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ihr seine fremde Erde gewähren zu wollen schien. Eine harte Zärtlichkeit
entsproßte ihrem Gemüt, und ohne an Furcht zu denken, trat sie einen
Schritt auf den Löwen zu. Der blieb unbeweglich stehn und hielt die Augen
in immer demselben Maße offen. Die blaugrllnen Gabriellas schauten ruhig
und hingebungsvoll in die bernsteinfarbenen des Tiers.

Gabriella hob ihre Hand und in einem schmelzenden Gefühl innigen
Zusammenhangs senkte sie ihre Finger in die Mähne des Löwen, um ihn
Haut an Haut zu spüren. Das Tier machte keine Bewegung. Besiegt von
der Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, in der sich der Mensch ihm
genähert, duldete es ihn still neben sich. Die starke schlanke Gestalt Gabriellas
richtete sich neben ihm auf. Bon der jungen Sonne leuchtete die weihe
Haut ihres Gesichtes und ihrer Hände wider gegen das dunkle erdfarbene
Fell des Raubtieres.

Unbewußt dessen was sie tat, der Gefahr, der Ungewöhnlichkeit, der
Größe ihres Bluts, verweilte sie neben ihm. In ihrem Innern hatte sie
die Schwelle überschritten, die in das andere Reich führte, in das Reich,
in dem süße Utopien in körperlos übersinnlichem Schweben der Sehnsucht
die Möglichkeit der Erfüllung gewährten, ohne sie zu zerstören.

Ihr war, als ob sie mit dem Griff in das von der Mähne königlich
umschüttelle Haupt des riesenhaften Tiers für sich allen Zwiespalt besiegt
hätte und in den Händen als eine über alles beglückende Wirklichkeit das
Phantom hielte, das Liebe, Mann, Gatte, kurzum Leben einer Frau in
seine ewig fliehenden Schatten barg. Es hieß Natur! Nun wußte sie es
für den Rest ihres Lebens. In Dankbarkeit und Glückseligkeit, in Kraft
lind Schwung floß ihr Gemüt über von diesem gesegneten Quell.

So stand sie mit ihrer erstrahlenden weißen Frauenhaut Augenblicke
lang an das Raubtier gelehnt, wie eine Lilie, deren blumige reine Seelen-

haftigkeit stärker war, als alle Muskeln der Erde. Glückschauer erschütterten
ihr Herz. Es war eine Erfüllung, deren überströmende Kraft sie nur in
Ahnungen genossen hatte und es überzog sie eine samten verwischende ver-
sienkende Dunkelheit wie ein Traum.

Aber da kam irgendwo ein Lärm. Sie achtete nicht hin. Auf der Straße
war es oder wo? Einerlei. Der Löwe jedoch ließ einmal die Augen ab-
wandern und kam rasch mit seinem bernsteinernen Blick zu den blaugrünen
Augen des Mädchens zurück. Jetzt wechselte er aber eine Fußstellung
und eine Unruhe blieb in seinen Tatzen. Auch die Augen flackerten wieder
ab und zurück. Der Lärm wurde näher und deutlicher.

Und nnt einemmal sah Gabriella einen Mann. Er kam die Höhe herauf
gesprungen. Da sie kein Aug von dem Tier abwandte, erkannte sie nur
die Bewegung. Unversehens hörte sie eine Stimme, die in einer erschrecken-
den Weise ihr bekannt war. Und da erkannte sie, als ob sie bisher mit
geschlossenen Augen erlebt hätte, was an dem Morgen geschehen war,
in welcher Gefahr sie sich befand. Ihre Hand erstarrte weiß und blutleer
in der Mähne des Löwen, unfähig, sich daraus zu lösen.

Rühren Sie sich nicht! rief leise die bekannte Stimme, die sich hastig
näherte.

Nun war ihr, als ob mit einem brüllenden Entsetzen ein Albdruck in ihr
lebendig geworden wäre. Grauenvolle, bluttriefende Wirklichkeit war jetzt,
was vorher ein wesen- und widerstandsloses Verfließen in der Schöpfung
gewesen war. An dem gräßlichen Entsetzen, das sie befiel, erstickten Schreie
in ihrer Kehle, wie glühendes, dann in eisigem Wasser gerinnendes Blei.
Ihr Blut ward ein erstarrendes Feuer. Hilfesuchend wollte sie die Augen
von der Bestie abwenden. Doch waren ihre Blicke wie mit starren Drähten
an die des Tiers geheftet. Ihr ward, als wenn sie auf den widerstandslos

Uezina-Oafe st. Steinmetz

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Joseph (Beppo) Steinmetz: Regina-Café
 
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