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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 31.1926, Band 1 (Nr. 1-26)

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Zeichnung von Julius Diez

rung, ohne daß je ein Mann
den Wunsch verspürt hätte,
diesen Zustand auch nur an-
deutungsweise mit Hilfe eines
Myrthenkranzes zu verändern.

Bis eines Tages der un-
glückliche Maximilian infolge
einer Wette und im Zustand
totaler Besoffenheit...

*

Zugegeben — ■ eö ist eine
Verruchtheit, um die Hand
einer Exzellenztochter anzuhal-
ten, nur weil man gewettet
hat, wer der Mutigste ist.

Jedoch selbst gerichtsbehördlich
pflegt Alkohol als mildernder
Umstand angesehen zu werden.

Sei dem wie eö sei — von
Stund an durfte unser Mäx-
chen nirgends mehr erscheinen
ohne seine beiden Anhängsel
und eine bittere Falte grub
sich auf seiner Stirn ein. „Durchhalten!" pflegte er zu sagen, „noch
ist der veilchenblaue Iungfernkranz nicht definitiv gewunden. In
allen Kientöppen wurde der Held knapp vor Schluß wundersam er-
rettet. Hoffen wir weiter!"

Kintöppen wurde der Held knapp vor Schluß wundersam errettet.
Hoffen wir weiter!"

*

Acetum pyrolignosum crudum ist nichts weiter als der ge-
meine Holzessig, eine gelblich klare Flüssigkeit von empyreumatischem
Geruch, wie der große Meyer sagt. Der Begriff empyreumatisch
hinwiederum hat weder mit Empire, Napoleon und dergleichen noch
mit dem guten Rheuma etwas zu tun, sondern bedeutet einfach:
brenzlich. Holzessig ist also eine brenzliche Flüssigkeit, die sowohl zu
allen möglichen hygienischen Desinfektionszwecken als auch zum
Räuchern von Eßwaren gebraucht wird. Der Geruch ist jedenfalls,
wenn auch sauber, so doch nicht ausgesprochen angenehm.

*

Die netten Krauses geben manchmal reizende Gesellschaften für
junge Ehepaare und Junggesellen beiderlei Geschlechts. Amüsante
Feste kleinen Formats sind sehr schwierig zu arrangieren, weil alles
nach Zwanglosigkeit aussehen und dabei höllisch ausgeklügelt sein
muß. Zwanzig Prozent gutes Essen, zwanzig Prozent Schwips,
zwanzig Prozent Esprit und vierzig Prozent Flirt — so ungefähr.

Des lieben unglücklichen Mäxchenö wegen mußte die Exzellenzfrau
nebst Fräulein Braut ergebenst miteingeladen werden und zer-
schmetterte durch ihr spitzes Dasein den ganzen Abend, trotzdem man
ihr eine männliche Exzellenz als Blitzableiter beigesellt hatte.

In einer Ecke saß die süße kleine Komtesse B. und zerknautschte
wütend ihr Taschentuch, weil die Alte gefragt hatte, ob sie mit Er-
laubnis ihrer Eltern so kurze Kleider trüge.

In die andere Ecke hatte sich Max bekümmert mit einer dicken
Pulle zurückgezogen.

Kein Mensch tanzte. Zwanzig lebenslustige Personen, die sich sonst
nicht einmal über eine Regierungskrise aufregen können, standen
mißmutig herum. Einem satyrischen Dichter empfahl sie laut, nicht
soviel von dem kalten Huhn zu nehmen bei den teueren Zeiten und
der Hausherr hatte eine Bemerkung über den Sekt einftecken müssen:
„Als mein seliger Mann noch lebte, gab es bei uns nie Sekt in sol-
chen Mengen, aber daö Wenige, das gereicht wurde, war gut!"

Es herrschte eine allgemeine Ohrfeigenftimmung.

Da sah ich Herrn von Krause mit Märchen tuscheln. Beide
grinsten über das ganze Gesicht und besiegelten irgendein Abkommen
" '.schütteln und mehrmaligem AuStrinken.

>n an schritt das Unglück schnell.

