PLASTIKEN
DIE HEILIGEN HÄNDE
(Veit Stoß Altar)
Nun ich sie sah, weiß ich, daß Einsamkeit gesagt werden kann.
An den vergrauten Steinwänden hatte ich geklopft und sie gefragt
— und sie hatten ihre Erlösungen herausgestellt: Die andächtige
Madonna — die weitherzige Madonna - die Insichgekehrte — die
Lächelnde — die Wehende.
Aber ich wollte sie alle nicht.
Ich klopfte gegen die alt-
ehrwürdigen Wände.
Da stellten sie ihre Heili-
gen heraus wie gute Lehren.
Ach, ich wollte sie nicht.
Ich klopfte gegen die alt-
ehrwürdigen Wände, dort,
wo sie sich mit blauroten
Fenstergluten um den Hoch-
altar biegen.
Da zogen sie ein schwar-
zes Gußwerk in sich ein.
Da war Christus auf dem
Olberg.
Jetzt sollte ich es wissen!
Einsamkeit ist, wenn alle
rundum einschlafen — und
man sieht sich um — ein
klein wenig — und fragt leise
den Einen — den Letzten:
Bist du noch da? Du? Dann
kommt das Schweigen durch
den Raum ohne Bewegung
gegangen. Aber dann gibt es
noch ein Wecken - ein leises
Ziehen am vertrauten Ge-
wände ... Irgend ein Auge
tut sich auf... sieht — will
bleiben — ganz gewiß, will
bleiben! - Aber du wirst
doch wieder zufallen! — sagt
man. — Und weiß es schon.
Und eö schließt sich traurig
wie ein verlöschendes Licht.
Dann sind aber noch die
Dinge. Die nahen Dinge
— die lieben Dinge — die
schönen Dinge. Warum rük-
ken sie ganz weit fort - um Sintflut
erreichbar und hart an den
Rand? Sie haben nichts
mehr mit dir zu tun.
Aber dann bist du noch! Du mit allem Eingesogenen
an Licht, — Eingefangenen an Schönheit. — Du mit
Weisheit, Glut und Glauben und Sehnen! Nun du in dich
hineinsiehft, ist alles erloschen. Es ist ein Nichts — ein Dunkel ohne
Tiefe. — Wohin, wohin? — Die Wolken, auf denen du kniest,
schweben davon ohne Halt, und du sinkst zwischen dem Nichts in
ein Nichts.
Hilfe.
Wir können es nicht. Du kannst es nicht — ich kann es nicht. —
Aber der Christus kann seine heiligen Hände durch die Einsam-
keit jagen wie ein Pfeil. Kann auf den entgleitenden Wolken über
den Schlafenden fern von der Umgebung der Dinge an diesen Hän-
den selber sich Hinhalten, bis Gott kommt. -
Aber bevor Gott kommt, dieser Augenblick hat die heiligen Hände
gesehen. Dieser Augenblick hat sie hineingemeißelt in die Leere — als
ein im Raume ertrinkendes, sich selbst noch haltendes Flehen:
„Wenn eS möglich ist.
Wenn es möglich ist —
dann nicht!"
MARIAMAGDALENA
(Adam Krafft Grablegung)
Was wissen wir von
Liebe?
Nur daß sie ist, wissen
wir.
Wir suchen sie überall,
aber sie zerbricht — oder wir
zerbrechen sie.
Noch ist ihr nicht die unzer-
brechliche Schale gefunden.
Wir denken immer: Sie
könnte noch größer sein —
noch unvergänglicher — noch
wachsender . ..
Wir wissen, daß sie ist -
irgendwo.
Und nun ist sie da! Vor
mir.
Ich war nur außen uni
die Kirche gegangen — aus
holperigem Pflaster um die
Ecke.
Und da war die Liebe.
Sie hatte sich in die Ge-
bärde der Maria Magdalena
hineinempfangen. Sie war
ganz in den Grund der Un-
begreiflichkeit hineingesunken
und zu ihrer Zeit langsam
an dem einen Arm emporge-
ftiegen bis in die Hand, die
des Geliebten Leiche stützte.
Nie konnte diese Schalen-
, f . band — diese wartende Hand
y - diese zitternde und doch
gefaßte Hand einen kalten
Körper empfinden. Immer
noch mußte sie das Leben an den Seitenrippen des Toten
fließen fühlen - mußte solange wartend offen sein, bis
sie es fühlte...... O, schon fühlt sie eö - schon strömt eö über
den geraden toten Oberkörper in das heilige verschlossene An-
gesicht.
Da wirft sie verzückt den Kopf nach hinten zur innersten Be-
gegnung — und das tote Haupt wendet sich ihr lebendig lächelnd
von ihren Rufen erwacht, ein wenig — kaum merkbar wenig —
aber doch, aber doch ihr zu ... . Elisabeth von Schmidi-Pauli
49
DIE HEILIGEN HÄNDE
(Veit Stoß Altar)
Nun ich sie sah, weiß ich, daß Einsamkeit gesagt werden kann.
