DER HELD
NOTTURNO
An der Grenze von Leben
und Tod
steht ein zerstörtes Klavier -
und es klagst von Ge-
wittern bedrohst
wie ein geängstetes Tier.
Irgend ein armes, ver-
krachtes Genie
hat es zu Tönen entfacht —
Eine verzweifelte Rhapsodie
rauscht in die düstere Nacht.
Und wir verfolgen, von
Blitzen umloht,
ihren zerrütteten Sinn —
Und an der Grenze von
Leben und Tod
weinen wir still vor uns hin.
Fritz Koselka
Wer ist ein Held? — Wer
streitend strebt
für nichts als für sein Recht,
wer Arm und Schwert und
Geist nur hebt
ums Recht für sein Ge-
schlecht.
Wer ist ein Held? — Wer
sterben kann,
verborgen, still und schlichst
und nur gewollt und nur
gewann
das Amen seiner Pflicht.
Wer ist ein Held? — Wer
keinen Tag
um Menschenhilfe wirbt.
Wer ist ein Held? — Wer
leben mag,
wenn selbst sein
Herrgott stirbt.
Friedrich Speyer
Das Gespensterhaus
Ernst Schütte
EINE VOLLMONDNACHT
AUS EINEM TAGEBUCH VON WOLFGANG VON LENGERKE
Es fällt mir schwer, meine Gedanken zu ordnen!
Heute morgen, beim Frühstück, begrüßte mich Frau von Berville, als
ob nichts geschehen wäre. Sie weiß also nichts, nichts von dem, was sich
zwischen ihr und mir heute Nacht ereignet hat? Ihre Unwissenheit beunruhigt
mich ein wenig ... Ich will nun versuchen, alles der Reihe nach zu erzählen,
so, wie es sich zugetragen hat.
Ich muß damit beginnen, wie es kam, daß wir uns mit den Bervilles
befreundeten, denn diese Freundschaft hat eine ganz besondere Ursache.
Während des Weltkrieges kämpfte mein Bruder in Belgien und wurde
schwer verwundet nach St. Etienne gebracht — dem Schloß der Bervilles.
Frau von Berville, eine jener schönen, majestätischen Erscheinungen, die das
Blamenblut in ihren Adern nicht verleugnen können, hatte trotz der kriege-
rischen Zeiten ihren Wohnsitz nicht verlassen.
Das Lazarett „Schloß St. Etienne" verließ mein Bruder nicht mehr.
Man bettete ihn in das Zimmer, in dem ich augenblicklich diese Zeilen
schreibe, und in diesem selben Zimmer starb er nach einigen Wochen an
seiner Verwundung.
Wir erfuhren kurz nach der Beendigung des Krieges, daß Frau von
Berville ihn bis zu seinem letzten Atemzuge gepflegt hatte, und daher datiert
unsere Freundschaft. Ich folgte ihrer Einladung und bin jetzt, im Frieden,
Gast auf Schloß St. Etienne. Außer mir befinden sich noch ein belgisches
Ehepaar und ein Franzose hier. Ich muß auch noch erwähnen, daß Herr
von Berville zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges an einem schweren
Lungenleiden in Cannes gestorben ist. Allen Anzeichen nach scheint die Ehe
keine glückliche gewesen zu sein.
Ich wußte bis gestern nicht, daß man mich in das Sterbezimmer meines
Bruders einquartiert hatte. Ob es Frau von Berville mit Absicht tat? Ich
ahne es nicht und will mich auch nur daraus beschränken, das mitzuteilen,
was geschah.
Gestern abend — wir saßen wie gewöhnlich nach dem Diner im Salon
und spielten ein wenig Bridge —, als Herr von Barsac, der nie spielte,
von seiner Ecke her — er pflegte dort unter einer großen Lampe in Zeit-
schriften zu blättern — plötzlich ganz unmotiviert sagte: „Heute ist Voll-
mond". (Wahrscheinlich hatte er es in einem Kalender gelesen.) In diesem
Augenblick, Frau von Berville teilte gerade die Karten, bemerkte ich zufällig,
daß sich ihre Hände — Hände, die für gewöhnlich sehr ruhig und beherrscht
waren — um die Karten krampften, als würden sie durch eine nervöse
Muskelkonzentration dazu gezwungen. Unwillkürlich blickte ich in ihr Gesicht,
es schien um eine Nuance blässer als sonst, und die großen, dunklen Augen
waren halb von den Lidern verdeckt. In diesem Augenblick sagte Frau
Brissaud, die neben mir saß: „Dann kann ich nicht schlafen!" und Herr
Brissaud, der neben Frau von Berville seinen Platz hatte, meinte ein wenig
komisch zu Barsac: „Warum haben Sie das gesagt, Barsac, nun werde ich
die ganze Nacht wieder kein Auge zumachen!" Dann spielten wir weiter.
