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Die Brust ins Ruder gepreßt, sucht Onnen, der Steuerer, die Bark auf
Kurs zu halten. Muß sich mit offenen Kiefern den Atem stückweise aus
dem Sturm beißen, der wie feuchte Eiswände gegen ihn fällt. Mühsam
denkt er, daß noch andere Menschen mit ihm sind. Er hat sie vergessen, die
schnapsgrölend, lallend im Raume unter seinen Füßen liegen. Ihre
Fäuste sind schlaff, seitdem der erste Anprall des plötzlichen Wetters den
Schiffer mit stürzender Rahe wund schlug. Jäh bangt es Onnen vor dem,
wie das morgen fei, wenn er heute die Bark nicht in Landsicht zwingt.
Neuer Trotz spannt ihn hoch, aber hinter seinem starr vorausgerichteten
Blick tastet scheu das tiefe Verlangen nach versunkenem Schlaf... oder
nach dem Ruch der Heimat, wenn Frühling über den Holmhof zieht.

Im Vorschiff schlägt plötzlich, unhörbar bewegt, eine Luke zurück. Ein
Kopf taucht hoch, irre Augen, böse verzerrter Mund, der grimmig ins
Wetter krächzt. Augenblickslang taumelt ein hagerer Körper im spritzenden,
saugenden Gischt der Brecher. Dann reißt es ihn nieder; noch ein wildes
Schlagen und Stemmen unter rinnendem Gefpnl, eine seltsam zum Himmel
greifende Hand ... Gellend schreit Onnen aus über diesem jähen Sterben.
Aber das Wetter jauchzt und schüttelt die Masten vor Lust, denn seine Art
liebt die gefügigen Toten.

Das Meer scheint sich zu heben, Wasser und Sturm werden eins in
surrendem Schaum, zu leicht und zerweht für die Schwere von Mann und
Schiff. Da überkommt Onnen eine milde, staunende Trauer, die sein Herz
anhaucht und seine Stirn auf die erfrorenen Hände sinken läßt: Er denkt
an Maria, die der Schiffer aus dem Südlande mit sich nahm und bei sich
barg wie ein fremdes, köstliches Ding. Wohl hatten sie gemurrt, als er den
dunklen Vogel mit Pack und Kasten unter Deck brachte. Und soviel sie

hundert Tage nach ihr zu spähen suchten, soviel heimliche, hämische Rede
um sie ging: niemals ließ der Schiffer sie aus der Kammer. Niemand sah
sie, nur Onnen, der Junge, der ihr zu dienen bestellt war. Dann fllhlle
er wohl zuweilen, wie das Weib um einen Blick jammerte, hörte seltsame
Worte, die er nicht verstand, und jedesmal, wenn er ging, war es, als
schlöffe sie ihre fremden, sonnigen Augen zum letztenmal. Der Wind war
dem Schiffe günstig und in fliegendem Zuge ging die Reise durch die
warmen Meere. So glaubten die Männer bald, mit diesem Weibe sei eines
guten Gottes Segen und sprachen heimliche Wünsche für sie. Nur Onnen
nicht. Einmal, an einem Morgen in der spanischen Bucht, wo schwere
Nebel um das Schiff trieben, griff sie unversehens nach seiner Hand. Da
zwang ihn eine plötzliche Lust, das Weib und ihre Bitte hart von sich zu
stoßen und nicht verstehen zu wollen, was ihre Not sei. Seit jenem Tage
war es Onnen, als würde er niemals die Heimat Wiedersehen...

Dies bricht in ihm auf, wie er an Maria denken muß, und es ist eine
warme, lösende Gewalt. Das Schiff scheint sanfter über die Wellen zu
stoßen, taumelt in weitem Fallen und Heben gegen die singende Weise des
Sturms. Zuweilen prasselt es in der Höhe und ein Segel zerknallt dumpf.
Das dünkt den Rudersmann, der sein Schiff nicht mehr zu zwingen ver-
mag, wie Schwall von Märzenregen, der nächstens die Schneelasten eines
langen Winters vom Dache stürzt. Onnen, der Junge, hört den Frühling
über den Holmhof kommen. Schnobernd brüllen die Rinder im breiten,
warmen Stall. Die Luft ist behende und trägt Wellen namenloser Frucht-
barkeit. Klingen ist darin, das nach Sonne frohlockt und kleinen, zerzausten
Blumen Düfte bringt

Eine Stimme ruft, zerbricht im brausenden Getön. Onnen fühlt ver-
wundert, wie hastige Hände an ihm zerren, eine milde Kraft ihn tragen
will Seltsame Laute flattern um ihn, deren Sinn er nicht begreift. Aber
er weiß: dies ist Maria, und sucht mit zuckenden Gedanken, wie er ihr gut
tun könnte.

Das Weib löst die Stricke, mit denen der Junge sich gegen Wettergewalt
ans Ruder gebunden hat. Sie umschlingt den regungslosen Leib, bettet ihn
behutsam nieder, nimmt sich ein Tuch von den Schultern und hüllt es mit
zagender Gebärde um des Froststarren Kopf und Arme. Behaucht bang
Augen und Stirn, reibt emsig die fahlen Schläfen... Bis ihren Händen
langsam das Blut zu Eis gerinnt. Da irrt ihr Blick erschauernd über das
gischende Meer und still deckt sie mit ihrem Leib den Jungen zu, schenkt
ihm die letzte arme Wärme ihres Herzens. Der aber träumt einem tiefen
Wunder nach, das über weiße Anemonenfelder lockt, und stirbt lächelnd in
seinen Frühling hinein.

Zögernd dreht das befreite Schiff aus dem Kurs. Stürzende Wände
aufgetürmter Wogen schlagen gegen die Wanten. Krachend splittern Rahen
und Masten in des Wetters grimmigster Wucht. Doch der Bug der „Anke
Marie" weist nach Süden, dahin, wo ein gelber, glasiger Sonnenfetzen
augenblickslang durch die Wolken herniederfällt..., Wo des Weibes ver-
störter Sinn Heimat und Erbarmen wähnt.

N Ä C H T E

Wenn die Nächte nicht wären,

Die lautlosen, stillen,

Mondtaugekühlten Nächte im Wind —

Ich ertrüge sie nicht, die sonnenglutschweren
Tage, die strahlend den Sommer enthüllen
Und trunken von Sonne und Blütenrausch sind.

Wenn die Nächte nicht wären,

Die Traumglück gewährenden,

Lichtdurchfluteten Nächte in mir —

Ich ertrüge sie nicht, die einsamen, leeren,

Düsteren Tage, die Heimweh gebärenden,

Blutend aus herzwunder Sehnsucht nach dir.

Wenn die Nächte nicht wären ...

A. Bender-Hilgenberg.

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Index
Änne Bender-Hilgenberg: Nächte
Ernst Ullmann: Zeichnung ohne Titel
 
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