An den vergrauten Steinwänden hatte ich geklopft und sie gefragt
— und sie hatten ihre Erlösungen herausgestellt: Die andächtige
Madonna — die weitherzige Madonna - die Insichgekehrte — die
Lächelnde — die Wehende.
Aber ich wollte sie alle nicht.
Ich klopfte gegen die alt-
ehrwürdigen Wände.
Da stellten sie ihre Heili-
gen heraus wie gute Lehren.
Ach, ich wollte sie nicht.
Ich klopfte gegen die alt-
ehrwürdigen Wände, dort,
wo sie sich mit blauroten
Fenstergluten um den Hoch-
altar biegen.
Da zogen sie ein schwar-
zes Gußwerk in sich ein.
Da war Christus auf dem
Olberg.
Jetzt sollte ich es wissen!
Einsamkeit ist, wenn alle
rundum einschlafen — und
man sieht sich um — ein
klein wenig — und fragt leise
den Einen — den Letzten:
Bist du noch da? Du? Dann
kommt das Schweigen durch
den Raum ohne Bewegung
gegangen. Aber dann gibt es
noch ein Wecken - ein leises
Ziehen am vertrauten Ge-
wände ... Irgend ein Auge
tut sich auf... sieht — will
bleiben — ganz gewiß, will
bleiben! - Aber du wirst
doch wieder zufallen! — sagt
man. — Und weiß es schon.
Und eö schließt sich traurig
wie ein verlöschendes Licht.
Dann sind aber noch die
Dinge. Die nahen Dinge
— die lieben Dinge — die
schönen Dinge. Warum rük-
ken sie ganz weit fort - um Sintflut
erreichbar und hart an den
Rand? Sie haben nichts
mehr mit dir zu tun.
Aber dann bist du noch! Du mit allem Eingesogenen
an Licht, — Eingefangenen an Schönheit. — Du mit
Weisheit, Glut und Glauben und Sehnen! Nun du in dich
hineinsiehft, ist alles erloschen. Es ist ein Nichts — ein Dunkel ohne
Tiefe. — Wohin, wohin? — Die Wolken, auf denen du kniest,
schweben davon ohne Halt, und du sinkst zwischen dem Nichts in
ein Nichts.
Hilfe.
Wir können es nicht. Du kannst es nicht — ich kann es nicht. —
Aber der Christus kann seine heiligen Hände durch die Einsam-
keit jagen wie ein Pfeil. Kann auf den entgleitenden Wolken über
den Schlafenden fern von der Umgebung der Dinge an diesen Hän-
den selber sich Hinhalten, bis Gott kommt. -
Aber bevor Gott kommt, dieser Augenblick hat die heiligen Hände
gesehen. Dieser Augenblick hat sie hineingemeißelt in die Leere — als
ein im Raume ertrinkendes, sich selbst noch haltendes Flehen:
„Wenn eS möglich ist.
Wenn es möglich ist —
dann nicht!"
MARIAMAGDALENA
(Adam Krafft Grablegung)
Was wissen wir von
Liebe?
Nur daß sie ist, wissen
wir.
Wir suchen sie überall,
aber sie zerbricht — oder wir
zerbrechen sie.
Noch ist ihr nicht die unzer-
brechliche Schale gefunden.
Wir denken immer: Sie
könnte noch größer sein —
noch unvergänglicher — noch
wachsender . ..
Wir wissen, daß sie ist -
irgendwo.
Und nun ist sie da! Vor
mir.
Ich war nur außen uni
die Kirche gegangen — aus
holperigem Pflaster um die
Ecke.
Und da war die Liebe.
Sie hatte sich in die Ge-
bärde der Maria Magdalena
hineinempfangen. Sie war
ganz in den Grund der Un-
begreiflichkeit hineingesunken
und zu ihrer Zeit langsam
an dem einen Arm emporge-
ftiegen bis in die Hand, die
des Geliebten Leiche stützte.
Nie konnte diese Schalen-
, f . band — diese wartende Hand
y - diese zitternde und doch
gefaßte Hand einen kalten
Körper empfinden. Immer
noch mußte sie das Leben an den Seitenrippen des Toten
fließen fühlen - mußte solange wartend offen sein, bis
sie es fühlte...... O, schon fühlt sie eö - schon strömt eö über
den geraden toten Oberkörper in das heilige verschlossene An-
gesicht.
Da wirft sie verzückt den Kopf nach hinten zur innersten Be-
gegnung — und das tote Haupt wendet sich ihr lebendig lächelnd
von ihren Rufen erwacht, ein wenig — kaum merkbar wenig —
aber doch, aber doch ihr zu ... . Elisabeth von Schmidi-Pauli
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