Der gute Krause, der kein
Wort öffentlich reden kann,
baute sich mitten im Zimmer
unter dem Kronleuchter auf
und begann mit lauter
Stimme: „Eure Exzellenz,

meine lieben Freunde! Die
große Freude, die meiner be-
scheidenen Frau und mir, ich
meine, meiner lieben Frau und
mir in unserem bescheidenen
Heim zugeftoßen ist, nein
falsch, kurzum — wir geben
unserer Freude Ausdruck, Euer
Exzellenz zum ersten Male
hier begrüßen zu dürfen. Ich
möchte diese Gelegenheit aber
nicht vorübergehen lassen, ohne
sie zu ergreifen, ich meine, wir
müssen alle unsere Gläser
füllen! Wir haben ein Braut-
paar unter unö, wie es lieb-
licher nie erschaut wurde. So
bitte ich, besagte Gläser zu heben und zu leeren, wohlgemerkt, bis
zum letzten Tropfen zu leeren, auf daö Wohl des Brautpaares, auf
daß alles glücklich abgehe! Hurrah!"

Max drückte seiner Schwiegermama ein GlaS in die Hand: „Auf
einen Zug austrinken. Alter Aberglaube!"

Und in dem allgemeinen Iuchuh trank sie aus. Gott verzeih MLx-
chen die Sünde - es war halb Cognak, halb Sekt und ein großes
Glas.

*

Alkohol ist unparteiisch. Er macht mit den Menschen was er will,
egal ob Müllkutscher oder Matrone. Er hat die Macht. Die Ex-
zellenzfrau brachte er dazu, Shimmy zu tanzen bis sie krebsrot im
Gesicht wurde, bis Taille und Frisur verrutschten und hinter dem
Panzer andeutungsweise etwas wogte. Es war erreicht — der Eis-
zapfen taute auf. Niemand merkte, daß die liebe alte Dame für ein
Weilchen verschwand, aber als sie wieder erschien ...

Man soll nicht glauben, was ein bißchen Geruch auömachen kann.
Alle Nasen wandten sich ihr zu, während sie, selbst leicht schnüffelnd,
einhertändelte, eingehüllt in den Dunstkreis einer Atmosphäre, wie
sie sonst nur von einer Waggonladung frischgeräucherter Flundern
verbreitet wird.

In diesem Augenblick betrat Mäxchen ahnungslos und voll des
süßen Weines den Schauplatz. Ehe irgendjemand das kommende Un-
heil verhindern konnte, beugte er sich über seine zukünftige Schwieger-
mama, sog tief und geräuschvoll den Duft ein und sagte mit einer
freundlichen kleinen Verbeugung: „Gnädigste Exzellenzmama, Du
stinkst, glaube ich, wie ein Wald voll Affen!"

*

Die nächste halbe Stunde war angefüllt mit Wiederbelebungs-
versuchen, kalt Wasser, Eau de Cologne, Aspirin, Auto holen und
dergleichen. Herrn von Krauses ZorneSausbrüche auf Maximilian
waren meisterhaft und er ruhte nicht eher, als bis er von der ab-
fahrenden Exzellenzfamilie ermächtigt war, dem rüden Burschen die
Aufhebung der Verlobung infolge grober Taktlosigkeit vor ver-
sammelter Mannschaft mitzuteilen.

O wunderbare Rettung aus Gefahr!

Wir jubelten bis in den tiefen Morgen hinein und tanzten um eine
Flasche, die mit Blumen bekränzt unter dem Kronleuchter stand, wie
weiland um das goldene Kalb.

Es war eine alte Originalflasche von Lavendelwasser, in der die
hold errötende kleine Hausfrau ihr Acetum pyrolignosum crudum
des diskreten Endzweckes wegen verborgen aufzubewahren pflegte.

Märchens Schutzengel hatte die in noch diskreteren Geschäften im
Badezimmer weilende Exzellenz verleitet, ihre vom Tanz erhitzte
Anatomie ausgiebig mit dieser erfrischenden Flüssigkeit zu besprenkeln.

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Julius Diez: Arme Leute
 
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