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Am Odeonsplatz in München I. W. Schülern

Der Beamte muß sich leider zufrieden geben. Er läßt sie wieder
allein. Der Zug hat längst feine Fahr: wieder aufgenommen und
sie nun die Konversation. Soll sie ihm etwa Beschämung zeigen?
Auf diese impertinente Art, mit Ritterlichkeit zu kokettieren? Oh
nein. Mit hochmütigem Lächeln zieht sie ihr Geldtäschchen.

„Den Ruhm meiner Tat haben Sie an Sich gerissen, mein
Herr! Aber die Strafe zu zahlen, das wenigstens werden Sie mir
überlassen."

Doch sie findet nicht Geld genug im Täschchen. Sie öffnet den
Schweinslederkoffer. Da schaut eine wohlgefüllte Brieftasche hervor.
Hier würde die Strafe also nicht schmerzen. Gelassen und schweigend
hat er zugesehen und sagt nun mit freundlicher Abwehr:

„Bei mir kommt jetzt Ihr Einspruch zu spät, meine Gnädige!
Vielleicht wenden Sie sich an den Beamten damit. Oder ziehen Sie
da oben noch einmal!"

Im Innersten entzückt ist sie von dieser Unverschämtheit. Drum
bückt sie sich tief, verwendet eine umständliche Sorgfalt, den Koffer
wieder zu verschließen, und sagt dann recht nachlässig:

„Sie sind sehr widerspenstig. Aber soviel Liebenswürdigkeit wer-
den Sie wohl aufbringen, den Kellner zu suchen. Man könnte hier
gemütlich eine Tasse Kaffee trinken. Nicht?"

„Besser wohl im Speisewagen!" erwidert er ruhig. „Man be-
kommt ihn dort heißer."

Unwillig steht sie auf und geht. Er hat wahrhaftig die Rohheit,

sitzen zu bleiben. Ihrer deutlichen Einladung folgt der Flegel ein-
fach nicht.

Beleidigt bleibt sie fast eine Stunde im Speisewagen. Wie sie
nach der vierten Station inö Abteil zurück kommt, ist der ekelhaft
reizende Mensch verschwunden.

Ihr Schweinslederkofser auch.

Sprichworte der Gegenwart

Spare in der Zeit, so hast du Anspruch aus Auswertung.

Was ich nicht weiß, macht das Parteibuch.

Die dümmsten Bauern haben die größten Hypotheken.

Wer nicht hören will, braucht kein Radio.

Wer Anderen eine Grube gräbt/kommt vorwärts.
Morgenstunde hat keine frischen Semmeln.

Wer gleich bezahlt, muß Ausländer sein.

Jung gewohnt, alt mit Wohnungsberechtigungsschein.
Pünktlichkeit ist die Kontrolluhr des Personals.

Wer Lust hat zu wetten, geht aus die Rennbahn.

Werde ich nicht General, werde ich Generalagent.

Wo ein Aas ist, sammeln sich im Kabarett die Gäste.

Karl Herrmann Franz

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Julius Wolfgang Schülein: Am Odeonsplatz in München
Karl Hermann Franz: Sprichworte der Gegenwart
 
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