassen? Aber: wenn ich jetzt davoneile und
man kommt inzwischen an die Tür, wird man mich nicht für einen
Eindringling halten, einen Einbrecher, der sich verraten, kurz für
etwas Verdächtiges und darum ernsthaft zu Verfolgendes?

Indessen Krempel noch denkt, öffnet sich drinnen leise eine Tür,
immerhin aber nicht leise genug, als daß es der Verzweifelte vor der
Türe nicht höre. Verraten! denkt er, schon ganz im Stile des Detek-
tivromans, aber wenn er erwartet hatte, im nächsten Augenblick einem
bärtigen Mann im Nachthemd mit dem Revolver in der Hand gegen-
überzuftehen, sieht er sich bald enttäuscht; nur leises Geflüster hört
er drinnen, dann knackende Dielen und weiteres, schon erregteres Ge-
flüster. Die Sache ist die: drinnen im Flur liegen Mann und Frau

angstdurchwogt auf dem Fußboden und spähen unter der Tür hindurch
nach der Treppe, wo sie denn tatsächlich zwei Männerftiefel er-
blicken, deren Anblick sie in den größten Schrecken versetzt, denn
zweifellos: es will einer etwas von ihnen. Plötzlich bekommt der
Mann, die Ungewißheit nicht länger ertragend, einen Mutanfall und
ruft „Wer ist da?I aber der bewährte Ruf bleibt ohne Antwort,
womit erwiesen, daß der draußen Stehende, oder schon mehr Lauernde
von unsoliden Absichten erfüllt scheint. Krempel indessen, nicht un-
klug, vermutet richtig aus den Exkursionen zu ebener Erde des Ehe-
paares Absichten und hat einen rettenden Einfall.

Solange ich da stehe, sagt er sich, werden sie nicht herauskommen,
aber ich werde diese Gelegenheit benützen und solange ich dastehe,
weglaufen. Daö klingt paradox, aber es hat, vom Standpunkt des
Krempelfchen Einfalls betrachtet, seine Richtigkeit, denn der nächt-
liche Abenteuerer wider Willen zieht, als sich das Ehepaar wieder
vom Boden erhoben, rasch seine Schuhe aus, stellt sie an den alten
Platz und schleicht katzenpfötchenweich die Treppen hinauf in seine
Wohnung, wo er sich, verschmitzt und beruhigt lächelnd, ins Bett legt.
Unten indessen will das Ehepaar der Sache auf den Grund gehen
und leuchtet, um zu prüfen ob es keiner Sinnestäuschung zum Opfer
gefallen, mit einer Taschenlaterne unter den Türspalt auf die Treppe
und damit auf die Schuhe, die im schwachen mystischen Schein des
Lämpchens des grauenhaften Gastes unleugbares Dasein beurkunden
und das Ehepaar veranlassen, sich schleunigst zurückzuziehen, sich hinter
Schloß und Riegel zu bringen, Aspirin zu schlucken, die Polizei
anzurufen und, daß da dieses mit erheblichen Schwierigkeiten ver-
bunden, eine Reihe stärkender Kognaks zu sich zu nehmen, bis dann,
bewaffnet und ernst, mittele heruntergeworfenen Hausschlüssels die

Polizei eindringt und sich höchstpersönlich von dem Vorhandensein
eines Paares nicht mehr ganz neuer, aber doch nicht gerade auf ver-
brecherische Abstammung schließen lassender Stiefel zu überzeugen...

ACETUM PYROLIGNOSUM CRUDUM*)

VON HEINZ VON LICHBERG

Das erinnert mich an die Geschichte, die im vorigen Winter mit
der Exzellenz passierte.

Man hat männliche Exzellenzen und weibliche Exzellenzen, welch
letztere oft in der Lage sind, die Exzellenzherren vollauf zu ersetzen,
was Energie, Brustton der Überzeugung und Tatkraft angeht. Sie
sind anzutreffen in Ball und Wohltätigkeitskomitees, wo ihr ein-
faches Dasein genügt, um junge Damen in tiefe Ehrfurcht und heil-
lose Verwirrung zu versetzen, während Herren jeder Gattung sich
ihrem Bannkreis möglichst zu entziehen trachten.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein wundervolles ver-

*) Nicht im BrockhauS nachschlagen! Es wird nachher ohnehin übersetzt!

witwetes Exemplar dieser Gattung, sozusagen eine Spitzenleistung
des lieben Gottes auf dem Gebiete. Etwas Spitzeres als die Ex-
zellenzwitwe ist schwer denkbar, in Wort und Körperlichkeit und des-
halb war sie auch überall so gern gesehen. Sie hielt sich für den
Mittelpunkt allen Geschehens. Einbildung vermag viel.

Die selige Jungfrau von Orleans stellte — auch was die Pan-
zerung anbetrifft — einen Schmarren vor gegen die Exzellenzfrau, nur
daß die heilige Johanna den oben genannten Brustton vollauf besaß,
während die Exzellenz mehr Wert auf den Ton allein zu legen schien
und die Iungfrauenschaft lediglich durch ihre Tochter. verkörpert
wurde. Es handelte sich da um eine langjährige, erprobte Verkörpe-

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Register
Hans Fredersdorff: Nächtliches Abenteuer
Otto Nückel: Illustration zum Text "Nächtliches Abenteuer"
Heinz v. Lichberg: Acetum pyrolignosum crudum
 
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