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Celerina Fr. Kienmayer
ZEIT
Es ist noch möglich, mitten in einer modernen Großstadt von
Urweltschauern angefallen zu werden und den gewaltigen, unver-
geßlichen Eindruck zu empfangen, daß nichts in der Welt wichtig ist,
wenn man es nur nicht wichtig nimmt.
Ich fchlenderte durch das brodelnde Hafenviertel einer großen See-
handelsftadt.
Brausen des atemlosen, stählernen Verkehrs, gehetztes Knattern
unzähliger Motoren, Kreischen und Heulen der Hebekräne, Sirenen-
getriller, Geschrei, Rennen und Hasten. Schwaden Benzindampf
rauchen durch die Straßen. Zeitungsverkäufer rufen ihre bunten
Magazine, die Unzahl der Tageszeitungen aus. Und immer und über
allem dieses unentwirrbare, unaufhörliche, satte Gellen, das den
Rhythmus der Großstadt ausmacht.
Hoch oben lodert Sonnenglut aus tiefblauem Himmel und ihr
Goldüberfluß übergießt, überschüttet die heiße, stürmende Inbrunst der
Arbeit, die in Benzin, in Eisen, in Dampf und in Signalbesessen-
heit tobt, mit königlichem Glanze.
Da steht mitten in dem atemraubenden Trubel, breit über seine
leichten Räder ausladend — ein Zigeunerwagen. Ein Wohnwagen.
Die Fenster sind mit Arabesken und Schnörkeln ummalt. Die beiden
vorgespannten Pferdchen schauen mit stiller Munterkeit vor sich hin,
und an der dem Bürgersteig zugekehrten Querseite des Wagens
lehnt ein junger Zigeuner und träumt gelassen hinauf in die Bläue.
Sein braunes, kühnes Antlitz hat die Farbe besonnter Erde. In
seiner Haltung liegt etwas, als wäre diese Welt nicht einmal der
Verachtung wert, als lehnte er mitten in der weiten, sonnengebadeten
und einsamen Pußta und träumte verklungenen Geigentönen nach.
Unerhört ist dieses Bild.
Es ist, als stünde plötzlich ein Mensch unter wahnsinnig-präzisen,
zu ungeheuerster Energievergeudung gesteigerten, menschenähnlichen
Mechanismen und hätte alles das im Überflüsse, was uns vom
Menschsein, vom hellen Sonnenbade der Zufriedenheit und des reinen
Glückes trennt:
Zeit — unbegrenzte Zeit.
Es ist, als rollten alle breiten, gelassenen Ströme des Erdballs
durch feine Adern, als atmeten alle ruhevoll weidenden Tiere der
Prärie, der Steppen Asiens ernst und tief durch feine Brust, als
schauten alle grenzenlosen Gefühle der Urzeit durch seine sonnenver-
lorenen Augen.
Wie eine Offenbarung packte mich dieser Anblick und ich erkannte
erschauernd:
Das Paradies ist uns auf ewig verloren, denn uns modernen
Menschen mangelt der erhabene, göttliche Grund seiner unausschöpf-
baren Wonnen - Zeit, grenzenlos Zeit. Josef Swllreiter
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Celerina Fr. Kienmayer
ZEIT
Es ist noch möglich, mitten in einer modernen Großstadt von
Urweltschauern angefallen zu werden und den gewaltigen, unver-
geßlichen Eindruck zu empfangen, daß nichts in der Welt wichtig ist,
wenn man es nur nicht wichtig nimmt.
Ich fchlenderte durch das brodelnde Hafenviertel einer großen See-
handelsftadt.
Brausen des atemlosen, stählernen Verkehrs, gehetztes Knattern
unzähliger Motoren, Kreischen und Heulen der Hebekräne, Sirenen-
getriller, Geschrei, Rennen und Hasten. Schwaden Benzindampf
rauchen durch die Straßen. Zeitungsverkäufer rufen ihre bunten
Magazine, die Unzahl der Tageszeitungen aus. Und immer und über
allem dieses unentwirrbare, unaufhörliche, satte Gellen, das den
Rhythmus der Großstadt ausmacht.
Hoch oben lodert Sonnenglut aus tiefblauem Himmel und ihr
Goldüberfluß übergießt, überschüttet die heiße, stürmende Inbrunst der
Arbeit, die in Benzin, in Eisen, in Dampf und in Signalbesessen-
heit tobt, mit königlichem Glanze.
Da steht mitten in dem atemraubenden Trubel, breit über seine
leichten Räder ausladend — ein Zigeunerwagen. Ein Wohnwagen.
Die Fenster sind mit Arabesken und Schnörkeln ummalt. Die beiden
vorgespannten Pferdchen schauen mit stiller Munterkeit vor sich hin,
und an der dem Bürgersteig zugekehrten Querseite des Wagens
lehnt ein junger Zigeuner und träumt gelassen hinauf in die Bläue.
Sein braunes, kühnes Antlitz hat die Farbe besonnter Erde. In
seiner Haltung liegt etwas, als wäre diese Welt nicht einmal der
Verachtung wert, als lehnte er mitten in der weiten, sonnengebadeten
und einsamen Pußta und träumte verklungenen Geigentönen nach.
Unerhört ist dieses Bild.
Es ist, als stünde plötzlich ein Mensch unter wahnsinnig-präzisen,
zu ungeheuerster Energievergeudung gesteigerten, menschenähnlichen
Mechanismen und hätte alles das im Überflüsse, was uns vom
Menschsein, vom hellen Sonnenbade der Zufriedenheit und des reinen
Glückes trennt:
Zeit — unbegrenzte Zeit.
Es ist, als rollten alle breiten, gelassenen Ströme des Erdballs
durch feine Adern, als atmeten alle ruhevoll weidenden Tiere der
Prärie, der Steppen Asiens ernst und tief durch feine Brust, als
schauten alle grenzenlosen Gefühle der Urzeit durch seine sonnenver-
lorenen Augen.
Wie eine Offenbarung packte mich dieser Anblick und ich erkannte
erschauernd:
Das Paradies ist uns auf ewig verloren, denn uns modernen
Menschen mangelt der erhabene, göttliche Grund seiner unausschöpf-
baren Wonnen - Zeit, grenzenlos Zeit. Josef Swllreiter
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