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END

1926 / NR. 2 2

FAHRT IN DIE UNENDLICHKEIT

VON WOLFGANG FEDERAU

Frank verzog keine Miene, er zeigte keine Spur eines Willkomm-
Lächelns, als Janita etrvas außer Atem und übermütig den Steg entlang
getrippelt kam. Kaum, daß er die Hand flüchtig zur Mütze hob, um gleich
darauf mit leiser Geste auf die kleine Segeljacht zu zeigen, die wohl ver-
täut, aber fahrfertig, am Dalben auf und niederschaukelte.

Mir einem hurtigen Griff seiner gebräunten Hände half er Janita in
das Boot. Sie war etwas überrascht über den Ernst, der auf seiner Stirn
lag. Seine Augen war weit und grundlos, in den bedrohenden Farben eines
aufgewühlten Meeres. Seine Lippen waren fest geschloffen, schmal und
brennend rot in dem warmen Ton seiner durch viel Luft und Sonne
gedunkelten Haut wie eine feine gerade Wunde. Etwas hilflos lächelte
sie vom Bug her ihr Gegenüber an. Frank schien darauf nicht zu achten;
gewandt warf er die Schlinge vom haltenden Dalben, das Segel flog in
die Höhe, ein Zittern durchlief den Körper des Bootes und schon entfernte
es sich, noch zögernd, von der Mole. Die hielt den Wind noch ab, das
Schiff machte nur langsamen Fortgang. Aber dann war der Molenkopf
erreicht, frischer und ungeberdiger rannte der Wind über die Wasserfläche,
letztes ungestümes Schaukeln in der Brandung — vom Steg her winkten
und grüßten weiß gekleidete Menschen. Nun wurden sie immer ferner,
immer kleiner.

„Wenden," rief Frank seiner Partnerin zu, ruhig, fast schroff. Sie bückte
sich tief, die Rahe flog über sie hinweg, ein Ruck, ein Knattern und Klatschen
des Segels, und als sie das
Antlitz hob, war die Küste hin-
weggehoben, irgendwo seit-
wärts verschwunden, und ihre
dunklen großen Augen sahen
nichts als die Unendlichkeit
des Meeres und — ja, und
Frank. Der lag tief zurück-
gelehnt, den Arm auf dem
Steuer ruhend, die Augen
umherirrend zwischen der
opalisierenden, grauen Un-
begrenztheit des Wassers, dem
wolkenüberhasteten Himmel
und ihrem, Janitas, zarten,
feinen Antlitz.

„Werden wir einigermaßen
gutes Wetter behalten?" fragte
Janita und eine leise Zärtlich-
keit wallte in ihr auf für diesen
Mann dort drüben, den sie
nun schon so lange, so gut
kannte — oder doch zu kennen
glaubte.

„Ich weiß es nicht," gab
Frank zurück, während er um-
ständlich seine Zigarette in
Brand setzte.

„Sie sind gar nicht liebens-
würdig heute," schmollte Ja-
nita. „So wortkarg. Wenn jaxencke Diana

man eine Dame zu einer Vergnügungsfahrt einlädt, hat man auch die
Pflicht, sie zu unterhalten, mit ihr zu plaudern, ihr kleine Freundlichkeiten
zu sagen. Sind Sie verstimmt, Frank?"

Ein plötzlicher, unerwarteter Windstoß enthob Frank der Antwort.
Das Boot legte sich jäh auf die Seite, fast tauchte das Segel ins
Wasser. Eine Welle schlug über das Deck, zersprühte zu tausend feuchten,
funkelnden Perlen. Janita klammerte sich fest, irgendwo. Es war nur
ein Augenblick. Jetzt richtete sich das Schiff wieder auf, sein Rumpf zitterte
wie der Leib eines edlen Rennpferdes, einmal noch und ein zweites Mal
tauchte der Bugsprit tief ins Wasser, dann war alles vorbei, ruhig gehorchte
es der lenkenden Hand seines Herrn. Janita hatte schreien wollen, da sah
sie das unbewegte, kalte Gesicht Franks und sie schämte sich. Er flöhte
so viel Vertrauen ein, so viel Selbstbewuhtsein sprach sich in seinen Zügen
aus, daß alle Furcht aus ihrem Herzen entwich. Weit hinten verebbte die
Dünung, die der Wind vor sich her stieß.

Aber da blickte Janita zum Himmel empor und sah, daß er einfarbig,

grau, dunkel und tief über ihr hing. Nur im Westen stand drohend ein

breites, schwefelgelbes Band. Ihr Blick floh seitwärts, dorthin, wo die
Küste, wo der Strand liegen mußte mit seinen bunten, frohen Menschen,
seinen Hotels und hingeduckten Fischerkaten, der Musik, dem Spiel und
dem Flirt. Aber sie sah nichts, alles lag versteckt, wie unter einem grauen,
undurchsichtigen Schleier. Und schreckhaft wurde ihr plötzlich bewußt, daß

sie allein war auf diesem
weiten, unergründlich tiefen
Meere, allein mit diesem Men-
schen, der so ernst und so
grauenhaft still war. Da kroch
die Angst erneut zu ihr em-
por und ihre Schultern zuck-
ten krampfhaft von unter-

drücktem Weinen.

Janita wagte nicht mehr 311
sprechen. Sie fror. Da

stand Frank auf und legte
ihr eine warme Jacke über

die Schultern. Er tat es mit
einer sanften, fast zärtlichen
Gebärde. Janita fühlte wohl

die scheue, fürsorgliche Behut-
samkeit seiner Berührung und
dankte mit dem Versuch eines
Lächelns, das er nicht zu er-
widern bemüht war. Und aus
der Verschlossenheit seines
Blickes erkannte sie, daß sie
nicht reden dürfte in dieser
Stunde, ehe nicht ihr Gefährte
die Lippen zu einigen armen
Worten geöffnet habe.

Während Frank langsam
wieder seinem Platz zu dem in-
Oscar Gottlebe zwischen angebundenen Steuer

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Register
Oscar Gottlebe: Jagende Diana
Wolfgang Federau: Fahrt in die Unendlichkeit
 
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