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Canaria Zeichnung von E. Kreisch mann

Schiffen war ihm verhaßt. „Komm man zum Kaffeetrinken," tröstete
er, „Dörte hat noch mal zum Abschied Großbacken gehalten/'

„Ich komme gern, Vater."

Der Schiffer stand unentschlossen vor der Tür. Eö regnete. Er
wäre am liebsten gleich nach Hauö gegangen, immer waren ihm die
letzten Stunden vor einer großen Reise unruhig und ein wenig ge-
trübt. Nur die letzten Stunden, wohlverstanden. Sobald er erst
auf dem kleinen, dunklen Walsischfahrer stand, war'S vorüber, war
er der beste Grönlandfahrer, ein Kerl, der einen Eisbären einst mit
dem Haueisen erschlug.

Seine Leute sitzen drüben im Keller. Sanders muß nach dem
Brauch vorsprechen, um eines auszugeben. Es ist ein wildes Pack,
das sich ins Eis verdingt, aber er hat immer noch die besten Leute,
weil er am besten für sie sorgt. Wie er aber hinübertappt, denkt der
Schiffer beklommen an das ungeheure Eis im Norden, denkt er an
die Waise, die zurückbleibt. Er hat sie einst nach dem Tod seiner
Frau ausgenommen, um die Kinder zu versorgen. Sie ist heut ein
starkes, blitzblankes Ding, das ihm Krabbenzeug und Haus im Stand
hält. Und dazu des Schiffers Kops eingefangen hat. Was fehlt
denn noch, daß sie sich absprechen? Wenn sie diesmal noch wartet, -
vielleicht hat er dann genug, um am Strand zu bleiben.

Sanders nickte bedächtig. „Hältst es noch ein Jahr aus?" hat er
heut morgen gefragt und ihr die Hand hingehalten. WaS hat sie
ihn auSgelacht! „Und ob ich bleib!"

„Kannst dir die Aussteuer nähen," hat er binzusetzen wollen. Er

war nicht dazu gekommen. Besser, so etwas vor der Abfahrt zu sagen.
Aber wohl hat sie in die offne Hand eingeschlagen. „Bist mir 'ne
gute Mutter von den Kleinen gewesen," hat der Schisser hinzugefügt
und Dörte ist dunkelrot geworden.

Sanders stapft mit knarrenden Stiefeln in die Kellerstube, in
der die Leute um den Tisch sitzen und gröhlen und rauchen. Als er
eintritt, legt sich der Lärm ein wenig, man rückt zusammen und
wartet, was der Schiffer bestellen wird.

„Ich möchte bei Dörte sein," denkt er unbehaglich und nickt dem
Kröger zu, als der ihm dies und daö vorschlug. „Nicht zu viel,"
mahnt er die grinsenden Leute, „ich halt' euch die Nacht noch in Gang."

Der Schiffer überfliegt sie dabei. Drei, vier Bootsleute, alte
Grönlandskerle sind da, einige Seehunde, so nennt man Matrosen,
die das Eis noch nicht befahren haben. Und dann die Trankocher, so
wie sie aus den Kellern angemuftert sind, Spieler, Raufbolde und
Leute, die etwas zu verbergen haben. Sanders verteilt sie in Ge-
danken.

Viel Zucht und Frost, denkt er wieder und sieht sich einsam unter
der ungeheuren Wand des Packeises treiben, sieht die bläulich schim-
mernden Klüfte und überglasten Schlünde Grönlands, — viel Frost
und Fjorde, dies Jahr noch, dann will ich bei Dörte bleiben.

Ein Bootsmann nennt ihm halblaut die neuen Leute und was er
von ihnen weiß. Schnaps wird aufgetragen, die Männer trinken
und schreien. Einer von den Neuen setzt sich sogar an das verhäm-
merte Klavier und der Bootsmann Krunke, auf den man aufpassen
muß, ist schon dabei, mit den schweren Transtiefeln einen Tanz aus-
zuführen. „Wär dieses Jahr vorbei," denkt Sanders und dann „ich
muß es Dörte noch sagen, daß sie das Jahr wartet." Er ängstigt
sich plötzlich, selten ist ihm der Gedanke gekommen, daß sie reif wär,
einen andern gern zu gewinnen.

Der älteste Bootsmann schlägt auf den Tisch, in einer halben
Stunde heißt es an Bord gehen. Der Schiffer hat noch Zeit, die
frühe Frist gilt den Leuten, die wieder nüchtern werden müssen. Er
nimmt die Gelegenheit wahr, aufzubrechen. Mut hätte er jetzt, er
könnte mit Dörte alles in Ruhe besprechen. Am besten wäre gewesen,
er hätte den Jung gar nicht erst zum Kaffee eingeladen, er hätte sie
dann allein gehabt.

Der Grönlandfahrer schreitet mit weit ausholenden Schritten über
die buckligen Kantfteine. Er möchte vor seinem Sohn zu Hause sein.
Ein paar Worte muß er mit Dörte allein haben. Das Eis, denkt
er und weiß von endlosen Wachen in der Einsamkeit, spürt das An-
ziehen der Stürme unter den roten Mitternächten, hört das Bersten
des Eises in den Ohren, das ihn ein Jahr nicht mehr verlassen wird.

Dörte, denkt er. Wie ein Kind rettet er sich vor der schwermütigen
Stunde in der Eile zu ihr. Einmal hält er die Hand über die
Stirn, er meint, dw Vorübergehenden müßten ihm die Erwartung
um Bart und Augen ansehen und schämt sich.

Die kleine Tür steht offen, als er kommt. Aus Zehen tritt er ein,
er meint das Mädchen überraschen zu müssen.

Aber der Jung ist doch schon da, er sieht die Mütze im Flur
hängen. Und dann hört er, — es ist, als schüttelte sich der Riese,
vorgebeugt mit qualvoll ausgerissenen Augen, — dann hört er den
Jung und er hört Dörte. Dicht beieinander müssen sie sein, sehr
nahe. Und lieb hätten sie sich, — ja, — das sagen sie zu einander.

Es ist als wollte der Schiffer nach drinnen stürzen, so gewaltig
bäumt er sich auf, Raub geschieht, sein Eigen, — sein Eigen!

Da tastet er über die Stirn, tropfend kalt ist sie und voller Fur-
chen. Was hat er doch gewollt? Sein Eigen? Er fühlt die Glieder
erlahmen. Zucht hat er ein Leben lang geübt. Dies ist sein Eigen nicht!

Der Jung! braust eS furchtbar in ihm hoch und die Hände ballen
sich knackend. Aber was weiß der Jung von ihm? „So lieb," sagen
sie einander, „Gern Hab ich dich!" flüstert Dörte. Und nach der
Arbeit am Speicher fragt sie.

Der Schiffer wendet sich schleichend und schreitet die Straße zu-
rück. Ein Kind greift er auf, sagt chm, er habe rasch an Bord
müssen. Aber wie er die Zeit vor sich sieht, ohne Traum in den
Wachen, ohne Hoffnung, eine lange, ewige Spanne, ist eö, als
schlössen sich seine Augen vor dem grellen Widerschein des Eises, als
schwankte er einige Schritte lang und hätte Mühe sich auszurichten,
— ein alter Grönlandsahrer, der er ist!

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Ernst Kretschmann: Canaria
 
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