VIII. Thaja
Bon Waldemar Bonsels
Ich war in jenem Jahr bis in den Jänner gewandert, aber
Nahrungssorgen — denn ich lebte seit Wochen nur mehr von Baum-
rinde — und das Schlafen auf den tief verschneiten Äckern erfüllte
mich mit Traurigkeit. Alle edle Einsamkeit dachte ich tut nur das
Menschenheimweh nach tiefer Gemeinschaft kund und aller Kampf
der Welt geht um Erkenntnis. Da merkte ich mit einem Mal, daß
ich nicht mehr allein war. Ich war in die Nähe eines Weilers
geraten, und vor der Tür eines vornehmen schloßartigen Hauses
stand eine junge Dame im Reitklcid, die Gerte in der schmalen Hand.
So ging ich, vorsichtig über die Schneepfützen steigend, zu ihr hin-
über, grüßte tief und sagte: „Es ist besser in einer Wüste wach zu
sein als in einem Paradies zu schlafen." Die Dame musterte über-
mäßig lange meine zerschlissene Kleidung, dann erwiderte sie: „Die
Teilnahme des Weibes am aufrichtigen Gemüt des Mannes ist im
Grunde gering, denn eine Frau ist meist nur dort sachlich, wo sie
völlig unbeteiligt ist. Haben Sie Hunger?" „Es gibt keine Wahr-
heit, die unabhängig wäre von unserem Glauben," sagte ich in Ge-
danken. Da brach sie das Butterbrot, das sie bei sich trug, in zwei
Teile. Wir aßen ernsthaft und schwiegen. „Ich heiße Thaja," sagte
sie schlicht, und setzte sich neben mich in den Schnee. Dann fuhr sie
fort: „Das Weib vermag sehenden Auges und wachen Sinns, mit
Lachen, die Stufen der Hölle hinabzusteigen, wenn ihr Vertrauen
auf den tragenden Wogen dieses Meeres nicht an der Hand gefestigt
wird, die das Steuer führt." Da sahen wir einander in die Augen
und es geschah uns das Leben, so daß vor dem heißen Odem des
Weltwillens der feuchtsilberne Schnee unter uns zugleich mit Ver-
nunft und jedem Bedenken im Rausch verzückter Minuten dahin-
schmolz.
Aber dann war es mir, als begänne mit allem bewußten Leben
in unS Menschen der Abschied. So nickte ich ihr noch einmal zu,
nahm meinen Stock und ging durch den Schnee von dannen.
IX. Die Wunderstunde
Von Stefan George
ich suchte blinden sinneS nach der pforte
der alten parks die sich ins dunkel ziehn
und fand sie nicht doch kreiste drüberhin
von dohlen eine drohende cohorte.
da eingebettet lag in halbverdorrte
waldnacht daS tor das sich mir nie verlieh»
ich trat hinein schwer duftete yaSmin
und grauen lag auf dem besonnten orte,
auf einem plane in gerader zahl
saß streng die ausgewählte schar der gäste
ein page reichte stumm das karge mahl:
dann sprach ich meine schweren anapäste
und jeder schwieg und jeder auf dem feste
war von der bürde der gedanken fahl.
Noch kenn ich deines Leibs nicht die Gesetze.
(Nie sah ich deine lieben Füße nackt.)
Doch wird bei mir so Königin wie Metze
Ganz auf die gleiche Weise angepackt'
Ich hüll sie in heroisches Geschwätze,
Bis sie sich hingibt in verweg'nem Takt.
XI. Ich lasse mich nicht
Von Hedwig CourtS-Mahler
(791. Fortsetzung und Schluß)
„... Winfriede aber ist mein eigenes Kind!" Sie hat geendet und
hielt den Brief in zitternden Händen.
Da trat Götz von Felseneck vor sie hin. „Du bist ebenbürtig,
Trotzkopf —, du bist meine Braut!"
Sie aber: „So meinst du, daß ich nun Aufnahme finden darf in
deinem Geschlecht, das wie du weißt zu den vornehmsten unseres
Landes gehört?"
Da schloß er sie stumm in die Arme.
Schon im April wurde Winfriede GötzenS Gattin. Sie erwählten
Schloß Adlershorst zum Wohnsitz. So konnte die alte Gräfin ihre
Kinder täglich besuchen.
Iettchen Wohlgemut braucht sich nicht mehr um die blassen Wan-
gen ihres Komteßchens zu ängstigen; Winfriede ward eine blühende
junge Frau. „Ich lasse mich nicht," war ihr stolzer Wahlspruch.
Sie war inzwischen Mutter dreier Knaben und dreier Mädchen
geworden, die fröhlich in Adlershorst herumtollten.
Dagobert von Schwarzburg aber heiratete die häßliche bucklige
Tochter eines reichen Käsehändlers und huldigte nach wie vor dem
Dämon Alkohol.
X. Aus den Sonetken anEad
Von Anton Wildgans
Denn ich bin Dichter, und was ich
dir bringe
Sind nicht die Klänge einer kleinen
Kunst.
lind sieht ein anderer im Ackerdunft
Noch Raupen kriechen oder
Engerlinge —
Mir hebt der Schmetterling schon
seine Schwinge!
(Ich bin ein Dichter, Schönste, mit
Vergunst!)
