31. JAHRGANG
U G E N D
1926/NR. 23
CARL MARIA VON WEBER
18. DEZEMBER 1786 — 5.JUNI 1826
An einem trüben Februarmorgen des Jahres 1826 rollte ein Wagen
aus den Toren Dresdens. Darinnen ein schwerkranker Mann, der nach
ahnungsbitterem Abschied von den Seinen brennenden Wehes auszog, in
fremdem Lande zu suchen, was ihm die deutsche Heimat nicht gab. Es war
Carl Maria von Weber, der treuesten Deutschen einer.
Er erreichte London. Genoß den Triumph seines „Oberon" und dirigierte
mit den letzten Kräften eines verlöschenden Lebens seine kontraktlichen
zwölf Vorstellungen. In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni hauchte er, fern
von seiner geliebten „Mukkin" und den beiden Buben, noch nicht vierzig
Jahre alt, seine flammende, lautere, treue Seele aus. —
Auch Carl Maria von Weber zählt zu den großen Märtyrern der
deutschen Kunst. Der stete Kampf gegen mächtige Einflüsse zermürbte all-
mählich seine Energie, die Enttäuschungen, die die größten Erfolge immer
wieder begleiteten, brachen vorzeitig die Schwingen dieses feurigen Geistes.
Wohl erhielt er die lebens-
längliche Stelle eines König!.
Kapellmeisters in Dresden. Und
führte hier, wie vordem in
Prag, mit glühendem Eifer sein
Reformwerk durch: eine deutsche
Oper mit erlesenen deutschen
Sängern, gründlichste Vorberei-
tung aller Aufführungen. Der
König äußerte seine Zufrieden-
heit, zog aber im übrigen den
Italiener Morlacchi und dessen
Truppe vor. Vergebens betrieb
Graf Brühl, der verständnis-
volle Intendant, Webers Be-
rufung nach Berlin. Auch dort
hielt der Hof an der durch
Spontini repräsentierten italicni
scheu Musik fest. Und dies, ob-
wohl Weber mit der unsterb-
lichen Vertonung von Körners
„Leyer und Schwert" längst der
Freiheitssänger des deutschen
Volkes geworden war. Obwohl
in Berlin mit dem „Freischütz"
(1821) der Sieg der deutschen
Oper entschieden ward!
Webers Bedeutung erschöpft
sich indes nicht in der Kom-
position unvergänglicher Meister-
werke. Sein Höhenflug erschloß
dem geistigen Leben ganz neue
Lahnen. In der Ausdrucks-
welt seines innigen Natur-
empfindens, der Beschwörung
übersinnlicher Gewalten, dem Oie Wo 1 fs s di 1 u di t
Erfühlen unserer geheimsten Sehnsucht führt er uns weit hinein in die
blauen Gefilde der Romantik.
Carl Maria von Weber war der erste große Romantiker im Reich der
Tonkunst. Mit Beethoven hatte die alte klassische Form ihren Höhepunkt
erreicht. Zu ihr treten, — nicht in feindlichem Gegensatz, sondern als Er-
weiterung der Grenzen — in Weber Elemente, die bis dahin der Musik
fremd waren. Die Musik bleibt nicht mehr absolute Herrscherin in ihrem
Bezirk. Sie erhält und erfüllt jetzt die Ausgabe, Vorgänge zu charak-
terisieren.
Und damit geht Hand in Hand eine neue Auswertung der
Jnstrumentalfarbe, die Weber zum Begründer des modernen Orchesters
werden läßt.
Das Jnstrumentalbild erfährt mit einem Schlage ein völlig neues,
von seinen Vorgängern grundverschiedenes Kolorit. Die Individualisierung
der Orchesterinstrumente hat
begonnen.
Die dramatische Musik war
nun auf ganz neue Ausdrucks-
Möglichkeiten gestellt. Und Weber
empfand den stilistischen Rah-
men, den er sich im „Freischütz"
schuf, bereits wieder als zu eng.
Er ahnte, fühlte die Ziele einer
neuen Kunst. Ihm schwebte
nichts Geringeres als die Zu-
sammenfassung aller Darstel-
lungsmittel im Musikdrama als
Gesamtkunstwerk vor, das er
freilich in seiner „Euryanthe"
nicht erreichte, aber anbahnte,
und das erst im „Lohengrin"
zur Erfüllung gebracht werden
sollte. So ward Carl Maria
von Weber der Vorkämpfer
Richard Wagners.
Als im Januar 1822 der
„Freischütz" in Dresden aufge-
führt wurde, zählte ein kleiner
Knabe zu den begeistertsten
Verehrern von Webers. Dieser
Knabe war — Richard Wagner,
der jene Jugendeindrücke nie-
mals vergessen konnte, und
dessen Tatkraft es später zu-
wege brachte, daß Webers sterb-
liche Reste aus der Gruft der
Moorfieldkapelle in London am
14. Dezember 1844 nach Dres-
den überführt werden konnten.
