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Auf Reise n

Von einem mit Bier und anderen Dingen wohl ausgefüllten
Urlaub zurückkehrend, reiste ich vor kurzem von München nach
Magdeburg.

In Augsburg, der ersten Q-Zug-Station, bestieg ein Herr das
bis dahin noch leere Abteil, in dem ich es mir bequem gemacht
hatte. Er setzte sich gegenüber und begann mich auszufragen.

„Fahren Sie auch bis Berlin'?"

Scheibengeklirr unterbrach meinen Redefluß. Auf dem Gang
oder im Nebenabteil mußte etwas passiert sein. Im nächsten
Moment trat der Schaffner ein und kontrollierte die Fahrkarten.
Als er sich wieder entfernt hatte, sank ich erschöpft zurück und
schnappte nach Luft. Auf mein Gegenüber schien das nicht den
geringsten Eindruck zu machen.

„Was," meinte er interessiert, „was hatten Sie eigentlich, als
Sie damals aus Sibirien zurückkamen?"

G. Raff.

Ich holte tief Atem und erwiderte:
„Nein, leider nicht. Ich beabsich-
tige, in Halle umzusteigen und, falls
ich den Hamburger Schnellzug noch
erreichen sollte, unverzüglich nach
Magdeburg weiterzureisen, wo ich
mich im Herbst 1921 niedergelassen
und am 1. April 1923 glücklich
verheiratet habe. Meine Frau ist
brünett und Sächsin. Ich bringe ihr
aus München ein Paar Haferlschuhe
mit und hoffe, daß sie sich darüber
freuen wird. Sie ist 26 Jahre alt
— notabene zwei Jahre jünger als
ich — wiegt 134 Pfund und wurde
zweimal mit Erfolg geimpft. Ich
auch. Kinder haben wir zwei, und
zwar Zwillinge. Der ältere fängt
jetzt an zu laufen, und der jüngere
ist auch ein Knabe. Das dritte Kind
ist unterwegs. Vielleicht ist es aber
auch schon da. Meine Frau hat mir
gestern ein Telegramm geschickt, daß
es losgeht. Deswegen reise ich zurück,
obwohl ich eigentlich noch die Königs-
schlösser besichtigen wollte. Wir haben
uns nämlich um vierzehn Tage ver-
rechnet. Jawohl,das gibt's.In meiner
Jugend spielte ich gern Tarock, die
süddeutsche, aber einfachere Form
von Skat. Neuerdings sammle ich
Reklamemarken und löse Kreuzwort-
rätsel. Manchmal löse ich sie auch
nicht, und dann muß mir meine
Frau helfen, und darüber ärgere ich
mich oft so, daß ich ausgehe und drei
Tage lang nicht mehr heimkomme.
Das passiert aber bloß alle drei bis
vier Wochen, denn ich bin Quartals-
säufer. Im übrigen leben wir in ge-
ordneten Verhältnissen. Das Gehalt
könnte höher sein, aber dafür be-
komme ich auf Reisen keine Tage-
gelder und beerbe hoffentlich bald
einen armen Onkel. Daraufhin haben
wir auch geheiratet. Unsere Ehe ist,
im ganzen genommen, recht glücklich,
nur will sich jetzt meine Frau einen
Bubikopf schneiden lassen und das
dulde ich nicht. Erlauben Sie! Wir
kennen uns jetzt acht Jahre, d. h.
genau genommen sind es erst sieben
Jahre, n-mn Monate und drei Tage.
Ich war damals, im Krieg, gerade
aus Sibirien zurückgekommen und
hatte das große-"

Trau m

Holzschnitt von T. Wencher

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Tilly Wencher: Traum
G. Raff: Auf Reisen
 
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