So brech ich auf in einer breiten
Brunst,
Daß ich dich mir einfüge und
bezwinge. Anton Wildgans
R. Rost
III
Bon Waldemar Bonsels
Ich war in jenem Jahr bis in den Jänner gewandert, aber
Nahrungssorgen — denn ich lebte seit Wochen nur mehr von Baum-
rinde — und das Schlafen auf den tief verschneiten Äckern erfüllte
mich mit Traurigkeit. Alle edle Einsamkeit dachte ich tut nur das
Menschenheimweh nach tiefer Gemeinschaft kund und aller Kampf
der Welt geht um Erkenntnis. Da merkte ich mit einem Mal, daß
ich nicht mehr allein war. Ich war in die Nähe eines Weilers
geraten, und vor der Tür eines vornehmen schloßartigen Hauses
stand eine junge Dame im Reitklcid, die Gerte in der schmalen Hand.
So ging ich, vorsichtig über die Schneepfützen steigend, zu ihr hin-
über, grüßte tief und sagte: „Es ist besser in einer Wüste wach zu
sein als in einem Paradies zu schlafen." Die Dame musterte über-
mäßig lange meine zerschlissene Kleidung, dann erwiderte sie: „Die
Teilnahme des Weibes am aufrichtigen Gemüt des Mannes ist im
Grunde gering, denn eine Frau ist meist nur dort sachlich, wo sie
völlig unbeteiligt ist. Haben Sie Hunger?" „Es gibt keine Wahr-
heit, die unabhängig wäre von unserem Glauben," sagte ich in Ge-
danken. Da brach sie das Butterbrot, das sie bei sich trug, in zwei
Teile. Wir aßen ernsthaft und schwiegen. „Ich heiße Thaja," sagte
sie schlicht, und setzte sich neben mich in den Schnee. Dann fuhr sie
fort: „Das Weib vermag sehenden Auges und wachen Sinns, mit
Lachen, die Stufen der Hölle hinabzusteigen, wenn ihr Vertrauen
auf den tragenden Wogen dieses Meeres nicht an der Hand gefestigt
wird, die das Steuer führt." Da sahen wir einander in die Augen
und es geschah uns das Leben, so daß vor dem heißen Odem des
Weltwillens der feuchtsilberne Schnee unter uns zugleich mit Ver-
nunft und jedem Bedenken im Rausch verzückter Minuten dahin-
schmolz.
Aber dann war es mir, als begänne mit allem bewußten Leben
in unS Menschen der Abschied. So nickte ich ihr noch einmal zu,
nahm meinen Stock und ging durch den Schnee von dannen.
IX. Die Wunderstunde
Von Stefan George
ich suchte blinden sinneS nach der pforte
der alten parks die sich ins dunkel ziehn
und fand sie nicht doch kreiste drüberhin
von dohlen eine drohende cohorte.
da eingebettet lag in halbverdorrte
waldnacht daS tor das sich mir nie verlieh»
ich trat hinein schwer duftete yaSmin
und grauen lag auf dem besonnten orte,
auf einem plane in gerader zahl
saß streng die ausgewählte schar der gäste
ein page reichte stumm das karge mahl:
dann sprach ich meine schweren anapäste
und jeder schwieg und jeder auf dem feste
war von der bürde der gedanken fahl.
Noch kenn ich deines Leibs nicht die Gesetze.
(Nie sah ich deine lieben Füße nackt.)
Doch wird bei mir so Königin wie Metze
Ganz auf die gleiche Weise angepackt'
Ich hüll sie in heroisches Geschwätze,
Bis sie sich hingibt in verweg'nem Takt.
XI. Ich lasse mich nicht
Von Hedwig CourtS-Mahler
(791. Fortsetzung und Schluß)
„... Winfriede aber ist mein eigenes Kind!" Sie hat geendet und
hielt den Brief in zitternden Händen.
Da trat Götz von Felseneck vor sie hin. „Du bist ebenbürtig,
Trotzkopf —, du bist meine Braut!"
Sie aber: „So meinst du, daß ich nun Aufnahme finden darf in
deinem Geschlecht, das wie du weißt zu den vornehmsten unseres
Landes gehört?"
Da schloß er sie stumm in die Arme.
Schon im April wurde Winfriede GötzenS Gattin. Sie erwählten
Schloß Adlershorst zum Wohnsitz. So konnte die alte Gräfin ihre
Kinder täglich besuchen.
Iettchen Wohlgemut braucht sich nicht mehr um die blassen Wan-
gen ihres Komteßchens zu ängstigen; Winfriede ward eine blühende
junge Frau. „Ich lasse mich nicht," war ihr stolzer Wahlspruch.
Sie war inzwischen Mutter dreier Knaben und dreier Mädchen
geworden, die fröhlich in Adlershorst herumtollten.
Dagobert von Schwarzburg aber heiratete die häßliche bucklige
Tochter eines reichen Käsehändlers und huldigte nach wie vor dem
Dämon Alkohol.
X. Aus den Sonetken anEad
Von Anton Wildgans
Denn ich bin Dichter, und was ich
dir bringe
Sind nicht die Klänge einer kleinen
Kunst.
lind sieht ein anderer im Ackerdunft
Noch Raupen kriechen oder
Engerlinge —
Mir hebt der Schmetterling schon
seine Schwinge!
(Ich bin ein Dichter, Schönste, mit
Vergunst!)
So brech ich auf in einer breiten
Brunst,
Daß ich dich mir einfüge und
bezwinge. Anton Wildgans
R. Rost
III