Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
J U & E

»I. JAHRGANG

N D

1926 / NR. 25

SPIELE NICHT M I T LÖWEN

ERZÄHLUNG VON NORBERT JACQUES

Der erste Mann, den die junge Gabriella Mangers, die Tochter des
Hamburger Eroßkaufmanns, liebte, war ein Abenteurer. Sie wußte es.
Er war'ein Mann, der die Hälfte seines Lebens auf der Jagd im Urwald
und die andere damit zubrachte, die Beute zu dressieren und zu verkaufen.
Sie folgte deshalb dieser Neigung nur in den dunklen Irrwegen ihrer
Phantasie und hatte nicht einen Augenblick die Versuchung abzuweisen, die
Regungen ihres Herzens, wenn sie an den Mann dachte, sich nach außen
ins Sichtbare wenden zu lassen. Sie war unglücklich über ihre Gefühle.
Ihr zarter junger Stolz war unter ihnen verletzt. Und unter dem Druck
dieser innern sich vielfach kreuzenden Vorgänge, die Versagen, Qual, Selbst-
verleugnung und Bezwingung brachten, schoß mit tropischer Ungeberdigkeit,
die aus der Herkunft ihrer Familie in ihrem Blute glaste, eine Sehnsucht
in sie. Es war eine Sehnsucht, deren Wege unbegehbar ins Grenzenlose
verstrahlten, wie unter dem Blick von einer Höhe sich die Hügelzüge einer
Landschaft immer ferner und ohne Ende blau unter den Horizont staffelten
und verloren. Sie war da, die Ferne. Sie bestand, greifbar anscheinend.
Aber faßte man nach ihr, wich sie mit einer keuschen ungeberdigen Scheu
zurück ins Blaue der verwehenden Raumlosigkeit... Symbol des rastlos
greifenden Herzens, das den Busen verläßt und im Leben seine Phantome
Tatsache werden lassen will.

In ihrem Herzen war es wie eine wilde Fahrt. Es war sich seiner
Kraft, aber nicht seines Zieles bewußt. Ihr äußeres Leben zeichnete die
Sprunghaftigkeit nach, in die
ihr Inneres sich immer tiefer
verlor. Sie verrichtete Dinge,
die ihr Vater, großmütig ver-
liebt in sein einziges Kind,
mit einer bangen Versorgtheit
duldete, die aber von der
strengen, vornehmen Familie
mit warnenden und mißbilli-
genden Mahnungen begleitet
wurden.

Wochenlang zog sie in der
Nord- oder Ostsee mit einem
Bootsmann in ihrer kleinen
Jacht umher. Sie machte in
ihrem Zweisitzer-Auto lange
Reisen durch Ebenen und über
Gebirge. Als sie einmal von
einer solchen Reise zurückkam
und nach dem Nachtessen ein-
silbig im Rauchzimmer ihres
Vaters saß, legte dieser die
Hand auf ihre Schulter und
setzte sich auf die Lehne des
Sessels, in den sie sich wie
fliehend vor dem Dadraußen
hineinpreßte. Seine Besorgnis
öffnete des Vaters Scheu vor
einer Aussprache und er sagte:

Kind, wir sind doch gute
Kameraden. Was suchst du im
Leben? Was findest du nicht,
was du suchst? Liebst du wen?

Da verzog sie mißachtend
den Mund. Nein! antwortete
sie verächtlich. Denn sie liebte
den Abenteurer ja nicht eigent-
lich. Sie empfand nur, daß er
der einzige Mann war, der
sich der Stärke ihres Willens
und ihres Gemütes gewachsen
zeigte. Und das hatte sie sonst
nie an einem Mann erlebt.

Es war wie eine Krankheit

Llr^alcksrene

ihre? Blutes, daß es gerade dieser Mann sein mußte, dessen Wurmstichig-
keit sie erkannte und verachtete.

Als sie dann allein war, fragte sie sich: Bin ich nicht einsam mit dem,
was mein Leben quält? Weshalb sorgt sich mein Vater um mich?...
Diese Vorstellungen scheuchten die ganze Nacht hindurch den Schlaf von ihr.
Sie stand früh auf. Keiner der Dienstboten war schon wach. Sie schloß
die Garage auf, in der neben dem großen grauen Sechssitzer ihres Vaters
ihr kleiner dunkler Wagen stand, ließ ihn an und fuhr zur Stadt hinaus.
Der Sommermorgen war blank, würzig und kräftig. Sie flog in diesen
reinen Geruch der Luft hinein mit der Ungeduldigkeit und dem ziellos
Verlangenden ihres Blutes und stimmte sich allmählich über zu der Kraft
dieser eindeutigen Natur. Sie fuhr durch ein Städtchen, das noch schlief.
Sie hätte nicht sicher sagen können, welcher Ort es war, denn sie schaute
nur über die Bahn, die vor ihr lag, und nicht rechts noch links. Dann
durch satte Fluren, die fruchtbar und stark in ihrer Einfachheit sich flach
und bewilligend hinlegten, und da ein Wäldchen kam, das eine kleine Er-
höhung krönte, ließ sie den Wagen an der Straße stehn und stieg hinauf
zu den Buchen.

Ihr schien es mit einemmal in dieser unentweihten einsamen Morgend-
lichkeit der Landschaft, sie sei allein in ihr und allein auf der Welt. Sie
lehnte sich an einen der schweren Stämme und schaute über die Fluren.

Die Unruhe ihres Innern war
verlärmt. Alle Widerstände
waren fort. Gabriella war es,
als sei sie in der Landschaft
aufgelöst.

Wie sie dastand, hörte sie
seitlich von sich ein Geräusch,
ganz nahe. Sie neigte den
Kops hin und sah einen Löwen
dort stehen. Es war ein männ-
liches und stattliches Tier mit
einer gewaltigen Mähne. Der
Löwe stand unbeweglich und
äugte zu ihr herüber. In seinen
goldschimmernden Augen lag
eine weltabgewandte Ruhe,
Gabriella sah in sie hinein wie
in eine andere ferne Welt.
Diese fremde Welt war nicht
feindlich und nicht freundlich
gesinnt. Sie war nur ernst
und streng. Das Tier stand
so dicht bei ihr, daß sie nur
die Hand zu heben brauchte,
um seinen Kopf zu erreichen.

Gabriella war es selbstver-
ständlich, daß das schöne Tier
da stand. Tief verloren in die
rauschenden Bahnen ihres
Blutes, die sie mit einer solch
selbstvergessenen Ekstase in den
Kreislauf der Natur dieses
jugendlichen Morgens ein-
schlossen, kam sie sich verwandt
vor mit aller Kreatur: mit
dem unbeweglichen Buchen-
stamm, den sie an ihrem Kör-
per spürte, und dessen ver-
träumtes Rauschen in einem
singenden Zwiegespräch ihr
Ohr füllte, wie mit dem
Löwen, der unverwandt seine
Blicke in die ihrigen senkte und
Sabine Lep8,u3 mit seinem stolzen Schweigen

487
Index
Sabine Lepsius: Urwaldszene
Norbert Jacques: Spiele nicht mit Löwen
 
Annotationen