Bis elf Uhr — der Stunde, zu der wir uns „Gute Nacht" wünschten,
geschah nichts.
In meinem Zimmer angelangt, fiel mir diese kleine Szene wieder ein.
Ich hatte schon oft gesehen, daß Mondlicht auf sensible und nervöse Menschen
einen eigentümlichen Einfluß hat. Neugierig ging ich zum Fenster und blickte
hinaus. Es mar tatsächlich Vollmopd. Die Bäume des Parkes, meinem
Fenster gegenüber, waren an ihren Wipfeln wie von Silber, während sie
am Fuße dunklen und drohenden Silhouetten glichen. Die Parkwege
schlängelten sich weiß, scheinbar mit Schnee bedeckt, durch das Gras; am
Himmel stand, wie poliertes Messing, der Mond.
Ich bin von Natur aus durchaus nicht nervös, und so dachte ich auch
gar nicht daran, die Jalousie herunterzulassen, um das Mondlicht abzu-
dämpfen. Ich zog nur die leinenen Vorhänge zu, die jedoch noch soviel der
bleichen, kreidigen Strahlen durchließen, daß mein Zimmer in eine opalene
Helligkeit getaucht schien. Bald darauf ging ich zu Bett.
Durch ein tastendes Geräusch erwachte ich aus meinem Schlaf. Erschrocken
hob ich ein wenig den Kopf, um zu sehen, was es gäbe. Im ersten Augen-
blick konnte ich nichts erkennen, doch als mein Blick auf die Tür traf,
bemerkte ich, wie sich die Klinke ganz langsam und unsicher niederdrückte.
Ich wollte auffxringen, doch in gleicher Sekunde, wieso es kam, weiß ich
nicht, sah ich die abendliche Szene im Salon wieder vor mir und hörte die
Stimme Frau Brissauds: „Dann kann ich nicht schlafen!" — Und als sich
die Türe meines Zimmers langsam zu öffnen begann, erwartete ich
-- eigentlich ganz ungerechtfertigt — Frau Brissaud eintreten zu sehen.
i«
NOTTURNO
An der Grenze von Leben
und Tod
steht ein zerstörtes Klavier -
und es klagst von Ge-
wittern bedrohst
wie ein geängstetes Tier.
Irgend ein armes, ver-
krachtes Genie
hat es zu Tönen entfacht —
Eine verzweifelte Rhapsodie
rauscht in die düstere Nacht.
Und wir verfolgen, von
Blitzen umloht,
ihren zerrütteten Sinn —
Und an der Grenze von
Leben und Tod
weinen wir still vor uns hin.
Fritz Koselka
Wer ist ein Held? — Wer
streitend strebt
für nichts als für sein Recht,
wer Arm und Schwert und
Geist nur hebt
ums Recht für sein Ge-
schlecht.
Wer ist ein Held? — Wer
sterben kann,
verborgen, still und schlichst
und nur gewollt und nur
gewann
das Amen seiner Pflicht.
Wer ist ein Held? — Wer
keinen Tag
um Menschenhilfe wirbt.
Wer ist ein Held? — Wer
leben mag,
wenn selbst sein
Herrgott stirbt.
Friedrich Speyer
Das Gespensterhaus
Ernst Schütte
EINE VOLLMONDNACHT
AUS EINEM TAGEBUCH VON WOLFGANG VON LENGERKE
Es fällt mir schwer, meine Gedanken zu ordnen!
Heute morgen, beim Frühstück, begrüßte mich Frau von Berville, als
ob nichts geschehen wäre. Sie weiß also nichts, nichts von dem, was sich
zwischen ihr und mir heute Nacht ereignet hat? Ihre Unwissenheit beunruhigt
mich ein wenig ... Ich will nun versuchen, alles der Reihe nach zu erzählen,
so, wie es sich zugetragen hat.
Ich muß damit beginnen, wie es kam, daß wir uns mit den Bervilles
befreundeten, denn diese Freundschaft hat eine ganz besondere Ursache.
Während des Weltkrieges kämpfte mein Bruder in Belgien und wurde
schwer verwundet nach St. Etienne gebracht — dem Schloß der Bervilles.
Frau von Berville, eine jener schönen, majestätischen Erscheinungen, die das
Blamenblut in ihren Adern nicht verleugnen können, hatte trotz der kriege-
rischen Zeiten ihren Wohnsitz nicht verlassen.