R. von Hoers chelm ann Max Mahler.
447
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1926/NR. 23
CARL MARIA VON WEBER
18. DEZEMBER 1786 — 5.JUNI 1826
An einem trüben Februarmorgen des Jahres 1826 rollte ein Wagen
aus den Toren Dresdens. Darinnen ein schwerkranker Mann, der nach
ahnungsbitterem Abschied von den Seinen brennenden Wehes auszog, in
fremdem Lande zu suchen, was ihm die deutsche Heimat nicht gab. Es war
Carl Maria von Weber, der treuesten Deutschen einer.
Er erreichte London. Genoß den Triumph seines „Oberon" und dirigierte
mit den letzten Kräften eines verlöschenden Lebens seine kontraktlichen
zwölf Vorstellungen. In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni hauchte er, fern
von seiner geliebten „Mukkin" und den beiden Buben, noch nicht vierzig
Jahre alt, seine flammende, lautere, treue Seele aus. —
Auch Carl Maria von Weber zählt zu den großen Märtyrern der
deutschen Kunst. Der stete Kampf gegen mächtige Einflüsse zermürbte all-
mählich seine Energie, die Enttäuschungen, die die größten Erfolge immer
wieder begleiteten, brachen vorzeitig die Schwingen dieses feurigen Geistes.
Wohl erhielt er die lebens-
längliche Stelle eines König!.
Kapellmeisters in Dresden. Und
führte hier, wie vordem in
Prag, mit glühendem Eifer sein
Reformwerk durch: eine deutsche
Oper mit erlesenen deutschen
Sängern, gründlichste Vorberei-
tung aller Aufführungen. Der
König äußerte seine Zufrieden-
heit, zog aber im übrigen den
Italiener Morlacchi und dessen
Truppe vor. Vergebens betrieb
Graf Brühl, der verständnis-
volle Intendant, Webers Be-
rufung nach Berlin. Auch dort
hielt der Hof an der durch
Spontini repräsentierten italicni
scheu Musik fest. Und dies, ob-
wohl Weber mit der unsterb-
lichen Vertonung von Körners
„Leyer und Schwert" längst der
Freiheitssänger des deutschen
Volkes geworden war. Obwohl
in Berlin mit dem „Freischütz"
(1821) der Sieg der deutschen
Oper entschieden ward!
Webers Bedeutung erschöpft
sich indes nicht in der Kom-
position unvergänglicher Meister-
werke. Sein Höhenflug erschloß
dem geistigen Leben ganz neue
Lahnen. In der Ausdrucks-
welt seines innigen Natur-
empfindens, der Beschwörung
übersinnlicher Gewalten, dem Oie Wo 1 fs s di 1 u di t
Erfühlen unserer geheimsten Sehnsucht führt er uns weit hinein in die
blauen Gefilde der Romantik.
Carl Maria von Weber war der erste große Romantiker im Reich der
Tonkunst. Mit Beethoven hatte die alte klassische Form ihren Höhepunkt
erreicht. Zu ihr treten, — nicht in feindlichem Gegensatz, sondern als Er-
weiterung der Grenzen — in Weber Elemente, die bis dahin der Musik
fremd waren. Die Musik bleibt nicht mehr absolute Herrscherin in ihrem
Bezirk. Sie erhält und erfüllt jetzt die Ausgabe, Vorgänge zu charak-
terisieren.
Und damit geht Hand in Hand eine neue Auswertung der
Jnstrumentalfarbe, die Weber zum Begründer des modernen Orchesters
werden läßt.
Das Jnstrumentalbild erfährt mit einem Schlage ein völlig neues,
von seinen Vorgängern grundverschiedenes Kolorit. Die Individualisierung
der Orchesterinstrumente hat
begonnen.
Die dramatische Musik war
nun auf ganz neue Ausdrucks-
Möglichkeiten gestellt. Und Weber
empfand den stilistischen Rah-
men, den er sich im „Freischütz"
schuf, bereits wieder als zu eng.
Er ahnte, fühlte die Ziele einer
neuen Kunst. Ihm schwebte
nichts Geringeres als die Zu-
sammenfassung aller Darstel-
lungsmittel im Musikdrama als
Gesamtkunstwerk vor, das er
freilich in seiner „Euryanthe"
nicht erreichte, aber anbahnte,
und das erst im „Lohengrin"
zur Erfüllung gebracht werden
sollte. So ward Carl Maria
von Weber der Vorkämpfer
Richard Wagners.
Als im Januar 1822 der
„Freischütz" in Dresden aufge-
führt wurde, zählte ein kleiner
Knabe zu den begeistertsten
Verehrern von Webers. Dieser
Knabe war — Richard Wagner,
der jene Jugendeindrücke nie-
mals vergessen konnte, und
dessen Tatkraft es später zu-
wege brachte, daß Webers sterb-
liche Reste aus der Gruft der
Moorfieldkapelle in London am
14. Dezember 1844 nach Dres-
den überführt werden konnten.
R. von Hoers chelm ann Max Mahler.
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