Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erzählung von Richard E u ringer. Mit Bildern von A. B u r k a r t.

In einer holländischen Hafenstadt, die mehr Grachten und
Kanäle hat als Häuserreihen, ging es laut und lustig her bei
der Hochzeit eines alten Silberschmieds und seiner jungen Frau,
die zusammen grade achtzig Jahre zählten: er einundsechzig und
sie neunzehn. Da setzte es denn Stichelei und verstohlenen
Schabernack genug, und wie die derbsten Narren zugleich die
verliebtesten Galane sind, schien Mijnheer Honigmond vor lauter
Mäulchenspitzen gar nicht zu durchschauen, daß er selbst den
Hauptspaß dieser ganzen Lustbarkeit junger Leute abgab, die
schon heut an den Westenknöpfen nachrechneten, wieviel Gulden
Witwe Bräutlein ihrem Liebsten in die Stube schütten werde,
wenn erst der genarrte Silberschmied in die Grube führe. Der
dachte freilich weniger ans Jn-die-Grube-Fahren als ans
Schlittenfahren, wie er's seiner Braut versprochen als traute
Unterbrechung des geräuschvollen Gelages, bei dem man unters
Tischtuch tasten mußte, sich ein Händlein lieb zu drücken, und
in den Becher gucken, sich ein wenig zuzuzwinkern. Winter
war's, wie das halbe Jahr in Holland, und als der schön-
geschirrte Schimmel draußen scharrte, daß der Schnee ausstäubte
und das Silber klingelte, stürzten sich die jungen Burschen
durch Tür und Fenster auf das flüchtige Gefährt, überrumpelten
die Braut und gedachten nicht
anders, als unter deren kreischendem
Gelächter und kokettem Sträuben
dem Alten zum Verdruß, eine kleine
Extratour aus eigene Faust zu
tanzen. Doch die Wachsamkeit des
mißtrauisch Gewordenen vereitelte in
kaltem Zugriff die Entführung, und
während johlend unter Peitschenknall
die Horde loskutschierte, erbleichte die
geputzte Braut vor dem Gesichts-
ausdruck dieses dürren Fremden,
dem sie sich ausgeliefert ohne Treu
und Scheu, und der sie nun mit
Greisenfingern mit sich zerrte, an
die Tafel, wo in silbernen Kristall-
karaffen der schwere braune Wein
aus Zuspruch harrte.

„Jetzt wird er dich küssen", dachte
sie, eiskalt vor Schrecken; doch nichts
derart geschah; vielmehr goß der
Alte, ohne seine Hand um ihre Faust
zu lösen, einen Strahl des dunklen

Trunkes in den Becher, trank ihn leer, füllte ihn und trank ihn
wieder leer auf einen Zug, füllte ihn zum dritten Mal, zum
vierten Mal und trank ihn leer. Füllte ihn zum fünften Mal
und flüsterte mit seltsamen Grimassen: „Trink, mein Täubchen!"
Und da sie kaum zu atmen wagte, goß er ihr in Ungeduld
den Becher in den Hals, daß sie vermeinte zu ersticken. So
griff er die Karaffe und sog sie leer und schmetterte sie an
die Wand, daß sie zerschellte in der Minute, da die Ueber-
mütigen schier durch die Fensterscheiben galoppierten mit
Schimmel und Geschirr. Die ganze Straße lies zusammen, wie
in die freche Kavalkade das sonderbare Brautpaar trat.
Taumelnd, lang und fahl der Alte im schweren Pelz, irr und
wirr und wie verwelkt die junge Magd in Hochzeitsschleiern.
Mit offenen Mäulern stolperten die Bursche von Bock und
Sitz; durch das Gedränge klaffte eine Gaffe . . .

Stumm hob der Silberschmied sein Ehweib in die Polster,
schob sich die Zobelmütze in die Stirn und griff die Zügel.
Der Schimmel zog, der Schlitten stob dahin.

Zum Entsetzen aller aber raste das klingende Gespann schnur-
stracks auf die Gracht los, gleich als plante dieser Trunkene,
mit dem schweren Schlitten sich aufs splitterdünne Eis zu wagen,

das glaszart den Wasserlaus in erster
Frostnacht übersponnen. Schon, im
Aufschrei, bäumte sich der Gaul,
händeringend sprang die Magd vom
Sitz . . . ; doch die harte Greisen-
hand des Alten zwang sie beide
seinem Willen: krachend brach der
Schlitten in die Gracht.

Aus allen Straßen fegte das
unheimliche Gerücht die schwarzen
Schwärme Lüsterner zusammen, die
Neugier, Gruseltrieb und Schwatz-
sucht zu undurchdringlichen Spalieren
Aufgeregter reihte, die mit Stangen
in die Tiefe stocherten, sich über
Brücken beugten, Leitern in die
Wasser stießen, als plötzlich irgendwo
Bewegung in die Menge kam und
die Masten um den Schreienden sich
stauten, der durch Eis und Flut tief
unten in der Gracht die ertrunkene
Kutsche hatte schlittern sehen . . .!!
Wirklich! Dort unter spiegelglattem

453
Register
Richard Euringer: Die ertrunkene Kutsche
Albert Burkart: Illustrationen zum Text "Die ertrunkene Kutsche"
 
Annotationen