Das Lazarett „Schloß St. Etienne" verließ mein Bruder nicht mehr.
Man bettete ihn in das Zimmer, in dem ich augenblicklich diese Zeilen
schreibe, und in diesem selben Zimmer starb er nach einigen Wochen an
seiner Verwundung.
Wir erfuhren kurz nach der Beendigung des Krieges, daß Frau von
Berville ihn bis zu seinem letzten Atemzuge gepflegt hatte, und daher datiert
unsere Freundschaft. Ich folgte ihrer Einladung und bin jetzt, im Frieden,
Gast auf Schloß St. Etienne. Außer mir befinden sich noch ein belgisches
Ehepaar und ein Franzose hier. Ich muß auch noch erwähnen, daß Herr
von Berville zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges an einem schweren
Lungenleiden in Cannes gestorben ist. Allen Anzeichen nach scheint die Ehe
keine glückliche gewesen zu sein.
Ich wußte bis gestern nicht, daß man mich in das Sterbezimmer meines
Bruders einquartiert hatte. Ob es Frau von Berville mit Absicht tat? Ich
ahne es nicht und will mich auch nur daraus beschränken, das mitzuteilen,
was geschah.
Gestern abend — wir saßen wie gewöhnlich nach dem Diner im Salon
und spielten ein wenig Bridge —, als Herr von Barsac, der nie spielte,
von seiner Ecke her — er pflegte dort unter einer großen Lampe in Zeit-
schriften zu blättern — plötzlich ganz unmotiviert sagte: „Heute ist Voll-
mond". (Wahrscheinlich hatte er es in einem Kalender gelesen.) In diesem
Augenblick, Frau von Berville teilte gerade die Karten, bemerkte ich zufällig,
daß sich ihre Hände — Hände, die für gewöhnlich sehr ruhig und beherrscht
waren — um die Karten krampften, als würden sie durch eine nervöse
Muskelkonzentration dazu gezwungen. Unwillkürlich blickte ich in ihr Gesicht,
es schien um eine Nuance blässer als sonst, und die großen, dunklen Augen
waren halb von den Lidern verdeckt. In diesem Augenblick sagte Frau
Brissaud, die neben mir saß: „Dann kann ich nicht schlafen!" und Herr
Brissaud, der neben Frau von Berville seinen Platz hatte, meinte ein wenig
komisch zu Barsac: „Warum haben Sie das gesagt, Barsac, nun werde ich
die ganze Nacht wieder kein Auge zumachen!" Dann spielten wir weiter.
Bis elf Uhr — der Stunde, zu der wir uns „Gute Nacht" wünschten,
geschah nichts.
In meinem Zimmer angelangt, fiel mir diese kleine Szene wieder ein.
Ich hatte schon oft gesehen, daß Mondlicht auf sensible und nervöse Menschen
einen eigentümlichen Einfluß hat. Neugierig ging ich zum Fenster und blickte
hinaus. Es mar tatsächlich Vollmopd. Die Bäume des Parkes, meinem
Fenster gegenüber, waren an ihren Wipfeln wie von Silber, während sie
am Fuße dunklen und drohenden Silhouetten glichen. Die Parkwege
schlängelten sich weiß, scheinbar mit Schnee bedeckt, durch das Gras; am
Himmel stand, wie poliertes Messing, der Mond.
Ich bin von Natur aus durchaus nicht nervös, und so dachte ich auch
gar nicht daran, die Jalousie herunterzulassen, um das Mondlicht abzu-
dämpfen. Ich zog nur die leinenen Vorhänge zu, die jedoch noch soviel der
bleichen, kreidigen Strahlen durchließen, daß mein Zimmer in eine opalene
Helligkeit getaucht schien. Bald darauf ging ich zu Bett.
Durch ein tastendes Geräusch erwachte ich aus meinem Schlaf. Erschrocken
hob ich ein wenig den Kopf, um zu sehen, was es gäbe. Im ersten Augen-
blick konnte ich nichts erkennen, doch als mein Blick auf die Tür traf,
bemerkte ich, wie sich die Klinke ganz langsam und unsicher niederdrückte.
Ich wollte auffxringen, doch in gleicher Sekunde, wieso es kam, weiß ich
nicht, sah ich die abendliche Szene im Salon wieder vor mir und hörte die
Stimme Frau Brissauds: „Dann kann ich nicht schlafen!" — Und als sich
die Türe meines Zimmers langsam zu öffnen begann, erwartete ich
-- eigentlich ganz ungerechtfertigt — Frau Brissaud eintreten zu sehen.
i«